«Eisbär» Eicher ist modern geworden
Musik
Liedermacher Stephan Eicher bringt am Donnerstag statt Musikern eine Reihe Automaten in die Chollerhalle mit. Das irritiert und fasziniert.
Zug – Am Anfang war das Keyboard. Zumindest für die Schweizer Brüder Martin und Stephan Eicher, die als «Grauzone» 1981 mit dem Lied «Eisbär» in den Charts für Furore sorgen. Die Stars der damaligen Neuen Deutschen Welle kamen und gingen. Vor allem gingen sie. Nur Stephan Eicher blieb. Denn die damalige Musik war für Stephan Eicher bei weitem nicht der Höhepunkt seiner Karriere, im Gegenteil. Die begann eigentlich erst danach. Und wenn man das Konzert am Donnerstag in der Chollerhalle miterlebte, weiss man auch, warum. Eicher ist nicht einfach nur Musiker, Chansonnier oder Liedermacher – Eicher ist viel mehr. Nur was?
Den 55-Jährigen beispielsweise auf eine Sprache festzulegen, ist ebenso schwierig, wie seine musikalische Entwicklung schematisch darzustellen. Neben Französisch und Deutsch singt er auch auf Englisch, manchmal Italienisch und natürlich Schwyzerdütsch. Setzte er bei seinen ersten Alben verstärkt Keyboards und elektronische Klänge ein, kamen bei «Engelberg» 1991 wie auch in den folgenden Jahren akustische Instrumente zum Einsatz.
Orgel und Glockenspiel
Und gestern dann: alles. Eicher nennt seine Begleiter «Automaten», und das sind sie auch. Auf der Bühne ist eine Kirchenorgel aufgebaut, die plötzlich zu «Combien des Temps» zu spielen beginnt – dazu das Glockenspiel, das für dieses Lied so charakteristisch ist. Alle diese Instrumente spielen wie von Zauberhand, bei den Orgelpfeifen wird sichtbar, welche der Labialpfeifen gerade den Ton angibt. Dies vollbringt «der Automat», untermalt mit dem entsprechenden Licht. Auch das Glockenspiel weiss, was es zu tun hat, und verpasst keinen Einsatz. Bei so viel Technik auf der Bühne droht natürlich einiges schiefzugehen. Eicher könnte beispielsweise optisch untergehen. Das passiert aber nie – zu präsent seine Person, zu stilsicher der Einsatz der «Automaten», die übrigens im Verlauf des Konzertes fast menschliche Züge bekommen. Dies erreicht der Musiker, indem er beispielsweise gleich zu Beginn die Musikautomaten ihre Instrumente stimmen lässt und danach mit einem Handzeichen gebietet, jetzt sei genug.
Es dauert nicht lange, bis Stephan Eicher das Publikum auf seiner Seite hat. Gemäss Veranstalter waren am Donnerstag an die 800 Gäste in der Chollerhalle, das Konzert daher praktisch ausverkauft. Erstaunlich, wie bunt dieser Publikumsmix war. Einige haben Eicher wohl wirklich noch in seiner «Grauzone»-Zeit erlebt, viele sind aber wesentlich jünger und waren 1981 vermutlich noch nicht auf dieser Welt. Das ehrt einen Künstler, macht es aber auch ungleich schwieriger, eine für so viele Generationen taugliche Setlist aufzustellen. Was Eicher gelingt – auch, weil er viele seiner alten Hits in wirklich spektakulären Arrangements neu interpretiert. Die «Automaten» steuert Eicher – das verrät er dem Publikum während des Auftritts – einerseits mit Fusspedalen, andererseits mit seiner Gitarre, die mit den Gerätschaften (eigentlich ja echte Instrumente) kommuniziert. Das erfordert ein Höchstmass an Konzentration, denn gerade wenn der Fokus des Publikums so sehr auf den «Automaten» liegt, sind Spielfehler schnell hör- und teilweise auch sichtbar.
Eicher interagiert oft mit dem Publikum, das macht er sonst eher selten. Er gibt auch dann und wann relativ klar durch, wenn ihm etwas nicht passt. Beispielsweise mag er kein Wasser aus Flaschen, Handys, Journalisten, Zeitungen … oder wenn das Publikum sich nicht ruhig verhält. Aber immer findet er bei seinen verbalen Ausflügen schnell wieder den richtigen Ton und damit auch zurück zur Musik. Ein kleines, improvisiertes Wunschkonzert zeigt, wie viele Hits Eicher schon hatte: Das Publikum wünscht sich Klassiker wie «Campari Soda», 1990 veröffentlicht. Oder «Les filles du Limmatquai». Manche dieser Wünsche seien ihm «zu weit weg», so Eicher. Und spielt sie nicht.
Musik und Magie
Eicher hätte theoretisch auch einfach einen Synthesizer hinstellen und auf diesem seine Hits zum Besten geben können. Das wäre ihm aber zu einfach gewesen: Zur Idee mit den Automaten hat ihn ein belgischer Film inspiriert, die Umsetzung dieser Inspiration erfolgte schliesslich mit einem befreundeten Künstler, der auch als Magier auftritt. Und so ist es denn wohl auch zur Idee der «Tesla-Säule» gekommen, ein faszinierendes Ding (eben: ein weiterer «Automat»), welches durch Stromstösse und die dadurch entstehenden Blitze Musik macht.
Das ist originell, einzigartig und dennoch nicht anbiedernd – denn die seltsame Musik, die dieses Ding von sich gibt, wurde von Eicher geschickt in seine Kompositionen eingebunden und ist daher Teil der anderen «Automaten». Das Publikum war begeistert, Stephan Eicher wohl auch, und man darf gespannt sein, mit welchen Überraschungen der Musiker künftig noch aufwarten wird. (Haymo Empl)