Original oder Bearbeitung?
Musik
Zum Abschluss der «Sommerklänge» 2025 gestalteten Trompeter Immanuel Richter und Cembalist Johan Treichel ein Barockkonzert, das auch zum Nachdenken anregte.
Oberägeri – Barockmusik assoziiert man mit höfischem Glanz, lustvoller Üppigkeit und rankendem Dekor, mit Bravour und Brillanz. Barock grenzt aber auch an Abgründe, verschlingende Kriege und das Gefühl unberechenbarer Endlichkeit. Barocke Musik kann beides: auf virtuoseste Weise strahlen und überschäumen, und dann wieder wundervoll wehmütig und schräg-brüchig klingen.
Das ist bis heute ihre Attraktion. Und so füllte sich wohl am Sonntagabend der Gemeindesaal Maienmatt in Oberägeri nicht zufällig schnell bis zum letzten Platz: Der Abschluss der «Sommerklänge» 2025 versprach «festlichen Barock». Und viele Brückenschläge – zwischen Trompete und Cembalo, Deutschschweiz und Welschland, Original und Bearbeitung.
Die Neugier auf das «Fremde»
Das Barockzeitalter war auch eines der Entdeckung fremder Kontinente und beginnenden Kolonialisierung; überall sah man Symbole und Gleichnisse für die menschliche Existenz; und strebte das Gesamtkunstwerk an. Wer im 17./18. Jahrhundert konnte, trat oft jahrelange Reisen an: Adlige und Gelehrte, Seeleute und Handwerksgesellen. «Auch die Komponisten der Barockzeit waren weltläufiger, als wir denken», sagt Historiker Peter Hoppe zur Konzerteinführung, «der Austausch zwischen ihnen war unglaublich grossräumig.» Die Fremde begann zwar schon hinter der Kantonsgrenze, aber Ideen und Wissen zirkulierten universal. Hoppe bringt gar den Begriff «Migration» ins Spiel – als «faszinierenden Gedanken». Dieser Austausch sei kein «Stehlen» gewesen. Bach, Molter, Telemann – die Komponisten des Konzerts – waren neugierig auf die publizierten Partituren anderer Länder und liessen sich davon zu eigenem Neuem anregen.
Im 5. Konzert der «Sommerklänge» 2025 stand dieser Reichtum und diese Gedankenfreiheit im Zentrum: Startrompeter Immanuel Richter arrangierte für sein Instrument deutsche Werke (von Johann Sebastian Bach), die ihrerseits schon Bearbeitungen italienischer Konzerte (von Antonio Vivaldi und Alessandro Marcello) darstellen. Cembalist Johan Treichel fungierte dabei einerseits als Basso Continuo, um dann mit Bachs berühmtem Cembalokonzert d-Moll BWV 1052 sein solistisches Können darzubieten. Dafür brachte er ein international zusammengesetztes Quartett musikalischer Freunde mit: die Violinisten Mihai Frâncu (Rumänien) und Gevorg Vardanyan (Armenien) und die Spanierinnen Carmen Martínez an der Viola und Marina Cotallo am Cello.
Der Geist ist gefordert
Der Eindruck beim Zuhören: Es klingt «barock» bekannt, aber die neue Instrumentierung und Gewichtung der verschiedenen polyfonen Fäden lässt die Musik anders erleben. Und der Geist ist ebenfalls beschäftigt: Wenn Bach Vivaldis Violinkonzert in D-Dur zum Cembalokonzert BWV 972 umgestaltet und jetzt Richter dieses für Trompete bearbeitet hat – welche Stimme übernimmt dann das Soloinstrument? Wie wird überhaupt das vielstimmige Gewebe instrumentiert? Natürlich zeigt Richter seine verrückte finger- und atemtechnische Virtuosität. Das Cembalo tritt stark in den Hintergrund, man vernimmt eher Frâncus erste Violine.
In Bachs Cembalokonzert d-Moll BWV 1052 wird diese Impression noch deutlicher: Obwohl das taubenblau-orange leuchtende Instrument nach vorn geschoben wird, geht seine Stimme öfter unter; nur in den solistischen Phasen, vor allem im ruhigen Adagio, werden seine ausdrucksvollen Perlenschnüre vernehmbar, fein und empfindsam wie sein Spieler. Im stürmischen Schluss-Allegro sieht man zwar die Finger über die Tasten rasen, aber erst in der virtuosen Kadenz ziehen sich die Streicher so zurück, dass Treichel vernehmbar brillieren kann.
Richters zweite Bearbeitung, Bachs Cembalo-Concerto BWV 974 – nach Marcellos Oboenkonzert in d-Moll –, zeigt nach einem Unisono-Eingang die wehmütige Hauptmelodie des «Andante e spiccato»; am liebsten möchte man mitsingen! Streicher und Cembalo antworten, dann wird das Thema solistisch weitervariiert; streckenweise nur begleitet von Carmen Martínez’ sensibler Viola. Das Adagio aber erscheint als das Zentrum der Innigkeit, Richter spielt mit geschlossenen Augen, die Stimmung greift ans Herz und lässt doch Raum für manch barocke Verzierung. Das abschliessende Presto aber ist ein rasanter Pferderitt, kühn und energetisch, in dem auch das Cembalo zum Zuge kommt.
Nach der Pause wird die barocke Polyfonie mit Johann Melchior Molters Trompetenkonzert in D-Dur Nr. 1 weiterentfaltet – auch er war zwei Jahre lang in Italien. Georg Philipp Telemanns Konzertsonate in D-Dur aber erinnert mit ihren vielfarbigen Melodieeinfällen und -dialogen nochmals an die «Weltläufigkeit» barocker Musik. Das Publikum erklatscht begeistert eine Zugabe. (Text: Dorotea Bitterli)