Paul Nizon: «Der Nagel im Kopf!»

Literatur & Gesellschaft

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Ein Film über radikale Selbstbefreiung, poetische Existenz und gesegnete Sprachschöpfungen.

  • Der Schriftsteller Paul Nizon, aufgenommen 2012 im Robert-Walser-Zentrum. (Bild Peter Schneider/KEY)
    Der Schriftsteller Paul Nizon, aufgenommen 2012 im Robert-Walser-Zentrum. (Bild Peter Schneider/KEY)

Zug – «Das Leben schreiben»: Der bedeutende Schweizer Schriftsteller Paul Nizon, physisch aktiv, geistig wach, 91 Jahre alt, mit seinen stilvollen Hüten, seinen wallenden Mänteln, seinem dichten, platinweissen Haar und seinem noch immer ungestillten Lebenshunger, fasziniert als Person und als Literat ohne Unterlass. Kaum verwunderlich, dass sich der Zuger Filmemacher Christoph Kühn, Inhaber einer Produktionsfirma, intensiv mit ihm aus­einandersetzt. Mit achtköpfigem Team formte er bei einem vierwöchigen Besuch ein aussagekräftiges, lebendiges, stimmiges Porträt des Lebens und Schaffens Paul Nizons, uraufgeführt an den Filmtagen Solothurn und, organisiert von der City-Kirche Zug, am 2. Dezember öffentlich vorgeführt in der reformierten Kirche Zug.

Radikale Lebenssuche

Nach dem furiosen «Diskurs in der Enge», der eine ganze Epoche Schweizer Literatur prägte, worin Nizon mit dem Establishment gnadenlos abrechnete, litt er dergestalt am Problem der eigenen Lebensschauplatz-Enge wegen Lebens­stoff­-Mangels, dass ihn seine radikale Lebenssuche 1977 nach Paris auswandern liess. Dort erlebte ihnChris­toph Kühn in seiner akkurat nachgebauten Hinterhofwohnung mit «Schachtelzimmer» und begleitete ihn auf dessen Gängen durch Paris, sodass Nizon dank dessen Schreibpassion, grossartiger Sprachgestaltung und gewinnender Ausstrahlung zu einem vertrauten Filmprotagonisten heranwuchs.

Literarische Formulierungskunst

In Paris fand auch die Rettung Nizons aus dessen Krise statt – mittels souveräner schriftstellerischer Entfaltung, niedergelegt unter anderem in vier Werken, für welche sich zufolge der literarischen Erfindung des eigenen Lebens der Terminus «autofiktionales Schreiben» einbürgerte. Kühn wählte zur Ergänzung und zum besseren Verständnis der Formulierungskunst Nizons, welcher als promovierter Kunsthistoriker auch eine Monografie über den Zuger Maler Hans Falk verfasste, überaus kluge Schriftenlesungen aus, woraus sich ein weiteres Wesensmerkmal herausschälte: Seine Werke, zumal er in diesen dem einfachen Satzbau entsagt, muss man laut (vor-)lesen, erst dann, so wie eben im Film, nimmt man wahr, wie exzellent Nizon Klang und Rhythmus pflegt. Nicht umsonst heisst ein Buch gar «Canto» (Gesang), gemäss Hugo Leber eine «Sonate in Prosa!»

Für die City-Kirche: Jürg Johner