Zwischen Figur und Abstraktion

Kunst & Baukultur

,

Klaus Priors Werke kreisen um die menschliche Figur. Seinen Skulpturen und Gemälden wohnen körperliche Präsenz und existenzielle Tiefe inne. Die Zuger Galerie Urs Reichlin präsentiert eine Auswahl neuer Arbeiten.

Zug – «Ich bewege mich stets zwischen Figürlichem und Abstraktion. Meine Formfindung ist dabei nie losgelöst vom Menschen.» Für den Bildhauer und Maler Klaus Prior besteht die Herausforderung dabei jeweils in der Frage: Wie weit entferne ich mich vom Abstrakten? Wie weit vom Gegenständlichen? Ausser Frage hingegen steht für ihn das allbestimmende Thema der menschlichen Figur, an welcher er also stets festhält.

In Priors Gemälden erschliesst sich dem Betrachter diese zentrale Thematik häufig nicht auf Anhieb. Erst bei der eingehenderen Betrachtung manifestieren sich das Menschliche und dessen Körperhaftigkeit allmählich, nehmen Formen an, oft zaghaft und subtil, es bleibt beim schemenhaften Umriss. Aber es ist da. Und es ist spürbar.

Das Menschliche ist in seinem skulpturalen Schaffen prägnanter. Im Falle seiner Holzfiguren ist es das Resultat kraftvollen, impulsiven Abtragens von Material. Prior macht sich mit schwerem Gerät ans Werk. Seit er vor über drei Jahrzehnten zum ersten Mal zur Säge gegriffen hat, findet er Schnitt für Schnitt zur Form. Der Arbeitsprozess ist stets intuitiv, folgt weder Plan noch Schablone.

Priors expressive Figuren sind ein reduziertes, oft fragmentarisch-deformiertes Abbild des Menschen, die Oberfläche rau gestaltet mit Furchen und Kanten. In ihrem Ausdruck widerspiegeln die Figuren existenzielle Themen wie Identität, Körper, Vanitas. Das Moment einer gegenwärtigen Befindlichkeit führt die Hand. Eine Inspiration aus Mythologie oder Architekturgeschichte mischt punktuell mit.

Weder politisch noch gesellschaftskritisch

«Meine Skulpturen lassen stets eine gewisse Bewegung, eine Haltung erkennen», sagt Prior. «Nie stehen sie regungslos da.» Und doch sucht man das Theatralische, die grosse Gestik in seinen Figuren vergebens, vielmehr wirken sie verletzlich, in sich gekehrt. Ihre Ausdruckskraft erhält mit einer Farbfassung die erweiterte Dimension. Eines klammert Klaus Prior in seinem Werk entschieden aus: Er will weder politisch noch gesellschaftskritisch sein. Er lässt bewusst Raum für Interpretation.

Anders als beim Arbeiten mit Holz, bei dem Reduktion und Abtragung den Prozess bestimmen – «was weg ist, ist weg» –, verhält es sich beim Modellieren. Diese Art des Gestaltungsprozesses stand für Klaus Prior ganz am Anfang – und hat nach wie vor einen Platz in seinem Schaffen. «Wie in der Malerei bleibt beim Modellieren alles stets veränderbar», merkt Prior dazu an. Auch hier ist das Resultat stets die menschliche Natur in der figürlich-abstrakten Zwischenwelt. Priors Eisen- und Bronzeplastiken sind jeweils Abgüsse von hölzernen oder aufmodellierten Werken.

Der kurz nach Kriegsende 1945 im deutschen Wesel geborene Künstler lebt seit 1966 in der Schweiz. Nach seinem Studium an der Kunstgewerbeschule St.Gallen entschied er sich für die Selbstständigkeit als freischaffender Künstler. Klaus Prior lebt und arbeitet heute hauptsächlich im Tessin. Eine enge Verbindung pflegt er seit vielen Jahren mit der Gemeinde Kisslegg im Westallgäu. Im dortigen Schloss ist ihm derzeit eine grosse Einzelausstellung gewidmet.

Priors Hauptrepräsentantin in der Schweiz ist die Zuger Galerie Urs Reichlin, wo seit Mitte Juni eine sorgfältige Auswahl neuerer Werke ausgestellt ist – grossformatige Malerei, Holzskulpturen, Eisen- wie Bronzegüsse und Modelle. Darunter eine eigens für diese Ausstellung angefertigte Skulptur aus Modelliermasse, über 2 Meter hoch. Hier zeigt sich auch, dass Prior sich jüngst vermehrt wieder der Malerei zuwendet. Die Arbeit mit schwerem Gerät geht dem bald 80-jährigen Künstler nicht mehr so leicht von der Hand. Was jedoch bleibt, ist Priors intensive Auseinandersetzung mit dem Menschsein in seiner physischen und psychischen Dimension. Davon legt die ausgestellte Werkwahl in Zug anschaulich Zeugnis ab.

Hinweis

Klaus Prior: «Figure intuitive», Ausstellung in der Galerie Urs Reichlin, Baarerstrasse 133, Zug. Bis 30. August. www.ursreichlin.com


(Text: Andreas Faessler)