Alter Baustoff für die Zukunft

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Das Ziegelei-Museum Cham wagt ein aufregendes Experiment: Ein Turm soll zeigen, dass ein fast vergessener Baustoff uns in eine nachhaltige Zukunft führen könnte. In eine mit viel weniger Beton.

  • Der Turm aus gestapmftem Lehm ist auch ein Forschungsprojekt. (Bild: PD)
    Der Turm aus gestapmftem Lehm ist auch ein Forschungsprojekt. (Bild: PD)
Cham – Dieser Text ist in der Aprilausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Nun steht er da wie etwas aus der tiefsten Vergangenheit: gross, monolithisch, aus Blöcken von gestampftem Lehm. Wie direkt aus dem Boden geschnitten sehen sie aus, die Lehm­elemente, geschmückt von den Spuren des Stampfens, einer Welle auf der Seite, die sich über alle Elemente zieht und das Gebäude so umrundet. Auf dem Dach des Turms flattern die Planen im ersten Frühlingssturm, sie sollen den Lehm vor Regen schützen, bis der Bau abgeschlossen ist. Fehlen nur Fackeln oder Öllampen und Menschen mit rituell wichtigen Kleidern und gesundem Machtbewusstsein, und wir würden uns in einer altbabylonischen Tempelanlage wiederfinden.

Dabei stammt der Turm aus der Zukunft. Aus einer Zukunft, in der nicht mehr nur mit Beton, sondern wieder mit Lehm gebaut wird. Wieder, wie das noch vor 100 Jahren ganz normal war, bevor der Beton den Lehm nahezu komplett verdrängte.
Der Ofenturm in Cham ist fast fertig. Er ist gleichzeitig ein Experiment und eine Einladung. Das Ziegelei-Museum Cham und der Architekt Roger Boltshauser haben ihn in kürzester Zeit realisiert, vor zwei Jahren war das Projekt noch nur eine Idee. «Es stand ein paarmal auf der Kippe, ob wir ihn realisieren können», sagt Judith Matter, die Leiterin Bildung und Vermittlung des Ziegelei-Museums Cham, und steigt die Gerüsttreppe zum Dach des Turms empor. Krümel und Staub fliegen uns entgegen, der Wind frischt auf. «Es ist für unser kleines Museum ein ausserordentlich grosses Projekt. Umso schöner ist es, dass wir ihn doch realisieren konnten. Besonders wichtig war, dass der Kanton schon früh Unterstützung zugesagt hat. Er hat die Problematik erkannt – auch im Kanton Zug werden die Kiesreserven langsam knapp.»

Viel Hilfe von vielen Stellen
Nun steht der Turm da in seiner ganzen Wuchtigkeit. Möglich wurde das durch viel Hilfe von verschiedensten Seiten, durch ein Netzwerk von engagierten Partner*innen: Der Kanton Zug hat das Projekt mit Land und finanzieller Hilfe unterstützt, den Lehm hat die Ziegelei Schuhmacher gesponsert. Die Handarbeit des Lehmstampfens wurde von rund 30 ETH-Studierenden und der Lehmag AG geleistet, mit finanzieller Unterstützung der ETH. Die Studierenden haben ihre Spuren in den Elementen hinterlassen: Hier und da zieren Scherben von farbigen Kacheln die Lehmelemente, sie wurden liebevoll an die Aussenwand der Form platziert. Die Architektur wurde in Grundzügen von Studierenden des Studios Boltshauser an der TU München entworfen und dann von Boltshauser Architekten AG zum nun gebauten Gebäude zusammengeführt.

Mit Spannung gegen Erdbeben
Es ist deshalb ein Experiment, weil es dabei um die Rehabilitation des Werkstoffs geht. Kann ein Gebäude, das nur aus ungebranntem Stampflehm gebaut wurde, erdbebensicher sein? «Wir wollen mit dem Bau die neue Konstruktions­methode mit Vorspannung testen», sagt Roger Boltshauser. «Dass der Bau an sich möglich ist, war uns klar, das haben wir auch bei anderen Gebäuden schon beweisen können. Nun wollen wir zeigen, dass mit einer Vorspannung der Stampflehmelemente auch die Vorschriften zur Erdbebensicherheit eingehalten werden können.» Vorspannung bedeutet: Vertikal gespannte Stahlkabel ziehen die Blöcke zusammen und sorgen so für mehr Stabilität.

100 Jahre aufholen
Das Projekt ist eine Einladung, weil es auch andere Bauprojekte zum Materialwechsel animieren will. «Der Beton hat eine ähnlich schlechte CO2-Bilanz wie die Flugindustrie», sagt Boltshauser. «Wir haben zwar mit Minergie und 
anderen Standards dafür gesorgt, dass die Betriebsenergie von Gebäuden immer tiefer wird. Bei der Erstellungsenergie sind wir aber noch ganz am Anfang. Hier gibt es noch viel zu tun.» Die Nutzung von ungebranntem Lehm könnte viel leisten: Er ist lokal verfügbar, oft sogar als Aushub der Baugrube, der sonst auf Deponien oder in Kiesgruben verfüllt wird. Es braucht viel weniger Energie, um ihn zu Baumaterialien zu formen. Allerdings muss erst wieder Know-how gewonnen werden: «Im Vergleich zum Beton fehlen uns 100 Jahre Forschung», sagt Judith Matter. Der Ofenturm kann ein Stück dazu beitragen, diesen Rückstand aufzuholen. Der Beton wird dabei nicht ganz abgeschafft: «Der Ofenturm ist ein intelligenter Hybrid. Wir können den Beton nur da einsetzen, wo es ihn wirklich braucht. Die Fundamente des Turms sind etwa aus Beton, um die Lehmelemente vor der aufsteigenden Feuchtigkeit zu schützen», sagt Boltshauser. Die Lehmelemente könnten verputzt werden, so hätte man es früher gemacht. «Die Oberfläche des Lehms wurde früher nicht als schön empfunden», sagt Matter. «Man hat ihn weiss verputzt.»

Bezug zur Natur
Heute sind wir uns Sichtbeton gewöhnt – und der Sichtlehm des Ofenturms bietet eine ganz eigene Optik und Haptik. Er wird sich unter den Witterungseinflüssen noch verändern, wird an der Oberfläche teilweise ausgewaschen werden. «Dann stabilisiert sich die Oberfläche», sagt Matter.
Für sie und das Museum ist der Turm eine grosse Erweiterung der Museumsmöglichkeiten. «Der Brennofen in der denkmalgeschützten Ziegelhütte kann nicht mehr genutzt werden», sagt Matter, «nun können wir wieder Ziegel brennen im Ofenturm. Zudem bietet der Ofenturm auch Raum für Ausstellungen, Führungen und Kulturangebote. Hier können wir nun aktiv werden und uns spannende Angebote ausdenken.» Und mit der Plattform sei der Bezug zur Natur und zum geschützten Biotop ebenfalls geschaffen, so Boltshauser. «Hier kann der Lehm in all seinen Facetten erfahren werden.»


(Autor: Falco Meyer)