Schuldig der bitteren Armut

Brauchtum & Geschichte

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Die ledige, dreifache Mutter Katharina Lutiger aus Zug endete 1891 im Armenhaus.

Zug – Die erst 20-jährige Katharina Lutiger liegt in den Wehen, als Ratsherr Heinrich Bucher und Unterweibel Joseph Augustin Speck in der Nacht zum 17. August 1837 nachts um drei Uhr an die Tür ihres Elternhauses an der Ägeristrasse 28 in Zug hämmern. Sie kommen zum Geniessverhör (siehe Kasten). Denn Katharina ist ledig und hat – vermutlich aus Angst vor Ausgrenzung – ihre Schwangerschaft nicht wie vorgeschrieben während der ersten sechs Monate behördlich angezeigt. Deshalb versuchen die Amtsherren nun, mit der grotesken Foltermethode eines Verhörs während der Geburt den Namen des Kindsvaters und die Umstände der Empfängnis von der jungen Mutter in Erfahrung zu bringen. Da die Wohngemeinde für eine ledige Mutter und ihr Kind aufkommen muss, sollte sie über keine eigenen Mittel verfügen, liegt es in ihrem Interesse, den Kindsvater aufzuspüren.

Es ist dies nicht das erste Kind, das die ledige Katharina Lutiger zur Welt bringt. Der Vater ihres Erstgeborenen ist Wilhelm Hoffenbarth, ein hessischer Schmiedgeselle, mit dem die junge Schneiderin «am Tanze gewesen» sei, wie sie beim Vaterschaftsprozess aussagt. Später habe er sie «beym Zurückgehen gebraucht». Ob der Deutsche der 18-Jährigen Gewalt angetan hat, geht nicht aus dem Protokoll hervor. Es war aus damaliger Sicht wohl auch nicht weiter relevant. Der junge Mann entschwindet in sein Heimatland und lässt Katharina mit dem Kind im Stich. Anders der zweite Kindsvater, der österreichische Maurergesell Joseph Mangeng. Er bekennt sich zu Katharina und dem Kind und verspricht ihr die Ehe.

Keine Heiratserlaubnis

Da jedoch seine Familie vom Brautvater 1000 Gulden «Einheurathsgut» verlangt, was der Drechsler Johannes Lutiger nie und nimmer aufbringen kann, leben die jungen Liebenden unter dessen Dach in wilder Ehe. Das Zusammenleben ohne Trauschein wird aber von der Zuger Obrigkeit nicht geduldet. Mangeng wird aus der Stadt gewiesen. Mit diesem Entscheid handelt der Stadtrat den eigenen ökonomischen Interessen zuwider, denn mit der Ausweisung des Mannes vergrössert sich das Risiko, dass Katharina und ihre Kinder armengenössig werden. Aber auf Sitte und Moral wird grösster Wert gelegt.

Ein Jahr später ist der Österreicher zu Katharina zurückgekehrt, die ein weiteres Kind von ihm zur Welt bringt. Nun wird er in Haft genommen, obwohl er sich inzwischen weiter bemüht hat, von seiner Heimatbehörde die Ehebewilligung zu erhalten, die ihm sogar in Aussicht gestellt wird. Trotzdem verweist ihn der Stadtrat des Landes. Nur einen Tag nach seiner polizeilichen Ausweisung kommt von Österreich die offizielle Nachricht, dass Mangeng die Ehebewilligung wahrscheinlich erhalten werde. Der Stadtrat geht nicht darauf ein und lässt folgenden Aktenvermerk notieren: «Ist ad acta zu legen.»

Katharina Lutiger wird zu einer Gefängnisstrafe im Armenhaus verurteilt und praktisch vollständig von der Aussenwelt abgeschnitten. Dies ist im 19. Jahrhundert die gängige Praxis, um weitere uneheliche Geburten zu verhindern. Man stellt ihr den Pfarrer zur Seite, der ihr Moral predigt. Erst auf das Betteln ihrer Eltern hin, welche die drei Enkel ohne Katharinas Hilfe nicht mehr versorgen können, wird sie entlassen. Später heiratet sie einen Taglöhner und bekommt nochmals sieben Kinder. Sie stirbt im Alter von 74 Jahren im Armenhaus. (Cornelia Bisch)

Hinweis
Die neunteilige Serie Zeitreise beleuchtet Persönlichkeiten, die im Kanton Zug oder daraus stammend Geschichte schrieben. Im neunten und letzten Teil geht es um das Schicksal der ledigen Mutter Katharina Lutiger. Quelle: 23 Lebensgeschichten, herausgegeben vom Regierungsrat des Kantons Zug, 1998.

Verheiratete Männer waren unantastbar

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Verantwortung für aussereheliche Geburten zunehmend auf die Frauen abgeschoben. Sie konnten eine Alimentationsklage einreichen, die jedoch an viele Bedingungen geknüpft war. So hing der Anspruch auf Alimente zum Beispiel vom bisherigen Lebenswandel der Mutter ab, und gegen verheiratete Männer durfte keine Klage geführt werden. Bürgern der unteren sozialen Schichten war eine Heirat oft aus finanziellen Gründen verwehrt, sodass die Armut und keineswegs ein liederlicher Lebenswandel zu Geburten ohne Trauschein führten. Mit Gefängnisstrafen und sozialer Ächtung wurden die Betroffenen doppelt gestraft.

Der Begriff «Geniessverhör» kommt vom Verb «genesen» und war im 18. und 19. Jahrhundert ein Ausdruck für Geburt und Kindbett. Man genas quasi von den Strapazen von Schwangerschaft und Geburt. (cb)