Zugs erster Finanzskandal

Brauchtum & Geschichte

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Bevor die Holding- und Domizilgesellschaften in Zug zugelassen waren, kam es schon 1922 zum ersten Finanzskandal einer Zuger Rohstofffirma, die international vernetzt war.

  • Die einstige Zuger Hauptpost am Postplatz: Hier war die skandalumwitterte Promontana untergebracht. (Bild zentralgut.ch/Bibliothek Zug)
    Die einstige Zuger Hauptpost am Postplatz: Hier war die skandalumwitterte Promontana untergebracht. (Bild zentralgut.ch/Bibliothek Zug)
  • Hugo Stinnes: Er war einer der mächtigsten Industriellen Deutschlands und agierte schon 1921 in Zug. (Bild Lemo)
    Hugo Stinnes: Er war einer der mächtigsten Industriellen Deutschlands und agierte schon 1921 in Zug. (Bild Lemo)
  • Eugen Keller-Huguenin: Er schuf die Zuger Steuergesetze und setzte sich für Stinnes und Castiglione ein. (Bild Keller 1944)
    Eugen Keller-Huguenin: Er schuf die Zuger Steuergesetze und setzte sich für Stinnes und Castiglione ein. (Bild Keller 1944)
  • Josef Knüsel: Der Zuger Landammann war zuerst gegen eine Begünstigung der Promontana Holding. (Bild Meinrad Iten(
    Josef Knüsel: Der Zuger Landammann war zuerst gegen eine Begünstigung der Promontana Holding. (Bild Meinrad Iten(
  • Otto Henggeler: Der damalige Zuger Finanzdirektor war an den neuen Steuergesetzen beteiligt. (Bild Zuger Kantonalbank)
    Otto Henggeler: Der damalige Zuger Finanzdirektor war an den neuen Steuergesetzen beteiligt. (Bild Zuger Kantonalbank)
  • Camillo Castiglione: Der gefeierte und gefürchtete Industrielle und Financier war der Partner von Stinnes. (Bild BMW Group)
    Camillo Castiglione: Der gefeierte und gefürchtete Industrielle und Financier war der Partner von Stinnes. (Bild BMW Group)

Zug – Kaum ein Finanzskandal in der Gegenwart kommt ohne Beteiligung einer Zuger Firma aus. Das hängt mit der hohen Firmendichte in Zug und natürlich mit der Privilegierung von Holding- und Domizilgesellschaften zusammen, die der Kanton Zug seit 1924 kennt. Deren Geschäftstätigkeiten im Ausland sind nicht immer transparent und müssen es von Gesetzes wegen auch nicht sein.

Doch hier ist von einem Zuger Finanzskandal zu berichten, der sich bereits vor der Privilegierung von juristischen Personen im Kanton Zug ereignet hat. Es war im Jahre 1921, im Jahr der internationalen Wirtschaftskrise, und es ging um die in Zug ansässige Firma Promontana A.-G.

Der deutsche Industrielle Hugo Stinnes (1870–1924) war zu jener Zeit einer der wichtigsten, mächtigsten und reichsten Industriellen Deutschlands. Stinnes hatte über Schweizer Gewährsmänner die Promontana mit Sitz in Zug gegründet und mit dem hohen Aktienkapital von 500 000 Franken ausgestattet.

Damit kaufte Stinnes, Europas Bergbauunternehmer Nummer eins, 200 000 Aktien der «Alpinen Montangesellschaft» von der Fiat-Gruppe, was ihn etwa 80 Millionen Lire respektive 200 Millionen Reichsmark kostete.

Die «Montangesellschaft» verfügte somit über die grössten Eisenbergwerke in ganz Europa und gehörte jetzt zu 40 Prozent der Zuger Promontana A.-G., die damit die erste der Rohstoffhandelsfirmen in Zug war, die heute so bekannt sind. Untergebracht war die Gesellschaft übrigens im repräsentativen Postgebäude am Zuger Postplatz.

Interessanter Verwaltungsrat

So weit, so gut. Nur – ein genauer Blick in die Tiefen der Geschichte lohnt sich. Denn im ersten Verwaltungsrat dieser neuen Zuger Firma sass unter anderem Dr. Eugen Keller-Huguenin (1872–1941), ein Wirtschaftsanwalt aus Zürich. Dieser hatte ein Ferienhaus in Zug, nämlich das herrschaftliche Anwesen Farnbühl in der Schönegg. Er war einer der Promotoren der Zugerbergbahn gewesen.

In die Zuger Geschichte ging er aber vor allem ein, weil er als Zürcher Wirtschaftsanwalt den Anstoss für die Zuger Privilegierung von Holding- und Domizilgesellschaften gegeben hatte; er war es, der fast im Alleingang die firmenfreundlichen Steuergesetze durchboxte. Dass dieser Keller-Huguenin bei diesem ersten Zuger Finanzskandal am Rande beteiligt war, macht die ganze Sache noch brisanter.

Denn nach dem Kauf von zwei Fünfteln der Aktien tat sich Hugo Stinnes mit seinem italienischen Geschäftspartner Camillo Castiglione (1879–1957) zusammen. Mit dessen Anteilen verfügte nun das Duo Stinnes-Castiglione über die Mehrheit der Alpinen Montangesellschaft. Das machten sich die beiden Herren zunutze, indem sie das schamlos ausnützten. Denn sie begannen, die anderen Anteile der Montangesellschaft abzuwerten, in dem sie eine Kapitalerhöhung nach der anderen durchführten, sodass «die Mehrheit der neuen Aktien dem Zuger Trust für ein Butterbrot zufiel», wie eine damalige Zeitung beschrieb. So sank der Besitzanteil der freien Aktionäre zwischen März 1921 und Dezember 1922 von 49 auf 31 Prozent.

Besonders pikant war: In dieser Zeit der Ausdünnung des Aktionariats lief die Bergbaufirma blendend und erzielte einen Gewinn von 56 Millionen Reichsmark, was Stinnes und Castiglione 1922 sehr reich werden liess. Das war zwar alles nicht illegal, aber sehr unschön und widersprach den Grundgedanken des Aktienrechts.

Kritische Presse

Die schweizerische «Finanz-Revue» hatte in Italien recherchiert und berichtete, dass man dort über die Promontana sehr verärgert sei. Das Fachblatt nannte es einen Skandal und meinte ironisch: «Dinge, die in Zug spielen, von denen die Zuger aber nichts zu wissen brauchen.»

Die «Gewerkschaftliche Rundschau» sprach davon, dass über die Geschäftstätigkeit der Promontana nichts bekannt sei: «Sie wird umso intensiver im Stillen arbeiten», und die Schweiz entwickle sich gerade zum «Eldorado des Effektenkapitalismus». Und die Zeitung «Die Gewerkschaft» kritisierte das Gebaren als «kapitalistische Hexenküche».

Obwohl sich die Promontana am Rande der Legalität bewegte und den Wirtschaftsstandort Zug in Misskredit gebracht hatte, gelang es Promontana-Verwaltungsrat Eugen Keller-Huguenin, für seine Firma in Zug eine Sonderbehandlung zu erreichen. Denn gerade, als die Stinnes und Castiglione die Promontana-Aktionäre aushungerten, liefen die Verhandlungen für die firmenfreundlichen Steuergesetze im Kanton Zug, die noch nicht in Kraft waren.

Deshalb ging Wirtschaftsanwalt Keller am 25. Oktober 1922 zu Landammann Josef Knüsel (1868–1943) und zu Finanzdirektor Otto Henggeler (1877–1947), um eine tiefere Holdingbesteuerung für die Promontana zu erreichen – notabene bevor das entsprechende Gesetz beraten und in Kraft gesetzt war. Knüsel wies das als «unmöglich» zurück.

Daraufhin ergab sich eine «längere Beratung», und Keller-Huguenin präsentierte einen Kompromiss: Die Gesellschaft würde nur ein Fünftel des Aktienkapitals einzahlen und besteuern, womit die Begünstigung, wie sie das Gesetz vorsehe, indirekt auch gewährt würde. Damit waren die Regierungsräte einverstanden, Keller-Huguenin ebenso. Damit war die erste Privilegierung einer Holdinggesellschaft in Zug Tatsache, bevor es das entsprechende Gesetz gab. (Text von Michael van Orsouw)

Hinweis
Dr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge fünf geht es um ein illegal betriebenes Bordell.