Hier ruht der Müller (nicht)

Dies & Das

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Der Architekt der alten Lorzentobelbrücke wurde seinerzeit belächelt. Heute jedoch hält man ihn in Ehren und hat seinen Grabstein gar zu einem Denkmal gemacht.

  • Ein Grabstein wird zum Ehrenmal: Es erinnert an den Erbauer der alten Lorzentobelbrücke. (Bild Stefan Kaiser)
    Ein Grabstein wird zum Ehrenmal: Es erinnert an den Erbauer der alten Lorzentobelbrücke. (Bild Stefan Kaiser)

Baar – Da steh’ ich plötzlich an der Tobelbtücke ein kühner Bau, behauen fein die Steine, gefügt gar fest zu mächtig hohen Bogen, die Riesen gleich die Ufer beidenthalb mit Kraft umklammern und zusammenschliessen – und unten träumt die Lorze...»

Die poetisch abgefasste Ode eines Ägerers an die 1910 eröffnete Lorzentobelbrücke lässt erahnen, was das Bauwerk für einen Eindruck auf das Volk machen musste. Heute entzieht sich das beeindruckende Bogenviadukt mit fünf Mittelgewölben dem Blickfeld der über die neue Brücke bretternden Verkehrsteilnehmer.

Spaziergänger und Velofahrer hingegen, die den Weg über das historische Monument wählen, kommen unmittelbar vor dem Brückenkopf an einem mannshohen Steinblock vorbei. Darauf zu lesen: Franz Jos. Müller-Letter, a. kant. Ing., 18681944. Darüber das kunstvoll ornamentierte Familienwappen der Ägerer Müller, darunter ein Relief der Lorzentobelbrücke von 1910. Was aussieht wie ein Grabstein, ist – ein Grabstein. Genau genommen ist Müllers Grabstein hiermit zu einem so genannten Kenotaph geworden: ein «Scheingrab» ohne sterbliche Überreste, das der Ehre des Verstorbenen dient. Franz Joseph Müller, der «Wart» bei Morgarten entstammend, war Kantonsingenieur und hatte 1905 den Zuschlag für sein Projekt zur Lorzentobelbrücke erhalten. Über 40 Jahre hatte es gedauert, bis die Pläne für diesen Übergang endlich konkret zu werden versprachen. 1906 sagte schliesslich auch das Volk Ja zu Müllers Bauvorschlag, dessen Realisierung im Folgejahr begann. Als gelernter Förster war Müller an die ETH gegangen, um das Studium als Kulturingenieur und Strassenbauer anzugehen und zu vollenden.

Franz Joseph Müller, dessen letzte Ruhestätte der ehemalige Grabstein einst markiert hatte, war zu Lebzeiten nicht nur wegen seines Amtes eine kantonsweit bekannte Persönlichkeit, wie der Zuger Schriftsteller Max Huwyler weiss. In einer von ihm abgefassten Gastkolumne in dieser Zeitung war letzten Herbst zu entnehmen, wie der Architekt einst zu seinem Übernamen «Rankmüller» kam. Man habe ihn auf eher spöttische Weise so genannt, legt Huwyler dar, weil er dazu tendierte, die Strassen im Kanton besonders kurvenreich anzulegen. So richtig deutlich wird dies bei den Strecken nach Ägeri und dem See entlang nach Walchwil. Auch heute noch entsprechen diese Strassen weitestgehend der vom Kantonsingenieur ursprünglich realisierten Linienführung. Machte man sich damals im Kanton also lustig über den Rankmüller und seine rankreichen Strassen, so weiss ihn Max Huwlyer posthum zu «rehabilitieren», indem er bei Rankmüllers Planung eine gewisse Umsichtigkeit gegenüber der Natur feststellt. Als Wegleger sei Müller nicht allein von den technischen Möglichkeiten und von den Bedürfnissen der künftigen Benützer ausgegangen, schreibt Max Huwyler, sondern er habe die naturgestalteten Vorgaben «partnerschaftlich in seine Projekte einbezogen». Der Kantonsingenieur dürfte demzufolge nicht etwa aus lauter «Lust und Laune» so kurvenreich geplant haben, sondern hat es wohl vorgezogen, seine Strassen der Landschaft anzupassen, ohne zu stark in diese eingreifen zu müssen.

Als man vor fast 30 Jahren die neue Lorzentobelbrücke ihrer Bestimmung übergab, wurde dank einem Komitee Rankmüllers Bauwerk nicht abgetragen, sondern erhalten. Zum Glück, denn man wird dem Urteil Max Huwylers zustimmen, dass sie ein «beachtenswertes Stück Brückenbaukunst» ist. Auch die vielen Wanderer und Radler mögen es dem Komitee danken, dass es ihnen somit erspart bleibt, den Weg über die neue Brücke einschlagen zu müssen, wo der Verkehr mit 80 Stundenkilometern über den Asphalt rast.

Nachdem die Grabstelle des 1944 verstorbenen Rankmüller aufgelassen worden war, wurde der Grabstein im Lager des Tiefbauamtes deponiert. Der während des Baus der neuen Lorzentobelbrücke amtierende Kantonsingenieur Hans Schwegler erwirkte die Überführung von Müllers Grabstein an seinen heutigen Ort beim Kopf «seiner» Brücke. Der Grabstein ist demzufolge nicht nur ein Kenotaph, sondern auch oder sogar eher – ein Denkmal. (Andreas Faessler)

 

Hinweis
Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.