Sammeln spiegelt hier Geschichte

Brauchtum & Geschichte

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Der Philatelistenverein Zug hielt seine Briefmarkenbörse zum ersten Mal im neuen Lokal – mit unerwartet hohem Zustrom. Der Anlass bewies auch, in welch facettenreiche historische Tiefen das Sammeln führen kann.

  • Die Briefmarkenbörse des Philatelistenvereins Zug in ihrem neuen Lokal. (Bild Maria Schmid)
    Die Briefmarkenbörse des Philatelistenvereins Zug in ihrem neuen Lokal. (Bild Maria Schmid)

Zug – Am Sonntagmorgen wird die Siemens-Mensa «Five moods» kurzerhand zur grosszügigen Briefmarkenbörse des Philatelistenvereins Zug umfunktioniert: An den langen Tischen breiten Hobby- und Profisammler in Schachteln, Karteien und Alben ihre Schätze aus, und gleich ab Öffnungszeit um 9.30 Uhr stellen sich die ersten Besucherinnen und Besucher ein. «Personen, die ich noch nie gesehen habe!», freut sich der Vereinspräsident Stefan Sägesser.

Der hochengagierte Philatelie-Profi ist überall gleichzeitig, betreibt seinen eigenen Stand, begrüsst Gäste und fachsimpelt mit Kollegen. Die intensive Stimmung im Raum erzählt von Sammlerleidenschaft. Börsenobmann Silvio Freund beschreibt, wie er als Kind fasziniert war von den farbigen Marken im Nachlass seiner Grosseltern, das Hobby in der Jugendzeit jedoch aufgab, um es später im Leben wiederzuentdecken – und schliesslich sogar zum Beruf zu machen. Die Faszination des Sammelns habe die unterschiedlichsten Ursprünge: Die einen sammeln nach Bildthemen wie beispielsweise Berghütten, Burgen und Schlösser, Pferde oder Luftseilbahnen, die anderen nach Ländern – international und weltweit. Einige fokussieren auf «Vorphilatelie», also Briefumschläge aus einer Zeit, in der es noch keine Marken, sondern nur Poststempel gab. Überhaupt bevorzugen die Sammler Marken samt ihren Originalcouverts, forschen nach bestimmten Stempeln wie dem «Zuger P.P.» oder der «Rosette von Ossingen». Für den Wert einer Marke sind aber auch die «Zähne» am Rand oder das Papier wichtig. Oder es fasziniert ein historisches Thema. So hat Sägesser eine Sammlung «Postgeschichte des Kantons Zug» aufgebaut, mit der er an der internationalen Briefmarkenausstellung «Pro Helvetia 2022» in Lugano erfolgreich teilnehmen durfte. Begeistert schildert er, wie das Sammeln zu einer Auseinandersetzung mit der Geschichte «hinter den jeweiligen Objekten» werden kann.

Von Profis und Händlern

Seit 2022 ist Sägesser Vollprofi, kauft und verkauft als Briefmarkenhändler und Numismatiker, berät und gibt Kurse, will sein über Jahrzehnte gesammeltes Wissen weitergeben. In seiner Funktion als Vorstandsmitglied des Verbands Schweizerischer Philatelisten-Vereine VSPhV liegt ihm die Nachwuchsförderung besonders am Herzen – etwa mit Klassenbesuchen, Ferienpässen und Workshops. Auch an der Börse gibt es eine Jugendecke – mit einer Schatztruhe voller bunter Marken, einem Marken-Memory und Papier und Farbstiften, um selbst Marken zu designen.

Hier treffen sich aber auch Auktionsprofis, wie zum Beispiel Tobias Schwarzentruber von der «Luzernerraute GmbH» (Sursee), dessen Geschäft davon lebt, dass Marken zu Kapitalanlagen werden können. Basis für das Handeln mit Briefmarken sind zwei Kataloge, der «Zumstein» und der «Schweizer Briefmarken Katalog» des Schweizerischen Briefmarken-Händler-Verbandes SBHV – dicke Bücher, in denen philatelistische Schätze beschrieben und mit einem Referenzpreis versehen sind.

Geschichten und Weltgeschichte

An einem der Tische hat Urs Calonder, Profi-Händler und internationaler Auktionator der «Swissasia Philately Ltd» sowie Präsident des Philatelistenvereins Rätia (Chur), seine Spezialitäten, nämlich Kostbarkeiten zwischen der Schweiz und Fernost, ausgebreitet. Er erzählt von einer Bundesfeierkarte aus dem Jahr 1930 an den in China weilenden deutschen Tropenmediziner Gerhard Rose: Durch Recherchen war zu erfahren, dass es sich um einen späteren NS-Arzt handelte, der bei den Nürnberger Prozessen 1945-49 wegen Menschenversuchen an KZ-Insassen verurteilt wurde. So kann die philatelistische Liebhaberei unversehens zu individuellen Biografien und historischen Abgründen führen. (Text von Dorotea Bitterli)

Hinweis
Die nächste Briefmarkenbörse findet statt am 11. Juni 2023. www.philatelistenverein-zug.ch