Auf den Moore gekommen

Kunst & Baukultur, Dies & Das

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Über den ganzen Erdball sind die Skulpturen eines der grössten Bildhauer der Neuzeit verstreut. In der Schweiz gibt es nur wenige Städte, die ein Monumentalwerk von ihm besitzen. Zug ist eine davon.

  • Wacht im Seeliken über das Seebecken: die «Edge Knife Figure» von Henry Moore. (Bild Stefan Kaiser)
    Wacht im Seeliken über das Seebecken: die «Edge Knife Figure» von Henry Moore. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die grossformatigen abstrakten Skulpturen Henry Moores (18981986) sind auf der ganzen Welt zu finden – im öffentlichen Raum oder in Museen. An mindestens sechs renommierten Häusern in Grossbritannien, Dänemark und Kanada ist Moores Werk fixer Gegenstand von Sammlungen und Dauerausstellungen. Umso bemerkenswerter, dass auch unserer beschaulichen Stadt Zug einst die Ehre zuteil ward, eine besonders grosse Plastik des berühmten britischen Bildhauers zu erhalten, die im öffentlichen Raum zu sehen ist. Und dazu an einem vor allem in den Sommermonaten sehr prominenten Ort. Die knapp vier Meter hohe «Edge Knife Figure», eine Messerschneiden-Figur, scheint von ihrem Podest aus beim Eingang zur Badi Seeliken direkt am Wasser über die Schwimmenden zu wachen. Dies war jedoch nicht von Anfang an ihr Standort.

 

Im Jahre 1977 erwarb die Stiftung Landis & Gyr die riesenhafte Bronzeplastik, um sie vorerst auf ihrem Firmenareal aufzustellen. Die Initiative zum Erwerb der Figur war vom L&G-Stiftungssekretär Heinz Hertach ausgegangen, der von einer grossen Moore-Ausstellung in Zürich im Jahr zuvor beeindruckt war. Dreimal fuhr Hertach nach London, um beim Meister persönlich das Objekt der Begierde auszuwählen. Auf dem Firmenareal eingeweiht wurde die Skulptur am 26. April 1977. Die einführenden Worte dazu kamen vom Zürcher Kunsthistoriker Hans-Jörg Heusser, späterer Direktor des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft. Zug rühmte sich zu dem Zeitpunkt, als fünfte Schweizer Stadt ein Moore-Werk dieser Grösse zu besitzen. Der Aufstellungsort in der Firma war von Anfang an als provisorisch deklariert. Bereits damals war geplant, die Skulptur der Stadt Zug als Geschenk zu übergeben und sie nach der grossen Casino-Erweiterung dort am See definitiv aufzustellen. So kam es dann auch. Eine weitere, wesentliche kleinere Moore-Bronzefigur steht im Übrigen im Foyer des L&G-Gebäudes. Sie heisst «Reclining Figure Angels» und ist in etwa zum selben Zeitpunkt wie die Figur im Seeliken entstanden.

Mit der «Edge Knife Figure» war seinerzeit erstmals in der Schweiz ein Beispiel Moores aus dessen Schaffensreihe stelenhafter «Standing Figures» öffentlich zu sehen, wusste Heusser zu berichten und betonte damit, mit was für einer herausragenden Errungenschaft Zug sich rühmen durfte. Der damals 78-jährige Meister war auf der Höhe seiner Kunst, erklärte Heusser weiter. Die eindrucksvolle Statue im Seeliken geht auf eine Prototyp-Plastik aus dem Jahre 1961 zurück, von der Moore selbst sagte, sie weise etwas Knochenhaftes auf, sei gleichsam eine Figur mit Flügeln und eine Messerschneide. Diese Charakteristika weist auch die Zuger «Edge Knife Figure» auf. Der Künstler sah darin zudem wohl eine Verbindung zur Nike von Samothrake, wie Heusser ausführte. Nike war eine geflügelte Frau, eine Mensch-Vogel-Mischung also. Eine Art Vorgänger christlicher Engelswesen. Gleichzeitig suggeriert die Plastik ausgeprägte Weiblichkeit, wie sie einem Grossteil von Moores Figuren innewohnt.

Stoisch und unerschütterlich trotzt die monumentale Bronzeplastik am See beim Casino Wind und Wetter. Fest auf einem Betonsockel fixiert, weckt das weitgehend undefinierbare und doch so ausdrucksstarke Wesen allerlei Assoziationen. (Andreas Faessler)

HINWEIS
Mit «Hingeschaut!» gehen wir wöchentlich mehr oder weniger auffälligen Details mit kulturellem Hintergrund im Kanton Zug nach.