Jetzt kommen Gehrs Bilder zu Wort

Kunst & Baukultur, Brauchtum & Geschichte

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Der Streit um die «skandalösen» Fresken in der Oberwiler Kirche Bruder Klaus sorgten in den 1950er-Jahren international für Schlagzeilen. Mit modernsten Mitteln wird die Geschichte effektvoll neu erzählt.

  • Der Zuger Historiker Michael van Orsouw, Kirchenratspräsident Patrice Riedo und der technische Leiter Martin Riesen (von links) im Altarraum der Bruder-Klaus-Kirche. Mit «Verhüllt» erwachen die Gehr-Fresken und damit auch Bruder Klaus (zweites Bild) zum Leben. (Bilder Patrick Hürlimann)
    Der Zuger Historiker Michael van Orsouw, Kirchenratspräsident Patrice Riedo und der technische Leiter Martin Riesen (von links) im Altarraum der Bruder-Klaus-Kirche. Mit «Verhüllt» erwachen die Gehr-Fresken und damit auch Bruder Klaus (zweites Bild) zum Leben. (Bilder Patrick Hürlimann)

Oberwil b. Zug – Es gibt Geschichten, die wirken irgendwann so ausgelutscht, dass sie niemanden mehr abholen, wenn sie zum x-ten Mal wiedergekäut werden. Und dann gibt es Episoden, die trotz hinlänglicher Bekanntheit selbst nach Jahrzehnten noch ausreichend Potenzial haben, neu und frisch erzählt zu werden. So wie diejenige des «Oberwiler Bilderstreites» anno 1957, der aus heutiger Sicht gar amüsieren mag, damals aber für eine ernsthafte gesellschaftliche Spaltung der Bevölkerung sorgte und Wellen bis nach Übersee schlug.

Einigen älteren Semestern dürfte die Angelegenheit noch lebhaft in Erinnerung sein: Als nach der Fertigstellung der neuen Oberwiler Pfarrkirche Bruder Klaus der seinerzeit populärste Kirchenmaler Ferdinand Gehr (1896–1996) die künstlerische Gestaltung der Innenwände vornahm, sorgte bereits sein erstes Fresko für einen Skandal. Ein grosser Teil der konservativ-katholischen, eine barocke Bildsprache gewohnten Oberwiler war entsetzt ob der naiv-kindlichen Ausführung von Gehrs Figuren. Engel wie «fliegende Spiegeleier», ein moppeliger Jesus, wie von Kleinkinderhand gemalt. «Blasphemie!», schrien einige. Andere hingegen, darunter auch der Kirchenrat selbst, fanden die Malereien innovativ und revolutionär.

Es ist im Spiegel der Zeit zu betrachten: Damals zeichneten sich in der säkularen Gesellschaft neue Jugend-Strömungen ab, was die konservativeren älteren Generationen verunsicherte. Als sich solche Tendenzen nun auch innerhalb der Kirchenmauern bemerkbar machten, war für viele eine wichtige Grenze überschritten. Die Kluft zwischen Befürwortern und Gegnern der Gehr-Fresken war so gross, dass man sich entschied, sie nach ihrer Fertigstellung mit Vorhängen zu bedecken. Der Zuger Historiker Michael van Orsouw weiss gar von einer Oberwiler Familie, deren Hausfrieden wegen dieses Zwiespalts kippte und in ein schweres Zerwürfnis mündete. «Jahrelang war die gesamte Familie deswegen entzweit. Man sass nicht mehr wie zuvor gemeinsam am Tisch», so van Orsouw.

Kunstprojekt für die Sinne

Um die Tragweite dieses Krachs um die Fresken in der Oberwiler Kirche aus heutiger Sicht (neu) fassbar zu machen, haben Michael van Orsouw und der Zuger Grafikdesigner Daniel Christen das Projekt «Verhüllt» aus der Taufe gehoben. Mit einer aufwendig konzipierten multimedialen Inszenierung wollten sie die Geschichte aufbereiten und mit modernsten technischen Mitteln einen neuen Zugang schaffen. Entstanden ist dieses Kunstprojekt für die Sinne mit Christen als Projektleiter und van Orsouw als Dramaturgieverantwortlichen in Zusammenarbeit mit jungen Zuger Musikerinnen und Musikern sowie Animationsfachleuten vom Berner Studio Piaf. Zahlreiche öffentliche Sponsoren unterstützen das Projekt – und auffallend viele Private. «Das zeigt eindrücklich, dass da noch immer viele persönliche Bezüge und Bindungen dahinter stecken», sagt van Orsouw dazu.

Wie muss man sich «Verhüllt» vorstellen? Der gesamte Kirchenraum wird in das Geschehen miteinbezogen, seine Decke und insbesondere seine Wände als Träger der Gehr-Fresken werden durch akribisch choreografierte Lichteffekte und Bildanimationen zur bewegten Bühne. Die Malereien erwachen zum Leben, fangen an zu sprechen. Stellenweise wird historisches Film- und Fotomaterial eingebunden; Licht, Farben und Formen vereinen sich zu einem eindrücklichen audiovisuellen Spektakel. Vom Zuger Komponisten Luigi Laveglia eigens geschriebene Musik begleitet das Schauspiel klanglich passend. Die Stimmen von Judith Stadlin und Walter Sigi Arnold erzählen dazu die Geschichte. Um die inhaltliche Authentizität des Spektakels zu untermauern, haben die Macher die Tochter Ferdinand Gehrs und den Sohn des Kirchenerbauers Hanns A. Brütsch in den Erarbeitungsprozess miteinbezogen.

Parabel auf den «Oberweiler Bilderstreit»

«Wir wollen mit diesem Projekt nicht nur die Geschichte um den Bilderstreit von damals nacherzählen», erklärt Michael van Orsouw. «Wir greifen damit auch grundlegende Fragen auf, die einst wie jetzt Aktualität haben. Welche Werte sind uns wichtig? Wie gehen wir mit Modernisierung und Fortschritt um? ‹Verhüllt› ist als eine Art Parabel auf diese Auseinandersetzung zu verstehen.» Der Bilderkrach von Oberwil – es ist eine Geschichte, die in ihrem Kern einen zeitlosen Symbolcharakter hat. Und genau deshalb darf und soll sie wieder erzählt werden. (Andreas Faessler)