Als die Form der Funktion folgte

Kunst & Baukultur

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Das so genannte «Wilhelmgebäude» ist optisch das pure Gegenteil des benachbarten Athene-Schulhauses.

  • Das «Wilhelmgebäude» an der Hofstrasse zieht die Blicke beim Vorbeikommen kaum auf sich, erzählt aber eine interessante Geschichte. (Bild Stefan Kaiser)
    Das «Wilhelmgebäude» an der Hofstrasse zieht die Blicke beim Vorbeikommen kaum auf sich, erzählt aber eine interessante Geschichte. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Die «Athene» an der Zuger Hofstrasse gehört unbestritten zu den schönsten Schulbauten in der näheren Umgebung. Gegen die klassizistische Ästhetik des Bauwerks aus dem 19. Jahrhundert wirkt das unmittelbar südlich am Mänibach gelegene Objekt blass und geradezu fehl am Platz. Mit seinem eher unspektakulären Äusseren und der vollständigen Schmucklosigkeit erweckt es gar den Eindruck eines Provisoriums, das man irgendwann vergessen hat wegzuräumen.

Der wahre architekturhistorische Wert dieses unauffälligen Baus erschliesst sich einem erst bei der tieferen Auseinandersetzung. Man kennt das zum Schulkomplex gehörende Objekt als «Wilhelmgebäude», benannt nach seinem Erbauer, dem für die Entwicklung der Stadt Zug nicht unbedeutenden Architekten Walter Friedrich Wilhelm (1892-1961).

Ein typischer Bau der Moderne

Es handelt sich um einen Schulhausbau mit Aula und seeseitig angefügter Turnhalle. Von der auf Level des ersten Obergeschosses verlaufenden Hofstrasse ist das Gebäude via überdachter Bogenbrücke erschlossen. Bei flüchtiger Betrachtung mag man seine Erbauungszeit in die 1960er-Jahre schätzen, doch steht es hier seit 1939. Das mittlerweile über 80-jährige Gebäude gilt aus architekturgeschichtlicher Sicht als «typischer Bau der Moderne, dessen programmatischer Grundsatz ‹form follows function› exemplarisch umgesetzt ist». So würdigte das Amt für Denkmalpflege das Wilhelmgebäude anlässlich einer 2003 abgeschlossenen Restaurierung und Unterschutzstellung.

Als Schulhaus handle es sich um einen Pionierbau, der auch im gesamtschweizerischen Kontext ein wichtiger architekturhistorischer Zeitzeuge darstelle, notierte das Amt weiter. Warum also angesichts dieser – vermeintlichen – Unscheinbarkeit?

Eingeordnet in die Entwicklung des modernen Bauens repräsentiert das Wilhelmgebäude den neusten Stand von damals und entspricht ganz den in jener Zeit aktuellsten pädagogischen Konzepten. Am äusseren Erscheinungsbild, den Proportionen wie auch der rhythmischen Anordnung der hochrechteckigen und quadratischen Fenster und Eingänge ist die Funktion des Inneren direkt ablesbar. Das Bauwerk zeichnet sich vor allem durch seine Zweckmässigkeit aus, was seinerzeit neu war. Der Architekt sah im Innern auch ein in sich stimmiges Farbkonzept vor mit unaufdringlicher Farbigkeit, die durch feine Unterschiede im Ton sanft variierte. Dies ist im Laufe der Jahrzehnte wegen wiederholter Renovationen und Anpassungen an die Zeit verloren gegangen. Im Zuge der Restaurierung von 2003 ist das Farbkonzept Wilhelms wieder hergestellt worden.

Die städtebauliche Entwicklung beeinflusst

Am Wilhelmgebäude lässt sich die Handschrift des Architekten gut erkennen, und wir finden sie in ähnlich klarer, gradliniger Form an der zwei Jahre vorher ebenfalls von Walter F. Wilhelm (mit)erbauten Gut-Hirt-Kirche an der Baarerstrasse. Auch sie gilt als für damals wegweisend für das moderne Bauen. Der Vater des 1892 in Mollis GL geborenen Wilhelm arbeitete in Zug als Maschineningenieur bei den Wasserwerken. Der angehende Architekt besuchte hier die Kantonsschule, studierte danach Architektur an der ETH und liess sich nach einem kurzen Intermezzo im Baubüro seines Vaters bei den Nordostschweizerischen Kraftwerken anstellen. Wilhelms erstes Grossprojekt waren zum Kraftwerk Wägital gehörende Wohnsiedlungen.

Nach der Heirat mit Maria Amstad (1899-1991) anno 1925 zog Wilhelm zurück nach Zug, wo er gemeinsam mit Alois Stadler bis 1944 ein Architekturbüro betrieb, das sich bis weit über die Kantonsgrenzen hinaus einen Namen machte – in diesem Büro sind auch die Pläne für das Wilhelmgebäude entstanden, wo der Architekt bis 1960 nebenamtlich Zeichenunterricht erteilt hat. Mit seinem eigenen Büro nach dieser Periode hielt Wilhelm sein Renommée aufrecht – er war geschätzt für seine einfachen, zweckmässigen Bauten mit klaren Formen. Wilhelm war jahrelang Mitglied der Zuger Baukommission und hat auch in dieser Funktion nachhaltig Einfluss auf die bauliche Entwicklung der Stadt Zug genommen.

Bis kurz vor seinem Ableben anno 1961 war Wilhelm fleissiger Teilnehmer an Architekturwettbewerben, von denen er mehrere prestigeträchtige gewann. Zu weiteren Bauten Wilhelms im Kanton Zug – teilweise gemeinsam mit Stadler ausgeführt – gehören neben dem Wilhelmgebäude an der Hofstrasse und der Gut-Hirt-Kirche auch das Schulhaus Menzingen Dorf, die Badeanstalt Seeliken in Zug, das Boots- und Clubhaus am Zuger Yachthafen sowie eine grössere Anzahl Wohnhäuser und Villen – auch ausserhalb des Kantons. (Text von Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.