Ein bisschen verstrahlt

Musik

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Man könnte eine ganze Reihe an schönen Metaphern machen – «breitet Flügel aus» oder «fliegt hoch» – zur Sängerin und Musikern Ay Wing. Denn sie hebt gerade ziemlich ab.

  • Ay Wing setzt auf Kollaboration. (BIld: zvg)
    Ay Wing setzt auf Kollaboration. (BIld: zvg)
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Es läuft nicht schlecht für Alexandra Landtwing aka Ay Wing. Man könnte sogar sagen: Es läuft richtig gut. Weit über drei Millionen Mal wurde ihr Song «Orange Dreamer» auf Spotify in den letzten Wochen gestreamt. Jeden Tag kommen Tausende Male dazu und auch auf Radiosendern in ganz Europa und in den USA wird er gespielt. «Das war echt eine Überraschung», sagt Landtwing, die gerade in Berlin in ihrer Küche sitzt. «Es gibt ja immer Songs, bei welchen man damit rechnet, dass sie gut ankommen werden und Erfolge einfahren. ‹Orange Dreamer› war keiner davon.» Umso mehr freue es sie.
Dass sie im März auch noch die Ehre hatte, bei SRF als «Best Talent» ziemlich viel Plattform zu bekommen, habe ihr zusätzlichen Auftrieb gegeben. Viele Auftritte und neue Kontakte seien daraus resultiert. Und es habe ihr gezeigt, dass ihre Musik in der Schweiz doch auch ankomme. «Ich hatte lange das Gefühl, dass mein Stil in der Schweiz weniger gefragt ist. Hier laufen Mundartpop und alles im Singer-Songwriter-Bereich viel besser.»

Tatsächlich ist die Bekanntheit von Ay Wing in England und Deutschland grösser als hierzulande. «Allenfalls liegt das auch etwas an meinem schwarzen Humor», sagt sie lachend. Sich selbst nicht zu ernst zu nehmen, auch in der Musik, werde leider unterschätzt – «Der Pop nimmt sich oft ausserordentlich ernst».

Handgemachte Musik
Aktuell arbeitet die 34-jährige Zugerin an ihrem neusten Album «Orange 2.0», das Mixing und Mastering soll Ende April abgeschlossen sein, im September wird es veröffentlicht. Dieses komme etwas «handgemachter» daher. Leidenschaftlich habe sie mit ihrem Team besonders mit analogen Synthesizern aus den 60er-Jahren experimentiert. Auch ihre Stimme und ihr Stil lassen Nostalgie aufkommen – die Sixties gemischt mit Hip-Hop und etwas elektronischem Glitzern.
Dazu die funkig erdigen Hip-Hop-Beats und das Träumerische, Sphärische, das einfach zu ihr gehöre. «Ein bisschen spaced-out ist meine Musik – wie ich selbst», sagt sie und lacht.
Im Sommer stehen nach der Corona-Pause wieder eine Menge Festivals auf dem Programm. So unter anderen das Radar Festival und das Lauter Festival in Zürich. Und davor noch wird sie Ende Mai eine Residenz im Luzerner Neubad antreten – mit dem neu gegründeten Kollektiv fem*ergy, das sie gemeinsam mit vier weiteren Künstlerinnen aus der Schweiz und Deutschland gegründet hat. Und mit dem sie, je nach Projekt, immer auch mit weiteren FINTA-Personen (das Akronym bezeichnet Frauen, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Transgender- und Agender-Personen) zusammenarbeiten.

Kollaborationen statt Ellbogen
Ay Wing ist definitiv keine Einzelkämpferin. «Ich liebe es, mit anderen Musikerinnen und Musikern zu kollaborieren, gemeinsam an den Songs zu schrauben.» Auch für Ay Wing arbeitet sie mittlerweile in einem Team von zwölf Personen. Dieses Bedürfnis nach Kooperationen sei auch mit ein Grund, warum sie gerne in Berlin lebe, was sie bereits seit 2015 Teilzeit tut.
Man helfe anderen aus, teile sich Proberäume, arbeite für Video- und Songproduktionen zusammen, teile Konzerte, gründe Kollektive. «Ein Grund dafür ist sicher auch, dass weniger finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Das macht Zusammenarbeit zur Notwendigkeit – was sich aber auch wieder positiv auswirken kann», sagt sie. In Zug möge sie deshalb Orte wie die Galvanik, Chollerhalle oder Gewürzmühle besonders.

Der Kampf der Mini-Adeles
Bereits mit elf Jahren begann Landtwing, Covers auf Tonbänder aufzunehmen. Die Grossmutter schenkte ihr ein Klavier, und bald ermutigte sie die Musiklehrerin am Gymnasium, Gesangsunterricht zu nehmen. Doch den Entschluss, Profimusikerin zu werden, fasste Ale­x­andra Landtwing bei einem Konzert der Fugees im Hallenstadion Zürich. Gefesselt von Stimmung und Sound entschied sie, dass es nicht beim Hobby bleiben sollte.
Mit 18 Jahren meldete sie sich schliesslich, ohne Wissen ihrer Eltern, an der «Tech Music School» in London an und wurde aufgenommen. Dort, umgeben von lauter 15-jährigen Mini-Adeles mit Plattenvertrag und Agent, die ihr Leben lang nichts anderes getan haben, als ihre Karriere vorzubereiten, sei sie ziemlich auf die Welt gekommen, erzählt Landtwing. Trotzdem sei London sehr wichtig für ihre musikalische Entwicklung und das Knüpfen von Kontakten gewesen. «Man realisiert an solchen Orten auch, wie hart international um den Platz im Rampenlicht gekämpft wird.»
Eine Ausbildung als Lehrerin habe sie zwar nach ihrer Ausbildung in London noch gemacht, jedoch im Job bald gemerkt, dass das auf lange Sicht nichts für sie sei. «Gebunden zu sein an einen Ort und an das hiesige Schulsystem, in welchem Kunst und Musik so wenig Stellenwert zugestanden wird, dass passte nicht», so Landtwing.

Öffentlich und privat
Details über ihr heutiges Privatleben gibt sie der Öffentlichkeit nicht preis, auch ihr Alter hat sie in Interviews lange verschwiegen.
«Ich finde nicht, dass es relevant ist, wie alt ich bin, wie mein Beziehungsstatus ist – entweder jemandem gefällt meine Musik oder nicht», so Landtwing.
Zudem beobachte sie auch, wie oft bekannte Persönlichkeiten mental darunter leiden, dass ihr gesamtes Privatleben, dass jeder Schritt vor der Öffentlichkeit verhandelt werde. Eine Entwicklung, die zu denken geben müsse. Was sich gerade auch Musikerinnen einfallen lassen müssen, um nicht in der einen oder anderen Schublade zu landen, sei bezeichnend. «Und wir entblössen uns in selbst geschriebenen Songs schon extrem. Wir kehren dabei unser Innerstes nach aussen.»

(Text: Jana Avanzini)