St.Gallens «Bassstimme» aus Zug

Dies & Das

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Im Nordturm der Kathedrale hängt die tontiefste Glocke der Schweiz. Sie ist das Werk einer einst angesehenen, im 18. Jahrhundert ausgestorbenen Zuger Glockengiesserfamilie und bedeutendes Zeugnis barocken Kunsthandwerkes.

  • Mit einem Gewicht von 8100 Kilo ist die Dreifaltigkeitsglocke in der Kathedrale von St.Gallen eine der Grössten und die Tontiefste der Schweiz. Sie ist vom Zuger Glockengiesser Peter Ludwig Keiser dem Älteren hergestellt worden. (Bild PD/Bischöfliches Archiv St.Gallen)
    Mit einem Gewicht von 8100 Kilo ist die Dreifaltigkeitsglocke in der Kathedrale von St.Gallen eine der Grössten und die Tontiefste der Schweiz. Sie ist vom Zuger Glockengiesser Peter Ludwig Keiser dem Älteren hergestellt worden. (Bild PD/Bischöfliches Archiv St.Gallen)

Zug – Wenn alle neun Glocken der Kathedrale in St.Gallen von den Türmen schallen, ist es wahrhaftig ein Fest für die Ohren – und ein seltenes Vergnügen zugleich: Das Vollgeläut der Bischofskirche erschallt nur zu hohen Feiertagen und besonderen Festen. Es gehört zu den mächtigsten weit und breit. Das Besondere: Das barocke Geläute ist mit dem letzten Glockenaufzug anno 1772 unverändert geblieben, somit in seiner Originalform vollständig erhalten und folglich von unschätzbarem historischen Wert.

Bemerkenswert ist, dass von den vier schwersten Glocken in der St.Galler Stiftskirche drei in Zug hergestellt worden sind – dazu gehört auch die grösste von ihnen, die Dreifaltigkeitsglocke, welche mit einem Gewicht von 8100 Kilo heute zwar «nur» die sechstgrösste der Schweiz ist, dafür aber diejenige mit dem tiefsten Schlagton e0-2. Ihr gewaltig wummernder Schlag gibt dem St.Galler Domgeläut sein atemberaubendes Volumen und macht es folglich zum tontiefsten des Landes. Gegossen worden ist die Dreifaltigkeitsglocke von Peter Ludwig Keiser dem Älteren (1692–1769) aus Zug. Von ihm stammen auch die Herz-Jesu- (5400 kg) und die Ave-Maria-Glocke (1950 kg).

Die Kaisers fassen Fuss in Zug

Keiser entstammte der angesehenen Glockengiesserfamilie Kaiser, die ursprünglich in Eglisau am Rhein ansässig war. Der Stammvater Martin Kaiser war bereits Glockengiesser, wo er das Handwerk aber erlernt hatte, ist nicht verbürgt. Kaiser liess sich um 1600 in Solothurn nieder. Drei seiner Söhne traten beruflich in des Vaters Fussstapfen. Der älteste Sohn Martin (1619–1672) liess sich anno 1662 nach einem kurzen Aufenthalt in Sursee in Zug nieder und stellte in der Vorstadt bis zu seinem Tod Glocken her. In Zug pflegte der Neuankömmling fortan die hiesig übliche Schreibweise seines Familiennamens: «Keiser». Martins Sohn Ludwig (1654–1718) ­erarbeitete sich als fleissiger Werksmann ein ordentliches Ansehen in Zug. Der zweiten Ehe Ludwigs – er war in Zug dreimal verheiratet – entsprossen fünf Söhne, von denen drei ebenfalls Glockengiesser wurden. Der Bedeutendste von ihnen – der bereits vorgestellte Peter Ludwig – führte die Glockengiesserei in Zug zu ihrer Blütezeit, Keiser galt gar landesweit als unübertroffener Meister dieses Metiers.

Geschlagene 55 Jahre lang übte er sein Handwerk mit höchstem Fleiss aus. Er lieferte Glocken für namhafte Auftraggeber – in einer Vielzahl von Kirchen und Kapellen nah und fern läuten noch heute Keiser-Glocken. 1767 lieferte der Zuger die Herz-Jesu- und die Ave-Maria-Glocke nach St.Gallen für die Fürstabtei. Im Jahre darauf schliesslich wurde sein reiches Schaffen mit der Herstellung der grossen Dreifaltigkeitsglocke für denselben Glockenstuhl bekrönt. Im Jahr darauf starb Peter Ludwig Keiser.

«Peter Ludwig Kayser von Zug hat mich gegossen»

Bis heute schallt ein bedeutender Teil von Keisers Vermächtnis von den barocken Doppeltürmen der Kathedrale in St.Gallen. Das Glanzstück der Zuger Glockengiesserdynastie sehen wir oben abgebildet. Die Dreifaltigkeitsglocke hängt im Nordturm der Kathedrale, hat eine Gesamthöhe von 2,26 Metern und einen Durchmesser von beachtlichen 2,36 Metern. Es handelt sich um den Typus einer sogenannten Nonglocke, bei welcher der Unterton um eine None tiefer liegt als der Schlagton. Die über acht Tonnen schwere Dreifaltigkeitsglocke hängt an einem Holzjoch, welches aus dem frühen 19. Jahrhundert stammt. Der mächtige Klöppel weicht insofern von der verbreiteten Machart ab, als der Schlagballen eine lang gezogene Form aufweist und der unten anschliessende Schwungzapfen ungewöhnlich lang ist.

Die Glockenkrone, sprich die Aufhängung, ist an den Henkeln mit bärtigen Fratzen versehen. An der Glockenschulter ist zwischen zwei Rankenfriesen zu lesen: ZU GOTTES UND MARIA EHR BIN ICH GEFLOSSEN PETER LUDWIG KAYSER VON ZUCH HAT MICH GEGOSSEN ANNO MDCCLXVIII. Die Glockenflanke zeigt das Wappen von Abt Beda Anghern, Fürstabt zu St.Gallen von 1767 bis 1796. Weiter eine Szene von Mariae Krönung sowie die Heiligen Gallus, Otmar, Eusebius und Notker. Unterhalb des Glockenwolms verweist eine weitere Inschrift auf das Glockenpatrozinium der Allerheiligsten Dreifaltigkeit: IN HONOREM ET LAUDEM SANCTISSIMAE ET INDIVIDUAE TRINITATIS.

Mit der Dreifaltigkeitsglocke in der Kathedrale St.Gallen hat ein meisterhafter Zuger Handwerker ein bedeutendes Zeugnis barocker Glockengiesserkunst geschaffen.

Auf die schiefe Bahn geraten

War Peter Ludwig Keiser der erfolgreichste Spross der Zuger Glockengiesserfamilie, so läutete sein Tod gleichsam deren Niedergang ein. Das angespannte Verhältnis, welches bereits zwischen Peter Ludwig und seinem Vater Ludwig geherrscht hatte, bestand auch zwischen Peter Ludwig und dessen beiden Söhnen Peter Ludwig dem Jüngeren und Oswald Joseph. Zwar stellten sie Aufzeichnungen zufolge weiterhin Glocken her, jedoch in weit kleinerem Rahmen als ihr Vater. Während die beiden Keiser-Söhne in fremden Diensten waren, missbrauchten sie ihr erlerntes Handwerk und betrieben Falschmünzerei. Welche Folgen dies für die beiden hatte, ist nicht bekannt. Mit ihnen jedoch verliert sich die Spur der Glockengiesserfamilie Keiser, welche aus Eglisau via Solothurn nach Zug gekommen war und hier Handwerksgeschichte geschrieben hatte.

Man nannte sie «Glöggeler»

Immerhin: Zug blieb auch nach dem Ende der Keiser-«Dynastie» ein Zentrum der Glockengiesserkunst, denn mit der ­Glockengiesserfamilie Brandenberg führte eine zweite begnadete Sippe das angesehene Handwerk weiter. Anton Brandenberg (1719–1791) aus der Vorstadt hatte die Kunst bei den Keisers erlernt, stand aber vorerst im Schatten Letzterer. Erst seine Nachkommen führten die Firma Brandenberg mit wachsendem Erfolg – dies, nachdem Peter Ludwig Keiser gestorben war. In der Vorstadt eröffneten die Brandenbergs zudem eine Wirtschaft und nannten sie  – wie sinnig – «Zum Glöggli».

Unter Jakob Philipp (1759–1832) erlebte die Glockengiesserfamilie ihre Blütezeit, auch wenn der Erfolg mit demjenigen der Keiser unter Peter Ludwig dem Älteren nicht zu vergleichen war. Der Bekanntheit der Brandenbergs zuträglich war der Umstand, dass mit ­Theresia Esther (1763–1845) ein weiblicher Spross der Familie das Handwerk mit weiterführte, was für damalige Zeiten sehr ungewöhnlich war.

Mit Peter Anton Philipp Brandenberg, dem einzigen Sohn Jakob Philipps, endete mit dessen Tod im Jahre 1886 auch die Zuger Glockengiesser-Ära Brandenberg. Als einziger Stammhalter war dieser kinderlos geblieben. So ganz aus der Welt respektive aus den Köpfen der Zuger waren die Brandenbergs jedoch nicht: Die Nachkommen einer unehelichen Tochter Jakob Philipps wurden weiterhin die «Glöggeler» genannt.

Klingendes Erbe

Dass Zug einst auch ein Zentrum der Glockengiesserei war, entzieht sich nach all der Zeit der allgemeinen Kenntnis. Aber wann immer von irgendeiner alten Kirche oder Kapelle in unserer Gegend her eine Glocke läutet, so kann es durchaus sein, dass sie von Keiser oder Brandenberg stammt. Und steht die Kathedrale von St.Gallen an besonderen Tagen im Vollgeläut, erinnert sie subtil daran: Ein Zuger hat ihr die schöne, tiefe Stimme verliehen. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.