Ein Parforceritt ohne Pause

Musik

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Am Wochenende gastierte die Pianistin Judith Wegmann mit zwei unterschiedlichen Konzerten im Kunsthaus.

Zug – Dass Judith Wegmann eine vielseitige Pianistin und Musikerin ist, dass die heute in Biel lebende Zugerin seit Jahren in Oberägeri unterrichtet, dass sie sich für keine Experimente zu schade ist, das weiss man nicht nur hierzulande. Dass sie mit einem Romantik-Programm ganze Kirchen füllen und begeistern kann, ebenfalls. Wenn sie aber ihrer eigentlichen Profession, der Avantgarde, nachgeht, folgen ihre gerade mal zwei Dutzend Neugierige, die dabei allerdings eine ganz unerwartete Erfahrung machen.

So geschah es auch bei ihren zwei Konzerten im Kunsthaus, die Teil einer Europa-Tournee bilden und an ihre Konzepte von «Le souffle du temps» anknüpfen, die in ihrer CD von 2017 festgehalten sind. Im Solokonzert vom Samstag stellte sie sieben Auftragskompositionen von namhaften Zeitgenossen vor, die sie in einem Parforceritt ohne Pause mit Improvisationen zu einem rundum gelungenen Klangereignis verschmolz.

Reiche Klangplatte pianistischer Technik

Über den Flügel gebeugt, hantierte sie zu Beginn mit Kugeln, Darmbögen, Schraubklemmen und allerhand analogen Verfremdungsutensilien, die sie alsbald mit der reichen Klangpalette pianistischer Technik in einen spannenden Dialog verwickelte. Gemahnte kreischend Geräuschhaftes an Tier- oder Regengeräusche, so setzte sie diesem eher dramatischen Geschehen die ausufernde Mehrstimmigkeit impressionistischer Klangkultur entgegen, betrat sie mal mit Gongs meditative Sphären, entfaltete dann wieder mit orgiastischen Clusterattacken veritable Gewitterszenen und gestaltete überhaupt ein zusammenhängendes, abendfüllendes Tongeschehen, das für einige Zuhörende die Wirkung eines akustischen Spielfilms hatte.

Es blieb aber nicht bei der gewohnten Klangsprache zeitgenössischer Klaviermusik, wie man sie von John Cage oder Morton Feldman her kennt (ihm widmete Wegmann das Konzert vom Sonntag), sondern überraschte mit Feedback-Techniken, mit Sampling, Verfremdung und Echo aus dem Laptop und allerhand kleinen, handlichen Geräten, welche der Solistin als Dialogpartner assistierend und verstärkend zur Seite standen und sie zum Zwiegespräch herausforderten. Wobei diese programmierte Überraschung nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Solistin selbst den Eindruck einer künstlichen Intelligenz aufkommen liess.

Die Zuhörer auf eine Reise mitgenommen

Den Atem der Zeit empfinden und darüber reflektieren ist aber vorderhand nur dem Menschen möglich, und interessant und bewegend werden abstrakte Konzepte und Algorithmen erst, wenn eine Künstlerin, wie hier am Werk ist, fühlt, disponiert und vollzieht. Die Wenigen, die sie auf ihre Reise mitnehmen konnte, sind das Wagnis gern eingegangen und haben es nicht bereut.

Für den Veranstalter: Adrian Hürlimann