Ein Stück für das Hier und Jetzt

Theater & Tanz

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«Der Tag vor morgen» heisst die neue Aufführung der Theatergruppe «die Kulisse Zug». Das poetische Stationentheater spielt im Hotel Zugertor.

  • Hotelmanager Henriette (gespielt von Helmut Angerler) in Aktion. (Bild Roger Zbinden)
    Hotelmanager Henriette (gespielt von Helmut Angerler) in Aktion. (Bild Roger Zbinden)

Zug – Das Zimmer 109 des Hotels Zugertor ist verdunkelt und mit Lichterketten geschmückt. Zwei schöne junge Frauen in eleganten Festkleidern und Hüten aus der Zeit der Belle Epoque zu Beginn des 20. Jahrhunderts stecken am Vorabend ihrer geplanten Hochzeit in emotionalen Schwierigkeiten. «Pre-marriage syndrome» interpretiert es Merle (gespielt von Leandra Mondin) und versucht ihre Verlobte Ira (Larissa Mello Betschart) liebevoll aufzumuntern, aber diese ist untröstlich: Aus dem Dunkel der Vergangenheit sei, so erzählt sie, ihr totgeglaubter Vater Bruno wieder aufgetaucht, wolle morgen seine Tochter sehen und er sei – ein verurteilter Räuber. Ein wenig Krimi schwebt wie Rauch über der zarten Szene.

Das finstere Geheimnis durchweht alle sechs Stationen des Theaters, das «die Kulisse Zug» dieses Jahr – coronabedingt – an einem ungewöhnlichen Ort aufführt: im alteingesessenen Familienbetrieb des Hotels Zugertor. Während rund 70 Minuten wird das Publikum in Minigruppen von Raum zu Raum gelotst, und so entfaltet sich langsam die Geschichte des kleinen, feinen Dramas, in dem es um fundamentale menschliche Gefühle geht: Liebe, Vertrauen, Eifersucht, Trennung, Verlieren und Wiederfinden. Süss und salzig eben. Die beiden Brautmütter (Gabriela Widmer-Annen und Pia Irányi) aber müssen in der Küche des Hotels feststellen, dass Schoggi- und Käsekuchen für eine Hochzeitstorte nicht so ganz zusammenpassen.

Der ominöse Bruno geistert auch durch die Streitigkeiten zwischen Merles Vater Schorsch (Markus Roos) und seiner zweiten Frau Leonie (Delia Crameri) auf Zimmer 209. Was wird am Hochzeitstag passieren?

Und dann gibt es da noch eine merkwürdige Unterwasser-Kapsel-Ingenieurin (Ina Seidl), die im Innenhof des Hotels in Monteurkluft und mit Zangen und Schraubenschlüssel ihr monströses Tauchgerät repariert, um möglichst bald wieder in den Zugersee abzutauchen. Sie redet von einem rätselhaften grünen Haus, das einst mit der Vorstadt in den See abgerutscht sei, und von einem dort vergrabenen Schatz. Und wieder hat Bruno die Hand im Spiel.

«Der Tag vor morgen» ist ein ungewöhnlich fantasievolles Spiel mit verschiedenen Zeiten, Orten und – mit Gender. Nichts mehr ist so sicher, wie man einmal glaubte. Vor allem die Figur des Hotelmanagers Henriette (Helmut Angerler) verkörpert das schillernde Changieren zwischen weiblich und männlich und gegensätzlichen Perspektiven: Der ältere, mit Sektglas bewehrte Mann in einem Kostüm aus Renaissancezeiten (Kostüme Felizitas Philipp) outet sich als «Romantikerin» und erinnert daran, dass ein Hotel eigentlich eine Theaterbühne sei, auf der alle Menschen nur Rollen spielten. Wer ist wer? Die Welt als Theater – das ist eine uralte Idee.

Aktuelle Fragen werden behandelt

Und so kommt alles ins Ungewisse, ins Rutschen, Abrutschen, ins Schweben. Der Boden wird wankend, durchsichtig. Denn im Keller kegeln die drei nordischen Schicksalsgöttinnen Urd, Verdandi und Skuld (Erika Schmid-Hauser, Katja Stocklin-Kappeler, Andrea Zoppi) auch um aktuelle Fragen: Was wird werden mit Pandemie, Nawalny, 09/11, Insektensterben und – immer wieder – mit der Liebe? Zwischen Angst und Hoffnung? Was wird aus uns allen?

Die Regisseurin Eva Mann hat mit «Der Tag vor morgen» ein leichtes, zärtliches, tiefgründiges Stück für Zug und für 2021 geschrieben. Die Darsteller zeigen feines psychologisches Spiel. Zur Zusammenarbeit eingeladen hatte Oliver von Rickenbach vom Hotel Zugertor. «Aus purer Not», erzählt er, sei die Idee dazu entstanden. Der Hotelmanager und die Theaterleute haben aus den Coronabeschränkungen gemeinsam etwas Zauberhaftes kreiert. (Dorotea Bitterli)

Hinweis
Der Tag vor morgen spielt an vier weiteren Wochenenden: 18./19. September, 2./3. Oktober, 16./17. Oktober, 6./7. November 2021. Inklusive Theaterzmorge im Hotel Zugertor. Weitere Infos: www.diekulissezug.ch. Vorverkauf: 0417293838, info@zugertor.ch. Spontane Teilnahme ist möglich.