Die Zeit der Orakel

Dies & Das, Brauchtum & Geschichte

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Der Jahreswechsel bringt unterschiedliche Bräuche, Sprichwörter und vom Volksglauben geprägte Eigenheiten mit sich. Und für manche beginnt das neue Jahr erst an Dreikönigen.

  • Der Dreikönigstag am 6. Januar gilt für manche Gläubige auch als «Hochneujahr». Gemälde «Die Anbetung der Könige» von David Burnand im ref. Kirchenzentrum in Zug. (Bild: Andreas Faessler)
    Der Dreikönigstag am 6. Januar gilt für manche Gläubige auch als «Hochneujahr». Gemälde «Die Anbetung der Könige» von David Burnand im ref. Kirchenzentrum in Zug. (Bild: Andreas Faessler)

Zug – Wendepunkte und Neuanfänge im Leben eines Menschen gehen und gingen seit jeher auch mit spirituellen oder religiösen Komponenten einher. So individuell diese sein mögen, an den fixen wiederkehrenden «Terminen» wie dem Ende respektive dem Anfang des Kalenderjahres spielen diese Aspekte im Kollektiv eine grosse Rolle. So haben sich seit Anbeginn der Zeitrechnung Riten, Bräuche oder auch Sprichwörter und Begriffe rund um den Jahresanfang geformt, deren Ursprung oft religiöser, aber auch abergläubischer Natur ist. Eine kleine Auswahl von ihnen mit interessanten und auch unerwarteten Hintergründen soll hier eine nähere Erläuterung finden.

 

Die Raunächte

Die zwölf Nächte zwischen Weihnachten und Dreikönigen haben im europäischen Brauchtum eine besondere Stellung. So glaubt man in vielen Regionen, dass in diesen langen, finsteren Nächten böse Geister, Dämonen und Hexen aktiver und mächtiger sind als sonst. In diesem düsteren Zeitabschnitt sollte man darum besonders häufig beten und auch fasten. Man hütete sich früher, während der Raunächte saubere weisse Wäsche aufzuhängen, weil man glaubte, die dunklen Gestalten würden sich der Textilien bemächtigen und sie innert Kürze zum Unheil des Besitzers verwenden. Ausserdem würden sich die Dämonen in den Wäscheleinen verfangen, was abermals Unglück brächte. Weiter gelten die Raunächte als Zeit der Orakel. Dann nämlich gelten diese als besonders auskunftsfreudig, und man sollte sie fleissig befragen. Ein Überbleibsel dieses Glaubens existiert heute noch in Form des Bleigiessens am Silvesterabend.

 

Hochneujahr

Als «Hochneujahr» oder auch «grosses Neujahr» wird eine Vorstellung des Jahresbeginns bezeichnet, die mehrheitlich aus dem Volksglauben hervorgegangen ist. Das Hochneujahr fällt auf den 6. Januar, den Tag der Epiphanie (vgl. auch «Mein Thema» rechts) respektive Dreikönigen. Es gibt unterschiedliche Erklärungsversuche, warum dieser Tag als Jahresbeginn angesehen wurde und teils noch wird – so könnte er auf eine Kalenderreform zurückzuführen sein, auf die Offenbarung Christi an die Heiden (Dreikönige) oder auf eine Überlieferung aus dem frühchristlichen Rom. Weil es aber nicht schlüssig geklärt werden kann, nehmen Historiker heute vornehmlich ­einen Ursprung im allgemeinen Volksglauben an, welcher regional unterschiedliche Bräuche und Gepflogenheiten hervorgebracht hat. Im Alpenland gibt es bis heute gläubige Bergbauern, die den 6. Januar als Neujahrstag betrachten. Allgemein verbreitet ist noch immer die Beschriftung der Haustüren mit der Jahreszahl und den Buchstaben C+M+B, die einerseits für Caspar, Melchior und ­Balthasar stehen oder je nach Auffassung für den Segensspruch «Christus Mansionem Benedicat» (Christus segne diese Wohnstätte). Traditionell werden die Inschriften zu Dreikönigen von den Sternsingern angebracht.

 

Neujahrsspeisen

Vielfach regional unterschiedlich geprägt, tischt man zu Jahresbeginn bestimmte Nahrungsmittel mit Symbolgehalt auf: Man isst Schweinefleisch, weil das Schwein ein Glücksbringer ist. Geflügel hingegen unterlässt man, sonst flattert das Glück davon. Für Geldsegen sorgen vor allem Sauerkraut, Linsen- oder Erbsensuppe sowie Karpfen. Von Letzterem sollte man sich während des Essens eine Schuppe unter den Teller legen und diese dann das ganze Jahr über im Portemonnaie mitführen. So bleiben Geldsorgen aus.

 

«Guten Rutsch»

Zwar sagt man dies nur bis zum 31. Dezember, aber es ist im deutschen Sprachgebrauch wohl die populärste Floskel im Zusammenhang mit einem neuen Jahr. Man wünscht dem anderen, dass er gut ins nächste Jahr hinüberrutsche. Ursprünglich dürfte dieser Ausdruck jedoch nichts mit dem Rutsch im bild­lichen Sinne einer Vorwärtsbewegung zu tun haben. Es gibt mehrere Herleitungstheorien. Die wohl naheliegendste ist, dass der gute «Rutsch» vom jiddischen Wort «Rosch» hervorgegangen ist, was übersetzt Kopf bedeutet – dies im Sinne eines Anfangs, der «Kopf» des Jahres. Zum jüdischen Neujahrsfest wünscht man sich «a git Rosch» – einen «guten Anfang». Aus dieser Sicht könnte man seinen Mitmenschen auch jetzt noch, fünf Tage nach dem kalendarischen Jahreswechsel, einen «Guten Rutsch» wünschen, was aber insofern unangebracht wäre und für Verwirrung sorgen würde, als die eigentliche jiddische Bedeutung des «Rutsches» in diesem Zusammenhang in der säkularen Gesellschaft in Vergessenheit geraten ist. (Andreas Faessler)