Die Schwerkraft ausgelotet

Kunst & Baukultur

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Die Galerie Reichlin zeigt eine Retrospektive des Plastikers Iwan Luginbühl – mit neuen Eisen-Stoff-Kombinationen.

  • Der Eisenplastiker Iwan Luginbühl stellt seine metallenen «Kinder» in Zug aus. (Bild: Matthias Jurt)
    Der Eisenplastiker Iwan Luginbühl stellt seine metallenen «Kinder» in Zug aus. (Bild: Matthias Jurt)

Zug – Es ist immer spannend, die Entwicklung eines Künstlers ins Blickfeld zu rücken. Dies bietet die Galerie Reichlin in Zug, wo derzeit ein Querschnitt durch Iwan Luginbühls Schaffen zu sehen ist. Schon beim Eingang beeindruckt der grosse, weisse Golem von 1988, umrahmt von kleinen Fabelwesen. Der Golem besteht aus rund 20 Tonstücken. «In unserem Ofen konnten wir nur kleine Teile brennen. Für die Figur brauchte es viele Brände, und ich hoffte nur, dass es sie nicht ‹verjagt›», erinnert sich der 59-Jährige.

Die kleinen bemalten Tonfiguren wie Drachen, Haifischzahn, Doppelkopf oder Medusa sind erste Beispiele für sein Talent. «Mit 17 habe ich mit Ton angefangen, inspiriert durch meine Mutter, eine Keramikerin. Ihre Vasen oder Zeichnungen habe ich mit fantastischen Figuren ergänzt.» Die Mutter habe das belustigt akzeptiert und sein Vater, der bekannte Berner Eisenplatiker Bernhard Luginbühl, motivierte ihn, auf Eisen umzusteigen. So sind ab 1990 erste Monster aus Blech oder rostigem Stahl entstanden. Luginbühl betont, dass er von den Eltern und Götti Jean Tinguely gefördert worden sei. «Aber es war damals schwierig für mich, einen eigenen Stil zu entwickeln.»

Die ersten Monster oder Tiere konnten sich noch nicht bewegen. «Ich habe lange gebraucht, bis ich mein System gefunden habe, ohne Motor, nur mit Elektromagneten und wenig Kraft. Die grosse Herausforderung besteht darin, die Schwerkraft auszuloten, sodass selbst die grossen Skulpturen auch in Bewegung stets in Balance bleiben», erklärt Luginbühl, wobei ihm seine Ausbildung als Elektriker bei der Technik half. In der Ausstellung sind viele bewegte Skulpturen in allen Grössen zu sehen. Weisen die Eisenteile der älteren Werke noch eckige Formen auf, folgten später rundere. Iwan Luginbühl lässt sie rosten, wegen der Farbe, zuletzt werden die Teile eingewachst, sodass sie eine glatte Oberfläche bekommen. «Und der Name kommt jeweils zuletzt,» so der Künstler.

Verbindung mit neuem Material

In der Coronazeit sind neue Skulpturen entstanden, die erstmals Eisen mit Stoff verbinden: Knochen und Schädel bewegen sich auf den Maschinen auf einen zu. Es sind jedoch keine echten Knochen, sondern kunstvoll genähte Stoffteile, die farblich an Knochen erinnern. «Ich habe lange ein leichtes Material gesucht als Ergänzung zum Eisen», sagt Luginbühl. Die zündende Idee kam von Nathalie Verdon aus Burgdorf, welche die Formen der Knochen mit Stoff nachgearbeitet hat.

Für Luginbühl sei die Verarbeitung der Stoffteile auf die Eisenplastik eine knifflige Arbeit gewesen, «wegen meiner schwarzen Hände». Dennoch reizt es ihn, weiterhin zu versuchen, das Eisen mit neuem Material zu kombinieren. «Im Kopf habe ich viele Ideen, doch die Ästhetik des Prototyps muss stimmen.» Iwan Luginbühl ist stolz, dass er jetzt in Zug seine eisernen «Kinder» zeigen kann. Neben dem Skulpturenpark in Mötschwil will ich wieder mehr für mich schaffen. Und ich finde es schön, dass ich seit über 30 Jahren von der Kunst leben kann.» (Text von Monika Wegmann)