Wasser, Sterne und Grün dazwischen
Kunst & Baukultur, Dies & Das
«Eintauchen!» nennt sich die Ausstellung, die im Kunsthaus Zug ansteht. Mit Yvonne Christen Vágner stellt dabei eine Künstlerin aus, die sich einem ungewöhnlichen Material verschrieben hat. Einem lebendigen.
Zug – Dieser Artikel erschien in der Juni-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.
Es ist hell, riecht nach Moos und Erde, im Hintergrund ein leises Plätschern. Das ist der erste Eindruck von Yvonne Christen Vágners Atelier im Zürcher Kreis 4. Hier, im ersten Stock des grauen Industriegebäudes, wächst so einiges. Das Plätschern kommt aus flachen, mit Wasser gefüllten Kristallschüsseln – in diesen wird mit Ultraschall ein Bodennebel erzeugt. Mystisch sieht es aus, aber der Grund für die technische Spielerei ist vor allem das Befeuchten der lebendigen Kunstwerke im Atelier.
Seit 15 Jahren arbeitet die gebürtige Zugerin in diesem Haus an ihrer Kunst, direkt neben dem Atelier ihres Mannes, dem Künstler und Theaterplastiker Jan Vágner.
Spanisches Moos hängt von der Decke, an den Wänden zu Blumen und Algen gewalztes Silberbesteck und auf Kristallglasplatten gedruckte Supernovas; unterschiedlichste farbige Abbildungen von explodierten Sternen.
Mehrere Quadratmeter des Bodens hat Yvonne Christen mit alten Dachziegeln ausgelegt, auf welchen die Künstlerin das scheinbar tote Moos wieder zum Leben erweckt. Auch in Cocktailgläsern und grossen Kristallschüsseln grünt es.
Die hohen Fenster im Atelier hat Yvonne Christen fast durchgehend mit hellen Vorhängen verhängt, die den Blick ins Grüne verbergen. Dort befindet sich am Waldrand ein wilder Garten und in grossen Plastikkübeln sammelt sie Regenwasser, um ihre Kunst am Leben zu erhalten. Täglich besucht Yvonne Christen ihr Atelier. Und wenn es nur kurz ist, um das Moos zu giessen. Besser: zu besprühen. Denn Moos hat keine Wurzeln, es braucht Wasser von oben. Und Moos ist eines der Materialien, mit welchen die 66-jährige Künstlerin regelmässig und intensiv arbeitet. In der anstehenden Gruppenausstellung «Eintauchen!» im Kunsthaus Zug wird Yvonne Christen eines ihrer grossen Moos-Kunstwerke präsentieren. Und ihre ersten Gedanken gelten dem Kunsthaus-Personal. Das für ganze sechs Monate für das Überleben des Objekts zu sorgen hat. Und vielleicht gelegentlich ein ausgebüxtes Tierchen, das darin lebt, im Museum einfangen muss.
Überall Parallelen
Wir setzen uns in die Sofaecke des Ateliers – mit bunt gemusterten, geblümten Kissen und Decken – und trinken einen Kaffee. Der Raum lässt erahnen, dass Yvonne Christen parallel an ganz unterschiedlichen Projekten und Werkgruppen arbeitet. Unterschiedliche Arbeitsplätze sind in Betrieb, selbst das Fensterbrett neben den Vorhängen ist belegt.
Seit Beginn ihrer künstlerischen Karriere sei es der Fall, dass sie gleichzeitig an mehreren Projekten arbeite, erzählt Yvonne Christen. «Mir wurde auch irgendwann bewusst, dass sich einige Themen immer wieder wiederholen, manch- mal nach Jahren oder noch längerer Zeit tauchen bestimmte Motive oder Materialien wieder auf und es finden sich Parallelen.» Gerade liegen auf dem Tisch getrocknete Moosstücke neben kleinen Mustern aus gegossenem Silber – auf den ersten Blick kaum auseinanderzuhalten.
Sie sei fasziniert von der Kombination von Künstlichkeit und Natürlichkeit, sagt Yvonne Christen. Und ein Gefühl für das Spiel menschlicher Interventionen in der Natur und organischen Materialien in künstlichen Räumen hat sie durch ihre Installationen in der Landart immer wieder bewiesen. Irritierend sind sie, aber auch poetisch und etwas melancholisch.
Ohne Schnickschnack
Yvonne Christen stammt bereits aus einer kreativen Familie. Die Eltern waren Coiffeure, der Bruder arbeitet heute als Grafiker, die Schwester als Maskenbildnerin am Theater. Ihr Ehemann ist ebenfalls Künstler, eines ihrer beiden Kinder hat Animation studiert.
Die Künstlerin selbst machte ihre Erstausbildung als Goldschmiedin. «Doch das war mir alles zu eng, zu goldig und glitzerig, zu rich», sagt sie heute über diese Arbeit. Die grosse dunkle Brille, der locker gebundene Zopf, kein Schmuck, kein Schnickschnack – Christens Erscheinung passt zu dieser Aussage. Und zu ihren Arbeiten. Eine Klarheit in den natürlichen Materialien, im unverstellten Ausdruck.
Ihre Ausbildungen als Bildhauerin und Skulpturenkünstlerin absolvierte sie an den Kunsthochschulen in Luzern und London und arbeitete bald hauptsächlich mit Installationen. Es entstanden grosse Sandskulpturen, Landart und hallenfüllende Arbeiten aus Kleister, Stoffen, Silber und Glas. Ihre Arbeiten waren in Estland zu sehen, in England, Argentinien Mexiko, oft in Tschechien und natürlich in der Heimat. Sie bespielt mit ihrer Kunst Bergsee-Ufer (Greina) und alte Ruinen (Moosmatte), Industriehallen (Emauzy), verwunschene Wälder (Root talk) genauso wie städtische Unorte (Little House).
Künstliche Natürlichkeit
Das Moos entdeckte Yvonne Christen erst im Jahr 2016 für sich. Alleine reiste sie im Winter nach Island. Eigentlich um die Nordlichter aufzunehmen. «Doch dann war es plötzlich der Boden, der mich besonders faszinierte. Das Moos beziehungsweise die Flechten», sagt Christen. «Alles so grün und weich und lebendig.» Sie hatte für ihre künstlerische Arbeit, die sich schon seit Anfang an in den Welten zwischen dem Wasser und den Sternen bewegt, ein neues Material entdeckt. Das Moos passt sich ein in diese Welten. In die Themen Zeitlichkeit und Endlichkeit, mit welchen sie sich beschäftigt. Diese Themen werden fühlbar, wenn man durch die Dokumentation ihrer Arbeiten blättert oder diese gleich live und in Farbe erlebt. Sie transportieren Ruhe und gleichzeitig schwingt eine Verunsicherung mit. Man fühlt sich geborgen und doch verloren im selben Moment.
Und wenn Yvonne Christen heute von Moos spricht, springt die Faszination schnell über. Davon, wie viele verschiedenen Arten es gibt, und davon, dass das Urgewächs über 400 Millionen Jahre alt ist. Die erste Pflanze, die aus dem Wasser kam. Diese zieht sie nun im Garten hinter dem Atelier, sammelt es auch im Wald ein. Aber nur von Totholz, das ist ihr wichtig. Und um die verschiedenen Arten zu bestimmen, bringt sie die Moose in den Botanischen Garten in Zürich. Hier wird unter dem Mikroskop geprüft, ob es sich um eine geschützte Art handelt. «Ich bin keine Biologin», sagt sie. Sehr klar bewegt sie sich jedoch im Bereich der Umweltthemen und geht mit viel Respekt und grosser Vorsicht mit dem lebendigen Material um. Nicht nur in ihrer Kunst. Dass sie seit kurzem bei den Klima-Seniorinnen Mitglied ist, verwundert daher kaum. Der nachhaltige Umgang mit Materialien ist bezeichnend für Yvonne Christen Vágners gesamte Arbeit.
Auch neben dem lebenden Material arbeitet Yvonne Christen mit Objekten, die eine Geschichte haben und in einen Kreislauf eingebunden sind. Dem Kreislauf nämlich von Brockis, von tutti und von Ricardo. Kristallschüsseln, Silberbestecke und deren edel gepolsterten Kisten, die Glaskugeln alter Fischernetze. Diese entdeckte sie in Portugal auf einem Flohmarkt und bald fanden sie sich durch Yvonne Christens Hand auf grün bewachsenen Felsen wieder. Die Wirkung wird selbst auf dem Foto transportiert, das an der Wand im Atelier hängt: eine natürliche Künstlichkeit oder vielleicht auch umgekehrt.
Text: Jana Avanzini