«Das Schreiben war meine Rettung»

Literatur & Gesellschaft

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Obwohl er schon als Teenager schrieb, ging Andy Iten mit seinen Texten erst dieses Jahr an die Öffentlichkeit. Jetzt moderiert der 28-Jährige eine Poetry-Slam-Reihe in der Chicago-Bar.

  • Der Gassenpoet auf der Gasse – und auf der Lauer nach neuer Inspiration. (Bild Stefan Kaiser)
    Der Gassenpoet auf der Gasse – und auf der Lauer nach neuer Inspiration. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – «Das Leben ist eine Geschichte, die ständig neu geschrieben wird. Rechtschreibfehler sind nur normal!» Auf den sozialen Medien gibt Andy Iten alias Gassenpoet Kostproben seines Schaffens. Die sogenannten Aphorismen, Auszüge aus längeren Texten, veröffentlicht er noch nicht lange unter eigenem Namen. Denn obwohl der Oberägerer schon im Teenager-Alter reimte und dichtete, liest er seine Texte erst seit kurzem vor Publikum.

25 Mal trat er dieses Jahr in der ganzen Deutschschweiz auf – etwa in Bern, Luzern oder Zürich. Zuhause in seinem Garten, mitten in Oberägeri, erzählt der 28-Jährige an einem schönen Herbsttag, wie es dazu kam.

Ventil für Emotionen, Mittel gegen Schlaflosigkeit

«Als ich 13 war, konnte ich nicht gut schlafen, die Schule und meine vielen Emotionen überforderten mich», sagt Iten, während er sich eine Zigarette dreht. «In unserer Gesellschaft ist es nicht üblich, über Emotionen zu sprechen – gerade als Mann wird einem das nicht beigebracht.» Irgendwann habe er angefangen zu schreiben, vor allem in der Nacht, wie er es heute noch zu tun pflegt. «Schreiben hat mir Balance geben, so konnte ich mit meinen Emotionen umgehen – es war sozusagen mein Retter in der Not.»

Die Aphorismen von Andy Iten handeln oft von schwierigen Momenten im Leben: Schmerzen werden nicht weniger. Sie werden nur erträglicher, weil du immer stärker wirst. Er sei schon immer ein melancholischer Mensch gewesen, so der Gassenpoet: «Tatsächlich sehe ich die Schönheit der Welt und ihre Vergänglichkeit dann am stärksten, wenn ich traurig bin.»

Zum ersten Mal vor Publikum spricht er bei einem Studentenfest in Luzern – noch vor Corona. Die Erinnerung: «Ein schreckliches Erlebnis, ich war total nervös!» Doch der Gassenpoet kam auf den Geschmack – aber nach nur zwei weiteren Auftritten kam die Pandemie dazwischen.

Nach zweieinhalb Jahren Pause fragte ihn diesen Frühling die Veranstalterin des «Schrägen Mittwochs», einer offene Bühne für Kleinkunst in der Galvanik, an. Als Ersatz für einen kranken Künstler. Iten sagt zu und tingelt seither von Slam zu Slam. Ausserdem moderiert und organisiert er seit diesem September zusammen mit dem Zuger Poetry-Slam-Verein «Zebrafant» eine Poetry-Slam-Show in der Chicago-Bar neben dem Bahnhof Zug.

Die grösste Gemeinsamkeit seiner Texte sieht Andy Iten beim Thema Liebe. «Es geht immer um Liebe.» Vor allem möchte er durch sein Schreiben zu mehr Selbstliebe ermutigen. Wieso? «Niemand sagt dir, dass du das Leben gut meisterst – es gibt so viel Druck heute, zum Beispiel hat das Arbeiten einen riesigen Stellenwert in der Schweiz, im Gegensatz zu Care-Arbeit.» Ihm selbst helfe das Schreiben, sich selber zu akzeptieren.

Seine Poetry-Slam-Texte, im Gegensatz zu seinen Gedichten in Hochdeutsch auf Schweizerdeutsch verfasst, seien oft politisch. Inspiriert dazu habe ihn unter anderem der Schweizer Rapper Tommy Vercetti, den er schon als Kind hörte. Ansonsten möge er Klassiker wie den amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe ebenso gerne wie Rainer Maria Rilke oder Goethe.

Zuhause ist dort, wo die Sonne und das Herz zusammen aufgehen. Dem Heimatdorf Oberägeri ist Iten treu geblieben. Neben dem Schreiben ist der 28-Jährige nämlich aktiver Fasnächtler, bei der er als Spielleiter für das Bühnenspiel amtet. Beim Bühnenspiel werden satirische Reime vorgelesen, passend zu den verschiedenen Fasnachtsgruppen– ab nächstem Jahr zum ersten Mal unter seiner Regie.

Ursprünglich gelernter Fachmann Betriebsunterhalt kümmert sich der Gassenpoet heute als studierter Sozialpädagoge um Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen bei der Zuger Stiftung Phönix. Ausserdem wurde er für die Grünen vor Kurzem in den Kantonsrat gewählt. Mit Folgen für seine Tätigkeit als Slammer: «Nächstes Jahr werde ich weniger oft auftreten – aber weiterhin als Moderator und Organisator versuchen, die Zuger Szene zu beleben.» Sagt er, drückt die Zigarette aus und erinnert sich an einen passenden Aphorismus, den er kürzlich auf Instagram postete: Und als das Ende kam, war ich wieder bereit für den Anfang. (Text von Fabian Gubser)

Hinweis

Die nächste Poetry-Slam-Show des Vereins Zebrafant findet am Mittwoch, 16. November, um 20 Uhr in der Chicago-Bar statt. Türöffnung 19 Uhr, Eintritt 15 Franken.