Der wiedergefundene Bass aus Oberägeri

Musik

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Dass früher in der «Hochburg der Blasmusik» auch Streichinstrumente im Einsatz waren, wusste man lange nicht – bis diese Bassgeige auftauchte.

  • Eugen Häusler mit der restaurierten Oberägerer Bassgeige von 1845. (Bild Andreas Faessler)
    Eugen Häusler mit der restaurierten Oberägerer Bassgeige von 1845. (Bild Andreas Faessler)
  • Die 1984 von Hans Blattmann gegründete Musikgruppe. Rechts im Bild der Bass aus Oberägeri. (Bild Archiv Hasi Blattmann)
    Die 1984 von Hans Blattmann gegründete Musikgruppe. Rechts im Bild der Bass aus Oberägeri. (Bild Archiv Hasi Blattmann)

Oberägeri – In der Gemeinde Unterägeri hat Streichmusik eine lange Tradition. Seit über 110 Jahren ist das Ägeritalorchester der wichtigste weltliche wie kirchliche Klangkörper. Eines der geschichtsträchtigsten Instrumente des Orchesters ist die 164 Jahre alte Bassgeige, welche einst von einem jungen Ägerer gestiftet worden ist. Dies nicht etwa, weil der verheiratete Mann so grosszügig war, sondern er hatte dies als Strafe aufgebrummt erhalten für den Seitensprung mit einer Magd – inklusive Schwangerschaftsfolge («Hingeschaut» vom 5. Dezember 2012).

Jetzt dreht sich die Musikgeschichte des Ägeritals einmal mehr um eine Bassgeige – und damit verknüpfte Neuerkenntnisse. Es ist der Aufmerksamkeit Geni Häuslers, Vizepräsident des Ägeritalorchesters, zu verdanken, dass eine mutmassliche «Wissenslücke» nun geschlossen wird. Denn im Gegensatz zur Orchestertradition in Unterägeri ging man bislang davon aus, dass sich die Gemeinde Oberägeri mehrheitlich auf Blasinstrumente beschränkte. So gilt das Dorf auch heute noch als eine regionale «Hochburg» der Blasmusik.

Um ein Haar verschrottet

Doch dann erhielt Geni Häusler vor kurzem einen Anruf aus Oberägeri. Die Nachkommen von Schreinermeister Hans Blattmann haben im Elternhaus eine alte Bassgeige gefunden und wollten von Geni Häusler wissen, was sie damit machen sollen. Vor einer allfälligen Entsorgung des desolaten Instruments warf Häusler noch einen Blick darauf. Und siehe da: Im Inneren des Korpus fanden sich Hinweise auf Ursprung und Geschichte des Basses.

Ein mit Schreibmaschine verfasster Text von 1984 – an die Zargen geklebt – verrät, dass die Bassgeige 1845 von Franz Meinrad Schuoller (sic!) von Sattel gebaut worden ist. 1858 wurde sie von Aloys Suter in Brunnen repariert. Über Verbleib und Verwendung des Basses zuvor und danach lässt sich nur mutmassen.

Der maschinengeschriebene Text jedoch berichtet von 1978, als die Oberägerer Pfarrkirche renoviert worden ist. So sei die dort verstaute Bassgeige bei den Räumungsarbeiten auf dem Schutthaufen gelandet, jedoch im letzten Moment vom damaligen Kirchenpräsidenten und Coiffeurmeister Edy Iten vor der Verschrottung gerettet worden. Vier Jahre soll der Bass bei Iten verblieben sein, ehe er ihn Schreinermeister und Kirchenrat Hans Blattmann übergab.

1984 übertrug Blattmann seinem Angestellten Josef Nussbaumer, genannt s’Büehls Fränzels Sepp, die Aufgabe, die Bassgeige vor dem Zerfall zu retten. Er hat folglich die grössten Schäden so gut wie’s ging fixiert und im Inneren an der Zarge seine persönliche Inschrift hinter­lassen. Zum Einsatz kam die Geige einige Male durch eine von Hans Blattmann noch im selben Jahr aus der Taufe gehobene Mu­sikantengruppe, die hauptsächlich aus dem Legorenrat bestand. Die Formation spielte jeweils am Fasnachtssonntagabend in den Oberägerer Beizen auf.

Hoher ideeller Wert

«Allein aufgrund des materiellen Wertes und ihres schlechten Zustandes hätte sich eine Restaurierung der Bassgeige nicht gelohnt», sagt Geni Häusler. «Aber der ideelle Wert, sprich dessen Bedeutung für Oberägeris Dorfgeschichte, ist umso höher.» Denn die Tatsache, dass in der Abstellkammer der Pfarrkirche diese Geige eingelagert war, lässt vermuten, dass in Oberägeri entgegen der bisherigen Annahme früher ebenfalls Streichinstrumente im Einsatz waren. Ein anschliessender Blick ins Kirchenarchiv brachte Weiteres zutage: Ein Dokument von 1910 bestätigt ein kircheneigenes Inventar mit einer Geige, einer Bratsche und zwei Bassgeigen.

«Somit liegt es auf der Hand, dass in der Nachbargemeinde einst mit ähnlicher Instrumentierung musiziert worden ist wie in Unterägeri. Oberägeri hatte also auch ein Orchester», zieht Geni Häusler den Schluss. Für ihn ist diese überraschende Erkenntnis für die jüngere Geschichte der beiden Ägeritaler Dörfer von Bedeutung, denn selbst der «Erretter» der Bassgeige, Edy Iten, wusste davon nichts. Er lebt heute im Alter von 94 Jahren im Chlösterli.

Geni Häusler veranlasste also eine fachmännische Restaurierung des Oberägerer Basses bei Geigenbauer Beat Gabriel in Adligenswil. Dieser brachte das Instrument in einem aufwendigen Prozess auf Vordermann und rüstete es zugleich um von den ursprünglichen drei Saiten auf deren vier, wie bei heutigen Bässen üblich.

Verwendung im Ägeritalorchester

Jetzt steht die dunkel gebeizte Bassgeige frisch aufgemöbelt und mit glänzenden neuen Saitenspannern am Wirbelgehäuse im Musikraum von Geni Häusler in Unterägeri. Am vergangenen Bettag stand das Instrument in der Pfarrkirche Oberägeri zum ersten Mal im Einsatz, und im Rahmen einer Präsentation im Altersheim Chlösterli ist der Bass Interessierten vorgestellt worden – mit Carl Rütti am Piano und Mitgliedern des Ägeritalorchesters hat Initiant Geni Häusler ein kleines Konzert gegeben. Häusler ist sehr zufrieden: «Der Bass klingt schön und gut. Man merkt richtig, dass sich das Instrument mit jedem Spiel setzt und ‹einschwingt›.» Der Bass wird in den Reihen des Ägerital­orchesters Verwendung finden. Der aktuelle Präsident Michael Iten wird sich allmählich des Oberägerer Basses annehmen und ihn künftig spielen. Vizepräsident und bisheriger Bassist Häusler sagt dazu: «Ich bin jetzt auch schon 75. Irgendwann wird jemand anderes die Bassstimme spielen müssen.» (Text von Andreas Faessler)