Sie will Chefs zum Jodeln bringen

Musik

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Erst war er ihr fremd, dann begann sie sein therapeutisches Potenzial zu entdecken. Nun möchte Natalie Huber Naturjodelkurse für Firmen anbieten. Nur eine Tracht würde die Baarerin nie anziehen.

Baar – Zeit, nach Hause zu fahren. Zwei Stunden hat Natalie Huber im Schulhaus Hans Asper in Wollishofen in Zürich Jodelunterricht gegeben. Es ist schon kurz nach zehn Uhr abends, als sie nach Zug aufbrechen will, wo sie mit ihrem Mann und den zwei erwachsenen Kindern lebt und eine Praxis als selbstständige Heilpraktikerin führt. Plötzlich legt sie, wie auch so oft in ihren Jodelstunden, einen Finger ans Ohr, um konzent­rierter zu hören. «Diese Jodeljunkies können einfach nicht aufhören.» Sie spricht von ihren Schülern, die in Gedan-ken auch auf dem Heimweg munter weiterjodeln. Zwei ­Stunden zuvor in einem Raum im obersten Stock des altehrwürdigen Baus: «Das Zwerchfell und den Beckenboden wippen lassen», sagt Huber.

Rund 25 Erwachsene folgen den Instruktionen und wirken dabei anfänglich, als würden sie sich nach einem ausgiebigen Mahl in Richtung Siesta strecken. Doch je länger, je mehr entweichen ihnen Klänge, die in der Summe tönen, als hätten sich die Alpen nach Zürich verschoben.

«Eine Kommunikation ohne Worte»

Die meisten der Teilnehmer sind zwischen 50 und 60 Jahre alt. Aber auch eine junge Asiatin ist dabei, die von ihrer Schweizer Nachbarin überredet worden ist, mitzukommen, und die nur Englisch spricht. Ihr kommt zugute, dass der Naturjodel, den Huber unterrichtet, ohne Worte auskommt. Lediglich gesungene Töne geben die Mitglieder der Jodelklasse von sich, Noten haben sie dabei keine zur Verfügung, und genau dies fasziniert Huber an diesem ursprünglichen Stil des Jodelns, die im Appenzellerland (zäuerle) und noch archaischer im Muotatal (juuzen) praktiziert wird. «Es ist eine Kommunikation ohne Worte, bei der man sich aufeinander einlassen muss, um den gemeinsamen Ton zu finden», sagt sie.

Bevor Natalie Huber jedoch zu jodeln begann, tat dies ihr Mann. Vor etwa zehn Jahren trat der Zuger Anwalt für sie überraschend ins Zuger Jodeldoppelquartett ein. «Ich weiss gar nicht mehr genau, woher sein Interesse damals kam, ich glaube, er war schon immer begeistert vom traditionellen Handörgeli, damit hing es sicher zusammen», sagt Huber. Anfänglich habe sie dieser Schritt von ihm fast ein wenig irritiert. «Das Jodeln gehörte einfach damals nicht zu meinem Horizont.» Die 45-Jährige mit Vorfahren aus dem Tessin und Sri Lanka war schon früh fasziniert von der grossen Welt und deren Kulturen. «Mit dem Schweizer Vereinsleben oder gar mit Trachten konnte ich hingegen nur wenig anfangen», sagt sie. «Dies wirkte mir alles etwas zu eng.»

Trotz der anfänglichen Vorbehalte begann sich Huber mit der Zeit doch fürs Jodeln zu interessieren, denn im gleichen Zeitraum, als ihr Mann zu jodeln begann, absolvierte sie eine the­rapeutische Weiterbildung in Somatic Experiencing – eine Methode zur Stressreduktion – bei der die Körpersprache eine zentrale Rolle spielt. «Die Neugierde für das Interesse meines Mannes und die Erkenntnisse aus der Ausbildung führten dazu, dass ich mich fürs Jodeln zu öffnen begann», sagt Huber. Ihre Passion fand sie im Naturjodel.

Direkte Demokratie, Kartoffelschäler und Jodel

Ihre Liste, was sie an der Schweiz schätzt, hat Huber seitdem ergänzt. In ihrem Video auf einem Youtube-Kanal, in dem Ausländer und Secondos erzählen, was ihnen besonders an der Schweiz gefällt, nennt sie drei Sachen: «Die direkte Demokratie, der Kartoffelschäler und der Jodel.» In den letzten zehn Jahren besuchte Huber mehrere Jodelkurse, erwarb das Diplom zur Chorleiterin und gibt selbst Jodelunterricht.

An diesem Mittwochabend im November im Schulhaus Asper will sie ihre dortige Jodelgruppe auf einen Auftritt an einer Stubete Anfang Dezember in Aeugst am Albis vorbereiten. Sie ist sehr umtriebig und kontrolliert wiederholt mit beiden Fingern auf den Ohren, ob alle den Ton treffen. «Juuzen wir noch eins», sagt sie immer wieder. Die Schüler lassen sich animieren. «Es hat wirklich etwas Therapeutisches, gewissermassen ist es eine Art Seelenhygiene, man kann alles rauslassen», sagt eine ältere Dame, die kurz darauf ihren Nachhauseweg jodelnd verbringen wird. Auch der jungen Asiatin hat es gefallen, sonst würde sie nicht wenige Tage später im Restaurant Pöschtli in Aeugst am Albis mit der Gruppe auf der Bühne stehen und mit Natalie Huber als Dirigentin die gelernten «Juuze» zum Besten geben.

Huber erzählt am Rande der Bühne von ihrem nächsten Projekt. «Ich interessiere mich für die sozialen Effekte, die das Jodeln mit sich bringt, wie Kooperation, Einfühlsamkeit, Spiel, Teamgeist.» Sie würde es deshalb in Zukunft gerne einmal ausprobieren, Jodelworkshops in Unternehmen zu realisieren. (Christopher Gilb)