Das Kunsthaus sieht bunt

Kunst & Baukultur

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Im Kunsthaus lässt sich ein Farbspektakel beobachten. Das ist erst der Anfang: Die nächste Ausstellung sortiert die Sammlung nach Farben. Wie Socken. Oder Buntstifte. Und lässt Besuchende experimentieren. Wie erleben Kinder Kunst? Zum Beispiel so.

  • Rot zum Eintauchen: Werke von Jan Jedlička. (Bild: Falco Meyer)
    Rot zum Eintauchen: Werke von Jan Jedlička. (Bild: Falco Meyer)
  • Lebendiger Schmuck: Werke von Brigitte Moser stehen in Bezug zu jenen von Max von Moos.
    Lebendiger Schmuck: Werke von Brigitte Moser stehen in Bezug zu jenen von Max von Moos.

Zug – Dieser Artikel ist in der April-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Das Kunsthaus schwebt im Farbrausch: Schon die aktuelle Ausstellung «Jan Jedlička – Retrospektive» hat die Ausstellungsräume in ganze Farbpaletten getaucht. Mit erdigem Rot auf grossen Leinwänden, Entdeckungsreisen in kleinen Farbkacheln, grossen Schwüngen und kleinen Wirbeln. Als hätte der Künstler das Licht und die Erde und die ganze Landschaft zu Farbe zerrieben und auf die Leinwand gebracht. Und irgendwie hat er das auch: Hat die Farben aus der Erde und den Steinen der italienischen Maremma gewonnen, gemörsert und in Pigmente verwandelt, auf der Leinwand zu Kombinationen verarbeitet, aus denen uns das Land entgegenblickt. Kondensierte Landschaft, eingefangene und verdichtete Farbigkeit der Erde. Mal flächig aufgetragen, mal in kleine Kacheln aufgelöst. Die Ausstellung ist ein voller Erfolg, besonders auch, was die Kunstvermittlung angeht. «Dieser Prozess, diese Pigmente herzustellen, ist gar nicht so einfach», sagt Friederike Balke. Sie ist für die Kunstvermittlung für Schulklassen zuständig. «Das haben wir beim Nachmachen herausgefunden: Es reicht nicht, die Steine zu zermörsern. Dann fängt das grosse Ausprobieren erst an: Welches Bindemittel sorgt für brauchbare Pigmente? Wie verarbeitet man diese Farbe?» Balke hat diverse Schulklassen durch die Ausstellung geführt und mit ihnen zusammen den Prozess des Künstlers nachempfunden.

Das kann ich auch!

«Die erste Reaktion der Schülerinnen und Schüler ist oft die klassische Reaktion auf abstrakte Kunst: Das könnte ich auch!», sagt Balke und schmunzelt. «Sobald man sich etwas tiefer damit beschäftigt, wird schnell klar: Darin steckt grosses Handwerk.» Die Ausstellung war womöglich gerade wegen dieses greifbaren Handwerks so erfolgreich. «Wir konnten mit den Kindern in lebendige Diskussionen über Farbe und Farbpigmente einsteigen», sagt Balke, «und sind dann im Atelier auch aktiv geworden: Sie haben viel selber ausprobiert und zum Beispiel versucht, selber solche Bilder mit Farbfeldern herzustellen.»

Das Kunsthaus bietet im Rahmen der Kunstvermittlung unter anderem für Schulklassen aller Altersstufen solche Workshops begleitend zu den Ausstellungen an, von der Spielgruppe über Kindergarten bis zur Sekundarstufe und dem Gymnasium. Die Kinder und Jugendlichen müssen dafür keine Vorkenntnisse mitbringen. «Die Neugierde ist bei ihnen schon da – man muss sie nicht erst wecken. Aber wir können sie im Erleben der Ausstellung begleiten und ihnen Aufgaben stellen, die ihnen eine Beschäftigung damit ermöglichen.»

In der parallel geführten Ausstellung «Max von Moos – Florin Granwehr – Brigitte Moser» zum Beispiel geht diese Beschäftigung über das Thema «Fantasiewesen». «Die Werke von Max von Moos haben surrealistisch fantastische Motive, das ist teilweise zwar etwas gruselig für die Kinder, aber auf eine gute Art», sagt Balke. «Zwischen seinen Bildern und den Objekten von Brigitte Moser entstehen Beziehungen, die auch für die Kinder nachvollziehbar sind.»

Zu von Moos’ Traumgestalten passen Brigitte Mosers Materialien: Rehgebisse, gesammelte Zähne, Knochen und Haare. Ihre Schmuckstücke könnten Requisiten in hochmagischen Ritualen sein, die Werke von Max von Moos zeigen, wo solche magischen Prozesse hinführen könnten. Die Kinder suchten beim Workshop nach Ähnlichkeiten und Verbindendem und fanden das auch: «Da finden sie vielleicht eine skelettartige Fantasiegestalt in einem Bild von Max von Moos, die wie aus einem Traum entsprungen zu sein scheint. Und diese verbinden sie mit den Knochen oder Tiergebissen, die Brigitte Moser in ihren Schmuckstücken verwendet hat.»

Wollt ihr wirklich?

Dazu gehört auch direktes Erleben: Die Kinder durften dann zum Beispiel einen Rehknochen anfassen, den Balke organisiert hatte. «Sie mussten nicht, aber es wollten alle», sagt Balke und lacht. Da sind wir mitten im Handwerk der Kunstvermittlung. «Wir wissen nie, was bei einem solchen Workshop alles passieren wird», sagt Balke, «die Kinder können uns auch nach dem 20sten Workshop noch mit neuen Ideen und neuen Betrachtungen überraschen. Und genau darum geht es uns ja auch: dass da ein persönliches Erleben und Auseinandersetzen mit der Kunst möglich wird.»

Und damit geht es auch in der nächsten Ausstellung weiter. Denn ab Anfang Mai entwickelt das Kunsthaus den Farbrausch weiter und gestaltet damit ein neues Kleid für seine Sammlung.

«Lust auf Farbe» heisst die neue Ausstellung. Sie ist ein Experiment: Das Kunsthaus taucht jeden Raum in eine Farbe und gestaltet dazu eine Auswahl aus der Sammlung. Dabei entstehen Werkkombinationen, die so noch nie zu sehen waren. Und dabei spielt auch die Kunstvermittlung eine Rolle: «Die Kunstvermittlung kuratiert einen Teil der Ausstellung mit», sagt Balke, «meine ehemalige Kollegin Dr. Sandra Winiger hat vor Jahren verschiedene Stationen für Farbwahrnehmungen entwickelt, von denen wir nun eine Auswahl für alle Besuchenden zugänglich machen können.» Dabei können sich die Besucherinnen und Besucher direkt selber mit den Werken und dem Thema Farbe in einem geführten Prozess auseinandersetzen.

Kunsthaus-Direktor Matthias Haldemann hat die Ausstellung kuratiert. Wie man eine ganze Sammlung in einzelne Farben giesst, wollten wir von ihm wissen.

 

Zug Kultur Magazin: Wie sind Sie bei der Auswahl der Werke vorgegangen? Haben Sie die ganze Sammlung nach Farben durchkämmt und sind dabei auf interessante Kombinationen gestossen?

Matthias Haldemann: Es ging um einen neuartigen Zugang zur Sammlung. Nach Farben sortieren ist wahrlich kein wissenschaftlicher Ansatz, man kennt das eher vom Ordnen seiner Socken oder Buntstifte. Doch für die moderne Kunst wurde die Buntfarbe zu etwas elementar Wichtigem.

Anfangs habe ich überlegt, welche Werke mir zu Gelb, Rot, Grün, Blau, zu Grau, Bunt und Weiss und Schwarz in den Sinn kommen. Und nach Recherchen im Inventar und in den Depots kam viel Interessantes zusammen.

Wie haben Sie den Prozess der Gestaltung der Ausstellung erlebt? Ich stelle mir vor, dass ein Konzept wie die Sortierung nach Farben einerseits einengt und andererseits neue kreative Spielräume schafft.

Ich habe geprüft, wie die Farben sich auf die vorhandenen Räume verteilen lassen und ob die ausgewählten Werke darin gut zur Geltung kommen können. Dann ging es recht leicht vonstatten. Eingeengt fühlte ich mich nicht, im Gegenteil, ich konnte frei kombinieren.

Sind Kombinationen von Werken entstanden, die dich überrascht haben? Oder entstehen diese Kombinationen erst noch beim Aufbauen der Ausstellung?

Die Werke haben sich fast wie von selbst zusammengefunden, scheint mir. Wobei unser wissenschaftlicher Volontär, Sandro Weilenmann, ein gutes Korrektiv war. Er ist mit der Sammlung wenig vertraut und reagierte spontan auf meine Vorauswahl, auch kritisch. Im Depot gab es Überraschungen, hatte ich doch einige Werke bisher nicht mit einer bestimmten Farbe in Verbindung gebracht. Mein Blick verschob sich. Vertrautes entdeckte ich neu.

Was gefällt Ihnen am Konzept besonders gut?

Dass es einfach, spielerisch und sinnlich direkt ist, aber auch komplex.

Farben sind nicht einfach da als Teil der wiedererkennbaren Welt, sie entstehen in unserem Kopf! Unsere Kunstvermittlungsabteilung bietet zur Ausstellung didaktische Farb- und Lichtexperimente für die Besuchenden an. Zudem liegt aktuelle Fachliteratur zur Ansicht auf.

Welche neuen Aspekte der Sammlung lassen sich in dieser Ausstellungsform erleben?

Das werden wir wissen, wenn die Ausstellung fertig ist. Gerne teste ich beim Einrichten noch einiges. Wer will mit wem, wer doch lieber nicht? Das entscheidet die Begegnung mit den Originalen. Die hierarchielose Vermischung von Bekanntem, Berühmtem und Unbekanntem unterschiedlichster Richtung in verschiedenen Medien verspricht, eine Frische zu bekommen. Schaffen wir einen Raum mit einem Farbklang, einem spannungsvollen Akkord?

Eine Farbe kann verbinden, verwandte und gegensätzliche Atmosphären, Aromen schaffen, sie kann strukturieren, wirbeln, brennen, schweben, explodieren, in Verbindung mit einem Motiv ihre Qualität verändern, expressiv oder lyrisch wirken.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Werke ausgesucht?

Die ausgewählten Werke mussten eine Hauptfarbe haben. Dann wurde untersucht, was zusammen «geht» und an einer Wand eine Gruppe bilden kann. Dabei kristallisierten sich thematische Inhalte heraus, die durch die erneute Werkselektion gestärkt und miteinander kombiniert wurden. Es ging nicht darum, den Arbeiten Themen überzustülpen, diese ergaben sich aus den Farbverwandtschaften.

Gibt es einzelne Werke, die nun seit längerem Schlaf im Archiv erstmals wieder ausgestellt werden?

Ja. Zum Beispiel zeigen wir wieder einmal surreale Bilder des unbekannten Basler Malers Walter Moeschlin oder ein konkretes Gemälde von Richard Paul Lohse. Es gibt aber auch Neues zu entdecken, Wüstenbilder von Aborigines- Frauen oder malerische Arbeiten von Olafur Eliasson.

Womöglich wirken einzelne Werke im Farbrausch der anderen ganz anders als für sich alleine – kann das auch schiefgehen?

Sicher, wir balancieren da auf einem Farbseil. Die Sammlungsausstellung ist ein Experiment. Lassen Sie sich, wie wir, davon überraschen.


Hier gehts zur aktuellen Ausstellung.

(Text: Falco Meyer)