Syrinx, die Keusche

Dies & Das

,

Weiblichkeit und Mythologie – bei Oscar Wigglis Stahlplastik beim Theater Casino wird auch der an sich rein zweckgebundene Betonsockel zum Bestandteil des Kunstwerkes.

  • «Syrinx» beim Theater Casino ist über drei Meter hoch. (Bild Stefan Kaiser)
    «Syrinx» beim Theater Casino ist über drei Meter hoch. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Sie ist zwar sehr gross, sticht aber nicht so sehr ins Auge – es liegt wohl an ihrer Platzierung im Schatten des Theater-Casino-Neubaus. Die Stahlplastik von Oscar Wiggli (1927–2016) kennen wohl insbesondere die Besucher des Seebades Seeliken. Der Abgang hierhin entlang der Nordfassade des Anbaus führt an der Skulptur vorbei. Entstanden ist die Plastik mit dem Namen «Syrinx» im Jahr 1985 und war seinerzeit eine Schenkung des Kantons Zug an die Stadt. Im selben Jahr führte die Galerie Werner Bommer, welche damals noch in der Stadt Zug niedergelassen war – heute in Zürich – eine Wiggli-­Ausstellung durch.

Die über drei Meter hohe Plastik ist aus sogenanntem Cortenstahl angefertigt. Das Material zeichnet sich durch eine besondere Eigenheit aus: Witterungen ausgesetzt, korrodiert es zwar stark, jedoch nur oberflächlich. Unter dem sichtbaren Rost bildet sich eine weitgehend undurchlässige Schicht aus Phosphaten und Sulfaten, die eine tiefer dringende Rostbildung verhindert. Deshalb wird Cortenstahl wegen seiner Wetterfestigkeit häufig als Baumaterial verwendet.

Wechselndes Raumgefühl

Auch Wigglis Plastik «Syrinx» hat eine geschlossene Rostschicht, weshalb sie sich von der rötlichen Fassade des Theaterbaus nicht stark abhebt und somit trotz ihrer Ausmasse nicht ganz so augenfällig wird. Eine genauere Betrachtung von «Syrinx» lohnt: Der hochrechteckige Betonsockel der Plastik ist nicht nur Träger, sondern Teil des Kunstwerkes – Teile der Stahlplastik greifen über die oberen Kanten des Sockels in dessen Seitenwände und beziehen ihn mit ein. Die Stahlplastik selbst ist ein urtypisches Wigg­li-Werk: Unterschiedlich geformte und bearbeitete Platten sind so an- und ineinander gefügt, dass für den Betrachtenden je nach Blickwinkel ein wechselndes Raumgefühl entsteht.

In seinem Schaffen hat sich Oscar Wiggli hauptsächlich an der Sinnlichkeit des weiblichen Körpers orientiert. Davon ausgehend hat er seine bildhauerische Handschrift laufend dahingehend entwickelt, dass ­seine archaisch wirkenden Plastiken sich allmählich vom rein Weiblichen entfernten hin zum allgemein Menschlichen – geschlechtsneutral.

Flucht vor Pans Lust

«Syrinx» aber ist der Bezeichnung nach eindeutig vom Weiblichen bestimmt. So heisst in der griechischen Mythologie eine Keuschheits-Nymphe, die sich den lüsternen Annäherungen des Hirtengottes Pan entzieht, indem sie sich in Schilfrohr verwandelt lässt.

Der 1927 in Olten geborene Künstler liess sich zum Mechaniker ausbilden, ehe er in Paris an der Kunstakademie immatrikulierte und danach in Frankreich und in der Schweiz als Bildhauer arbeitete. Fotografie, Druckgrafik und Komposition waren weitere Tätigkeitsfelder des Solothurners. Er starb 2016 in Delsberg. Sein bildhauerisches Werk ist auf dem Schweizer Kunstmarkt stark präsent und gefragt. (Andreas Faessler)

Hinweis
Mit «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.