Kunst, die pfeift und schnauft

Kunst & Baukultur

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Derzeit stellt der Baarer Künstler Quido Sen seine Arbeiten in der Kunsthalle Luzern aus. Und beweist, dass Technik und Kunst ein gutes Paar abgeben. 

  • Quido Sen beim Aufbau der Ausstellung. (Bild: Thierry Burgherr)
    Quido Sen beim Aufbau der Ausstellung. (Bild: Thierry Burgherr)
  • Der Computer hilft: Er ist für Sen Teil einer kreativen Welt.
    Der Computer hilft: Er ist für Sen Teil einer kreativen Welt.
  • Wolke? Sens Arbeiten lassen Spielraum für Interpretation.
    Wolke? Sens Arbeiten lassen Spielraum für Interpretation.
Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

«Da stimmt etwas nicht.» Quido Sen setzt sich die filigrane Brille, die an einer Haushaltsschnur um seinen Hals hängt, auf die Nase und steht auf. Er stellt sich über eine Kiste, die via Plastikrohre mit einer anderen Kiste verbunden ist. Auf dem Bildschirm, der in der Kiste montiert ist, flimmern bunte Linien. Die Kiste gibt keinen Laut von sich.
Wenn Maschinen knarzen und knurren, ist das meist ein schlechtes Zeichen. Das Gegenteil gilt für Quido Sens Kunst. Dass seine Installation weder pfeift noch schnauft, ist kein gutes Zeichen. Der Baarer Kunstschaffende greift in die Kiste, prüft die Kabel, schraubt etwas herum. Dann ertönt ein unangenehmes, lautes Sirren. Sen nickt zufrieden und setzt sich wieder.
Wir sitzen in der Kunsthalle Luzern, wo Sen gerade daran ist, eine Ausstellung zu entwickeln. Über dem Eingang hängen zwei schwarze Transparente. Auf einem davon steht in weissen  Lettern geschrieben: «Vertrauensbildende Massnahmen im Finanzsektor führen zur Nachhaltigkeit der Gewinnmaximierung».
Eine mehr als nur leere Floskel, die in einer Medienmitteilung oder dem Geschäftsbericht einer Grossbank jedoch prima untergebracht werden könnte, ohne weiter aufzufallen.

«Es ist übel, wie Marketingfritzen die Tatsachen beschönigen. Bombardiert eine Kriegspartei ein Krankenhaus, spricht sie von Kollateralschaden», führt Quido Sen aus. «Redet ein Politiker davon, ‹Untersuchungen zu tätigen und geeignete Massnahmen zu treffen›, kann man sicher sein, dass überhaupt nichts passiert.»
Auf einem Tablet ploppen Sätze auf. «Die UBS hat einen Rekordgewinn erwirtschaftet», «Europa ist gerettet». In der Badewanne darunter liegt ein Sack, der atmet; der sich in regelmässigen Abständen aufbläht und wieder in sich zusammenfällt.

Ein paar Wochen zu spät
Es scheint, als treffe der 74-Jährige mit seiner Ausstellung, nur wenige Wochen nach der CS-Übernahme durch die UBS, den Nerv der Zeit. Dieser sagt: «Nun, eigentlich bin ich ein paar Wochen zu spät. Dieses Objekt entstand jedoch bereits 2009 und bezog sich auf die UBS-Krise. Doch es zeigt gut auf, wie sich die Geschichte wiederholt.»
Quido Sen war schon immer ein kritischer Geist. «Ich komme aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Als Teenager wollte ich mehr über die Welt wissen und begann, ausser den c einheimischen, auch Radiosender aus Amerika und Deutschland in der tschechischen Sprache zu verfolgen. Die Aussagen darin waren zum Teil diametral unterschiedlich.»
Schon damals wollte er Kunst machen. «Mit 15  Jahren kam ich durch meinen älteren Cousin, der Architekt war, in Kontakt mit der Kunstszene. Doch auch Technik und Elektronik interessierten mich.» So studierte er denn in Prag und später an der ETH, wurde Elektroingenieur und arbeitete für die damalige Landis & Gyr. Später, neben der Kunst, unterrichtete er einige Jahre an der Technikerschule in Zug.

Computer als kreative Welt
Dass Technik und Kunst durchaus Hand in Hand gehen können, realisierte Sen bald. «Ich sehe den Computer als kreative Welt.» Bereits in den 80ern schuf der Ingenieur computergenerierte Zeichnungen. Man darf die Werke durchaus als visionär bezeichnen.
Ob er es schlimm findet, wenn Besucher seine Kunst nicht verstehen? Er überlegt kurz, sagt dann: «Ich denke, jeder nimmt davon etwas mit, ob das nun positiv oder negativ ist. Auch wenn man ein Werk nicht versteht, kann es gut sein, dass man zu Hause noch darüber nachdenkt.»
Ein Thema, das Sen persönlich beschäftigt und das auch in seiner Kunst Ausdruck findet, ist die Überwachung. Wer die Ausstellung betritt und links und rechts an den grossen Damigianen, also den gläsernen Ballonflaschen, vorbeigeht, die in der Mitte des Raums stehen, wird registriert. Plötzlich beginnen die Flaschen zu klingen; manche angenehm warm, andere wie ein lästiger Tinnitus. Ästhetisch ansprechende Wachhunde, die merken, wenn man kommt und geht.
Mit dem Thema Überwachung kennt sich Sen aus. «Als die Fichenaffäre in der Schweiz bekannt wurde, wollten meine Freunde und ich wissen, ob auch über uns Daten gesammelt worden waren. Das Ganze war eigentlich ein Jux. Doch tatsächlich gab es über mich als einziger unserer Gruppe eine Karteikarte.» Sen weiter: «Das war für mich sehr überraschend und äusserst unangenehm. Man wusste ja nicht, wer die Infos über einen gesammelt hatte.»
Während Sen erzählt, wird durch die transparenten Schläuche der grossen Installation nebenan mit wolkenähnlichen, hängenden Objekten, welche er «Umschöpfen» nennt, plötzlich eine rote Flüssigkeit gepumpt. Ist es Blut? Ist es Himbeersirup? Handelt es sich um eine lebensrettende Maschine oder doch um einen blutsaugenden Vampir? «Das soll jeder für sich selbst entscheiden. Ich lasse bei meinen Experimenten immer Raum für Interpretation», sagt Sen.

Gewachsene Ausstellung
Der Baarer Künstler plant seine Ausstellungen im Voraus nicht akribisch. Sie entstehen organisch, während der Arbeit. «Ich beginne, und je nach Gemütszustand entsteht etwas Lustiges oder Bitterböses. Ich kann im Voraus nie sagen, wie etwas rauskommt.»
Die Furcht, dass ihm die Inspiration plötzlich abhanden kommen könnte, kennt Sen. «Natürlich gab es auch schon Ausstellungen, mit denen ich nicht glücklich war. Das lag jedoch meist daran, dass ich es perfekt machen wollte. Das ist das Schlimmste. Oder wie es der koreanische Künstler Nam June Paik sagte: ‹When too perfect, lieber Gott böse!›» Bei der Ausstellung, die Quido Sen gerade umsetzt, hat er jedoch ein gutes Gefühl. Nicht nur mit der Ausstellung in der Kunsthalle Luzern, sondern auch mit dem Buch, das vor ihm liegt, ist Sen zufrieden. Es handelt sich um eine aufwendig gestaltete Monografie, die kürzlich erschienen ist und Quido Sens über 50-jähriges Kunstschaffen widerspiegelt. Für ihn ist dies ein besonderer Moment, auch wenn die rund zweijährige Arbeit an der Monografie «sehr mühsam» gewesen sei und ihn einiges an Nerven gekostet habe.

Plastik, Schaltafeln, Glasflaschen
Neben dem Keuchen, Schnaufen und Fiepen, das seine Arbeiten wiedergeben, fallen die Materialien auf, die Sen in der Ausstellung verwendet hat. Recycelter Plastik, Schaltafeln, gebrauchte Glasflaschen oder die Sprossen eines alten Treppengeländers, welche er in der Installation «Umschöpfen» verwendet. Ob er besonderen Wert darauf lege, Secondhand-Materialien zu nutzen? «Naja. Der Grund ist nicht nur, dass die verwendeten Materialien billig sind.
Material sagt viel über uns und unsere Gesellschaft aus. Einerseits sind da die unüber­sehbaren Plastikberge, auf der anderen Seite aufwendig und wunderschön gedrechselte Treppengeländer-Sprossen, welche von ausgestorbenen Berufen zeugen.»
Ersteres sei dennoch ein Material, das man für Kunst verwenden könne, «das zweite kann man als Tribut an die Generation verstehen, die schöne, heute jedoch nutzlose Produkte hergestellt hat», sagt Sen, während er zusieht, wie der Museumsleiter Michael Sutter seine Plotterzeichnungen in einer Reihe aufhängt. Dies nicht in der Reihenfolge, wie es Quido Sen eigentlich geplant hatte. «Das ist schon in Ordnung so», sagt Sen. «Nun hängen die Bilder in der Regelmässigkeit des Zufalls.» Dass so der Titel seiner Monografie lautet, ist hingegen kein Zufall.

Hinweis: Das Buch kann bei Quido Sen oder bei der Kunsthalle Luzern bezogen werden.

(Text: Valeria Wieser)