Drei Hallen für fast alle

Dies & Das

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Der Freiruum in Zug ist ein Vorzeigeobjekt für die Organisatoren der Zwischennutzung. Sie haben gross gedacht und umgesetzt. Was machen wir jetzt damit? Mal ausprobieren.

  • So siehts aus im Freiruum. Bild: PD
    So siehts aus im Freiruum. Bild: PD

Zug – Dieser Artikel ist in der Oktober-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zur Ausgabe. Text: Lionel Hausheer.

 

Die Halle im alten Siemensgebäude schaut nach einem Platz aus, an dem Willy Wonka ein Start-up gründen würde. Der Freiruum in Zug ist erst seit wenigen Wochen offen, an der Eröffnung waren beinahe zweitausend Menschen, um zu sehen, was es hier gibt. Am Ende kann man diese Frage grosszügig mit «alles» beantworten. Um das Ganze etwas genauer zu erklären, braucht es ein paar Worte mehr.

Fünf Menschen für drei Hallen
Markus Kragler ist Geschäftsführer und führt durch die drei Hallen, die zusammen den Freiruum bilden. Früher, noch vor etwa einem 
Jahr, besetzten Siemens-Mitarbeiter die Hallen. Jetzt, während der Zwischennutzung der riesigen Erdgeschossfläche bis 2022 soll das Areal allen gehören. Markus Kragler redet schnell und begeistert, wenn er vom Freiruum spricht. Er und sein fünfköpfiges Team haben in den letzten Monaten und Jahren enormen Effort in das Projekt gesteckt.

«Mein Vorgesetzter und Inhaber  Michael Federle hat genau 633 Tage an dem Projekt gearbeitet, als ich es übernommen habe», sagt Kragler. «Plus ich dann nochmals 366 Tage bis zur Eröffnung.» Alles wurde geplant, bewusst gewählt, der Teufel den Details regelrecht ausgetrieben.

Marketingmenschen schaffen Kulturraum
Die Haupthalle ist die sogenannte Genusshalle. Ess- und Trinkstände, Verkaufsläden, Bars und Cafés sind wie Inseln auf dem groben Industriehallenboden verteilt. Sobald man sich dazwischen begibt, verschwindet die riesige Halle. Der Raum wird geschickt unterteilt, man geht nicht verloren. Markus Kragler spricht von «Welten», wenn er von den verschiedenen Bereichen redet. Das klingt nach einem Wort, das sich Marketing-Menschen gerne ausdenken.

Kein Wunder: Markus Kragler und sein Team kommen auch genau aus diesem Bereich.
Das ganze Projekt Freiruum ist ursprünglich von der Marketing- und Eventfirma Pointbreak aus Zürich aufgezogen worden. Inzwischen haben aber Kragler und das Team Blut geleckt. In eine eigene Firma, die «Kanton 27», ist das Zwischennutzungsprojekt ausgelagert worden. Sie soll in Zukunft noch mehr solche Projekte umsetzen. «Der Freiruum ist unser Vorzeigeprojekt dazu», sagt Kragler mit ausschweifender Geste auf die Halle.

Wie ist das mit den Welten?
Seine Geste streift dabei ein altes, gemütliches Sofa, auf dem eine junge Frau ein Buch liest. Ein Mann sitzt bei einem Kaffee an einem Tisch und arbeitet an seinem Computer. Zwei Männer stehen bei der Kaffeetheke und reden über Klatsch. Kragler hat eben doch recht, die Halle verschwindet, die verschiedenen «Welten» treten hervor.

Alle diese Welten zusammengenommen wirken erschlagend. Achtung, Luft holen! Der Freiruum bietet: einen Arbeitsplatz. Im Coworking Space kann man für sich an Tischen oder auf Sofas arbeiten, etwas besprechen, man bekommt gratis Wasser und WLAN dank einer Partnerschaft mit den WWZ. In einem Multimedia-Sitzungszimmer, das wie die Umkleide der ersten Mannschaft des EVZ ausschaut, sitzen bereits wichtig gekleidete Herren vor smarten Folien.

Kaffee aus Tansania
Weiter: Ein Café bietet eine spezielle Freiruum-Röstung an, ein Zuger Kaffeehändler verkauft hier seine Bohnen von seiner eigenen Farm in Tansania. Ein Biomarkt verkauft ausgewählte Lebensmittel, die Facebook-Gruppe «Zuger helfen Zugern» ist mit einem Stand vertreten, der EVZ verkauft Burger neben einem Stand für Thai-Gerichte.

Es gibt eine Cocktail-Bar. Und eine Bier-Bar mit vierzehn Zapfhähnen und rund zwanzig Flaschenbieren. Am Abend gibt es kleine Bühnen für Künstler aus der Region. Ach ja: In einer Show-Küche finden Kochkurse statt. Und das war erst die Haupthalle.

Die Eventhalle des Freiruums ist möglichst breit angelegt. Ein Raum, mit Platz für bis zu 1600 Personen, Ton- und Lichttechnik bilden «die Grundtechnik der Halle. Für Partys und Konzerte kann man jederzeit aufstocken», sagt Kragler. Trotzdem, für Comedy-Abende, ein Firmenanlass, eine Produktpräsentation oder eine Hochzeit ist der Saal gerüstet.

Alter Lötraum wird zur Whiskey-Lounge
Neben der Eventhalle ist in Zusammenarbeit mit Geberit eine WC-Anlage entstanden, die Lavabos sind dabei in alten Werkbänken ein­gelassen, die Kragler und sein Team an Floh­märkten zusammengesucht haben.

Eine Tür weiter ist ein heimliches Schmuckstück des Freiruums versteckt: eine ZigarrenLounge. Villiger stellt hier seine Produkte zur Verfügung. Ein Filmteam aus Deutschland hat den alten Lötraum von Siemens in Handarbeit zu einer edlen Whiskey-Lounge ausgearbeitet, die direkt dem England der Jahrhundertwende entsprungen scheint. Der letzte Teil des Freiruums ist die Sporthalle. Hier steht die momentan wahrscheinlich grösste Boulderanlage der Schweiz. Ein Partner aus Chur hat die Kletterwände mit den farbigen Haken zur Verfügung gestellt. «Klettern ist ein guter Sport, um sich schon während zwanzig Minuten ziemlich auszupowern», meint Kragler. Es gibt hier Routen für Kinder, Anfänger und solche für Profis, die gerne kopfüber und mit gekreuzten Armen greifen.

Schlaue Kooperationen
«Es war für uns ein gewisser Fokus beim Sport, dass wir Dinge anbieten, bei denen man sich mit  em eigenen Körper bewegen muss», sagt Kragler. Neben dem Klettern gibt es noch einen Trampolinbereich und einen Parkour, in Zusammenarbeit mit der Freestylehalle Cham.
Vieles im Freiruum sei nur dank schlauen Kooperationen so möglich geworden. «Wir wollten möglichst oft mit lokalen Partnern zusammenarbeiten», sagt Kragler.

Beim EVZ beispielsweise oder der WWZ hat das geklappt. Wo aber Zuger Geschäfte nicht mitmachen wollten, haben die Leute vom Freiruum auf andere Partner zurückgreifen müssen. So konnten auch die Kosten verhältnismässig tief gehalten werden. Zwar trägt die Firma Kanton 27 das unternehmerische Risiko, natürlich mit Pointbreak im Rücken. Doch ganz alleine hätten sie die gesamten Investitionen nicht tragen können. Schliesslich sind auch drei Jahre keine lange Zeit, um alles wieder zurückzubekommen. Kragler redet von gesamten Investitionen von fünf bis sechs Millionen. «Es muss sich also eigentlich vom ersten Moment an rechnen», sagt er.

Gästezahl schon erreicht
Die Hoffnung, dass das Konzept des Freiruums sich tatsächlich rendiert, ist aber nicht bloss auf Optimismus gebaut. Kragler und sein Team stützten sich unter anderem auf eine Studie, die die Bedürfnisse für den Standort abgeklärt hat. Und die Studie scheint sich zu lohnen. «Wir haben die erhoffte Gästeanzahl über Mittag ­bereits erreicht», sagt Kragler nach rund fünf Wochen Freiruum-Betrieb.

Und wo bleibt die Kultur?
Der Freiruum soll auch Platz für kulturelle Anlässe bieten. Das lässt Künstler offensichtlich aufhorchen. «Viele haben sich schon bei uns gemeldet, die gerne etwas aufführen oder zeigen wollen im Freiruum», sagt Markus Kragler. Denkbar ist auch hier beinahe alles. Das Frei­ruum-Team habe bereits mit Comedians geredet und Anfragen für Theaterproduktionen bekommen. Aber auch Galeristen seien interessiert, im Freiruum etwas auszustellen, DJs und Musiker könnten auf den kleineren Bühnen in der Haupthalle auftreten.

Auch hier wollen sich die Freiruum-Betreiber auf lokale Acts konzentrieren. «Wobei aber auch überregionale Künstler je nach Anlass ihren Platz haben sollen.» Doch so schnell passiert das noch nicht. «Unser Team ist momentan noch sehr stark damit beschäftigt, alle Arbeiten der Startphase zu bewältigen», sagt Kragler. Auch wenn später solche Kulturanlässe bestimmt regelmässiger stattfinden, momentan habe es eher zweite Priorität. Bis dahin werden Anfragen aufgenommen, gebündelt und für später im Jahr zur Seite gelegt.

Nicht alle sind begeistert
Aber nicht alle sind vom Freiruum begeistert. Ein Leserbriefschreiber der «Zuger Zeitung» erzählt anschaulich, wie er den Freiruum besucht, in der Hoffnung, dort einen Platz zu finden, «wo sich Zuger und Zugerinnen begegnen können, um Kreatives zu schaffen und die Gesellschaft zu beleben». Was er aber finde, entspreche überhaupt nicht dem, kommt der Schreiber zum Schluss. Offenbar entspricht die Freiraum-Idee einem Bedürfnis – und die Vorstellungen davon, wie Freiraum sein soll, divergieren.

Kein Bargeld? Doch, doch!
Im Falle des Leserbriefschreibers ist es wohl die Kommerzialität des Unterfangens, die ihn vor den Kopf stösst. Er störe sich daran, dass die Pflanzen eingetopft sind, dass die Mitarbeiter einheitliche T-Shirts tragen, dass er für die Angebote des Freiruums bezahlen muss und dass der Freiruum kein Bargeld nehme.
Letzteres ist ein Missverständnis. Wenn er nachgefragt hätte, hätte er herausgefunden, dass er sein Bargeld auf eine Gutscheinkarte laden und so bezahlen kann. Bargeld sei in kleinen Gastrobetrieben immer ein Hygieneproblem, so die Argumentation der Betreiber. Wer will die gleichen Finger am Geld wie am Essen haben?


Richtig Sport
Auch Jacqueline Falk, Leiterin der Fachstelle für Kultur der Stadt Zug, glaubt, dass der Freiruum ein Bedürfnis der Zuger abdeckt. «Ich finde es grossartig. Man kann dort als Familie oder auch allein den ganzen Tag verbringen. Die Sporthalle ist nicht eine reine Kinderbespassung, sondern richtig Sport: Sogar Kinder des Kinderzirkus Grissini können dort Saltos trainieren», sagt sie. Etwas theoretischer gesprochen, decke der Freiruum im Winter ab, was Zug im Sommer mit der Seepromenade bieten könne. «Wir brauchen im Winter ganz klar mehr solche Begegnungsräume, wo man sich zwanglos aufhalten kann», sagt Falk.

Klar gäbe es viele Räume in Zug. Doch die seien nicht rund um die Uhr betrieben, und man sei dort an Konsum und Einladungen gebunden. Nicht so im Freiruum. «Dort kann ich einfach reinsitzen und ein Buch lesen oder einfach Leute beobachten.» Das sei so vorher in anderen öffentlichen Räumen in Zug noch nicht möglich gewesen, so Falk. «Solche inspirierenden Orte sind wertvoll.»