Auf diesen Winzlingen spielt die Welt
Theater & Tanz
Kultur kommt nicht immer mit Gebrüll. Wir haben vier Kleinstbühnen in der Stadt Zug besucht. Und sind dabei nicht nur auf Süsses gestossen. Da geht es auch mal frivol zu und her.
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier als Pdf lesen.
Die Bühne des Kinder- und Jugendtheaters Zug (KJT) ist bestimmt nicht die kleinste, welche die Stadt Zug birgt. Doch womöglich die versteckteste. Weil sie sich drei Stockwerke unter dem Metalli Zug befindet, können Jungspunde hier unten noch so Theater machen: Die Menschen, die an der Erdoberfläche am Sushiförderband sitzen, merken davon garantiert nichts.
Diese Narrenfreiheit wird ausgenützt. Fast täglich spielen sich Theaterkinder unter dem Metalli die Seele aus dem Leib. Hier wurden Primarschüler zu Meisterdieben,Teenagerinnen zu Heeresauflöserinnen und Kindergärtler zu glücklichen Löwen. Und weil dieses Theater mit seinen 32 Jahren bestimmt einige Geschichten auf Lager hat, steigen wir hinab in den Untergrund.
In der frisch renovierten Theaterbar treffen wir Stefan Koch, Mitbegründer und Theaterenthusiast. Enthusiast? Auch nach über 30 Jahren? Und wie. «Selbst wenn sich der Enthusiasmus gewandelt hat. Ich bin heute gesetzter, habe die Erfahrung, zu wissen, dass wir eines nach dem anderen machen und unsere Ressourcen gut nützen müssen.» Und Koch, den man in der Theaterwelt besser als Zappa kennt, erklärt uns, wie das kam mit dem Kindertheater. «In den Achtzigern gab es in Zug zwar sehr wohl Jugendangebote wie Musikunterricht oder Pfadi, doch ein Theater für Junge suchte man vergebens.»
So baute der angehende Lehrer mit drei Freunden das KJT auf, anfangs mit zwei Produktionen im Jahr. Heute sind es acht. «Man darf wohl sagen, dass das eine durchwegs erfolgreiche Geschichte ist», sagt Koch. Das widerspricht dem gängigen Vorurteil der faulen Jugend, die zwar genau weiss, wie viel Zoll der neuste Samsung-TV hat, aber noch nie von Bertolt Brecht gehört hat. «Das Gegenteil ist der Fall. Wir müssen schauen, dass wir uns nicht übernehmen mit den Produktionen.»
Sponsoring für Hauptrolle? Nein danke
Und doch hätten sich einige Dinge verändert in den letzten drei Dekaden. «Vor ein paar Jahren wurde ich von einem Vater gefragt, wie viel es kostet, damit sein Kind eine Hauptrolle erhält. Das ist dann Sponsoring, auf das wir gern verzichten», sagt Koch. Doch grundsätzlich würden Eltern die Grundphilosophie des KJT sehr schätzen. Die da lautet? «Bei uns können alle mitspielen, die Lust auf Theater haben. Castings oder Eintrittstests sind überhaupt kein Thema», sagt Koch. Er reflektiert: «Und doch übergeben wir gleich viele Leute an die Berufsschulen wie die ambitionierteren Jugendtheater. Wer’s im Blut hat, der schafft das, ohne gepusht zu werden.»
Die Gefahr des Verschmelzens
Aber warum eigentlich Theater? Warum tut’s dem Kind gut, sich in einer Rolle zu verlieren? «Weil man im Theater das Leben übt. Viele der Situationen, die wir hier spielen, tauchen später einmal wieder auf. Entweder direkt oder in abgewandelter Form», so ist sich Koch sicher. «Diese Handlungsmuster, die der Körper auf der Bühne gelernt hat, helfen einem, gelassener durchs Leben zu gehen.» Auch wenn Theater für Kinder und Jugendliche eine anspruchsvolle Sache sei. «Im Gegensatz zum Profi verschmelzen Jugendliche mit ihrer Rolle, ja verlieren sich nicht selten. Und das ist genau diese Dissonanz, die das Theaterspiel der jungen Bühnenkünstler so unwiderstehlich macht. Es kann durchaus auch mal etwas gefährlich werden», sagt Koch.
Falscher Schnaps, echte Krise
Etwa, wenn die Spieler dann aus dem Konzept gerissen werden. «Früher war auch bei uns der sogenannte Dernierengag üblich, also ein kleiner Scherz, den man bei der letzten Aufführung einbaut.» Nur geht das auch mal mächtig in die Hose. «Etwa bei der Derniere von «Dursli, der Branntweinsäufer». Das Wasser, den die Schauspieler als Schnaps tranken, färbten wir grün ein. Das war fatal. Die Jugendlichen gerieten derart aus dem Konzept, dass das Stück völlig in sich zusammenbrach.» Man musste eine ungeplante Pause einlegen. «Währenddessen waren hinter der Bühne alle am Heulen. Dann haben sie das Stück zu Ende gespielt. Der Moment, in dem alle Schauspieler mit verweintem Gesicht und Rose in der Hand zum Schluss auf der Bühne standen war extrem berührend», erzählt der Vater des KJT.
Mittlerweile haben sich fast 200 Stücke zusammengeläppert. Ans Aufhören denkt Koch jedoch noch lange nicht, erklärt er uns, bevor wir wieder an die Erdoberfläche steigen. «Ich bin jetzt 53 Jahre alt. Ich würde sagen, zehn Jahre darf ich sicher noch dabei sein.»
Dass sich Bühnen nicht nur für Theater eignen, beweisen zwei Zuger seit zehn Jahren an der St.-Oswalds-Gasse. Dort gibt’s an jedem elften Tag des Monats Geschichten. Herkömmliche Lesungen? Mitnichten. Judith Stadlin und Michael van Orsouw, die Veranstalter der Satz & Pfeffer-Lesebühne, betiteln ihre Anlässe lieber als Vorleseshows. Denn sie sind viel mehr als Lesungen. Hier gibt’s häufig Geistreiches. Trauriges zwischendurch. Wortspiele. Oh ja, die mag man im Oswalds Eleven gern. Dann sind’s wieder Dialoge, die hier Publikum finden. Und Kabarett. «Die Texte wurden extra für die Bühne geschrieben, die werden nicht einfach heruntergelesen», sagt Michael van Orsouw. Und seine Partnerin Judith Stadlin übernimmt nahtlos: «Jeder Text hat seinen eigenen Körper. Es geht nicht, dass jemand zwar super schreiben, aber nicht vortragen kann.»
Um sicherzugehen, dass das nicht passiert, treten nur Menschen im Oswalds Eleven auf, deren Wirken die beiden kennen. «Trotzdem ist es immer ein Wagnis, ob eine Konstellation passt», sagt van Orsouw. Wie es halt auch Geschmackssache sei, ob dem Publikum ein Stück gefalle. Dennoch glauben die Schöpfer des Anlasses zu wissen, was das Rezept für einen gelungenen Abend ist: «Aus Erfahrung wissen wir, dass wir die Auftritte richtig einbetten müssen. Lyrisches etwa kann nicht nach einem Schenkelklopfer gezeigt werden», sagt Stadlin.
Auf dieser kleinen Bühne steht nämlich nicht einfach nur Hinz und Kunz. Tatsächlich ist die Liste der bisherigen Gäste beachtlich. Nicht nur wegen ihrer Länge, sondern auch, weil an der St.-Oswalds-Gasse regelmässig auch grosse Schweizer Namen ihre eigenen Texte vorgetragen haben. Arno Camenisch, Charles Lewinsky, Gisela Widmer oder Bänz Friedli fanden den Weg ins Oswalds Eleven bereits.
Grosse Namen auf kleiner Bühne
Die Frage, ob denn diese winzige Bühne diesen bekannten Namen denn gerecht werde, bejahen beide vehement. «Die finden genau das so toll. Charles Lewinsky, ein guter Freund von uns, ist völlig begeistert davon», so Stadlin. Und sie fügt lakonisch hinzu: «Autoren, die glauben, sie seien zu gut für unsere kleine Bühne, würden sowieso nicht ganz unserer Kragenweite entsprechen.» Und wer sitzt im Publikum? Gut ein Drittel der Gäste käme regelmässig, erzählt das Autorenpaar, der Rest könne sich von mal zu mal ändern. «Die Leute kommen von überall her, von Schwyz, Luzern, Zürich oder aus dem Freiamt. Je nach Special auch von weiter her.»
70 Leute passen ins Oswalds Eleven. Wir blicken uns um. Ähm. Gestapelt? Nicht doch. «Es gibt einen anderen Raum, in dem die Lesebühne live übertragen wird. Die, die hinten waren, kommen in der Pause nach vorne und umgekehrt», so Stadlin. Das Publikum einfach so mir nichts, dir nichts, hinter die Bühne zu schicken, klingt schon etwas dreist. «Ach was, die Leute finden das mittlerweile toll. Die Atmosphäre auf der hinteren Seite ist eine ganz andere.»
Ein Konkurrenzverhältnis zu anderen Leseveranstaltungen habe man nicht, versichert uns van Orsouw. «Das wäre provinziell. Die Literaturszene ist sowieso schon klein, da darf man sich nicht noch durch Hahnenkämpfe schwächen.»
Finanziell unterstützt wird die Lesebühne von Kanton und der Stadt Zug, dazu kommen Gönner und Sponsoren. «Wenn es nicht reichen sollte, gibt es halt in einem Jahr nur zehn Veranstaltungen», sagt Stadlin pragmatisch. Auch, wenn das die hartgesottenen Fans nicht schätzen. «Wir haben einmal ein Jahr Pause gemacht. Das ist nicht so gut angekommen und hat uns umso mehr bestärkt, weiterzumachen», erklärt die Veranstalterin.
Mitten rein ins Tohuwabohu
Unweit der St.-Oswalds-Gasse wartet eine weitere kleine Bühne auf unseren Besuch. Auch wenn wir beim Eintritt ins Cabaret etwas irritiert sind. Im Partout Variété in der Oberaltstadt steppt der Bär. Zauberer, Tontechniker, Clowns und adrett gekleidete Damen wuseln durch den ziemlich kleinen Raum. Dazwischen Judith Weingartner, Betreiberin des kleinen Veranstaltungslokals, die äusserst beschäftigt scheint. Sie entdeckt uns, grüsst herzlich, wir setzen uns vor der Bühne. Und damit mitten ins Geschehen. Auf der Bühne knallt’s – der Jongleur hüpft gerade von seinem auf einer Rolle balancierenden Brett –, hinten an der Bar klirren die Gläser. Judith Weingartner erklärt, warum hier Tohuwabohu herrscht. «In einer Stunde gibt’s hier ein Novum. Fürs Partout Variété, aber vielleicht auch für Zug. Wir werden eine kurze Burlesque-Show zeigen», sagt die ausgebildete Clownfrau.
Darum also die Frau auf der Bühne, die uns derart lasziv anlächelt, dass es einem die Schamesröte ins Gesicht jagt.
Geschmackvoller, mit Humor gespickter Striptease erwartet die Gäste laut Weingartner. So viel Frivolität ist man sich hierzulande nicht gewohnt. Sind sie denn bereit dafür, die Zuger? «Ich denke schon. Heute Abend treten ausschliesslich Freunde von mir auf, die unter anderem extra aus Berlin angereist sind. Und die sind sich bewusst, dass das hiesige Publikum noch nicht burlesque-erprobt ist.» Die Clownfrau ist jedoch überzeugt, dass es dem Publikum gefallen wird. Wir wundern uns. Erotik und Humor? Geht denn das zusammen? «Oh ja, das geht», versichert sie knapp. Wir bleiben skeptisch.
Staatlich anerkannte Clown-Schauspielerin
Seit zwei Jahren betreibt die Urzugerin das Schabernack Partout Variété und trägt dazu bei, dass die Altstadt wenigstens mit einem Auge wach bleibt. Regelmässig gibt’s hier Musik zu hören, wöchentlich unterrichtet Weingartner Kinder in der Kunst der Clownerie. Ausserdem ist die Gründerin des Variétés dran, ein Clown-Projekt für Asylbewerber sowie eine offene Bühne zu organisieren.
Weingartner hat einen aufregenden Lebensweg hinter sich. Nachdem sie wie schon ihr Grossvater und später ihr Vater als Coiffeuse und Theatercoiffeuse tätig war, machte sie eine Ausbildung in freier Kunst, Malerei und Performance. Im deutschen Freiburg lernte sie Zirkus- und Theaterpädagogin. Und plötzlich war es um sie geschehen. Mehr und mehr begann ihr Herz für die Clownerie zu schlagen. «So sehr, dass ich gleich in Mainz die Ausbildung zur staatlich anerkannten Clown-Schauspielerin anhängte. Das ist kein Witz. Das heisst tatsächlich so.»
Erotik und Humor? Und ob das passt
So richtig zurück in Zug ist Weingartner erst seit kurzem. Lange wohnte sie in einem alten Haus am Thunersee, das nun jedoch dem Erdboden gleichgemacht wird. Nun lebt sie im Zirkuswagen und ist damit zurückgekehrt in altbekannte Gefilde. «Ich bin eine Nomadin», sagt die Kulturschaffende. «Lange bin ich mit dem Wagen umhergereist, und jetzt, da ich einige Monate am gleichen Standort bin, verspüre ich bereits wieder den Drang, wegzuziehen», sagt sie schmunzelnd.
Darum hat sie sich nun daran gemacht, mögliche Zweitwohnsitze auszukundschaften. Eine Alphütte und eine Bleibe im Hospental stünden aktuell zur Debatte, sagt Weingartner, während sie dem Treiben auf der Bühne zusieht.
Die Stimmung ist mittlerweile noch geschäftiger geworden. Es ist offensichtlich. Die Clownfrau wird gebraucht. Deshalb verabschieden wir uns vorläufig. Eine Stunde später sind wir zurück und schauen uns die Burlesque-Show aus nächster Nähe an. Es sind 45 Minuten, in denen wir viel lachen. Ein wenig rot werden. Und merken, dass Erotik und Humor ganz formidabel zusammenpassen.
Die winzigste der Winzlinge
In der Altstadt schlummert seit eineinhalb Jahren ein weiteres Bühnenbijou. Ein weniger frivoles und weniger auffälligeres. Denn einerseits ist die Bühne des Troimbar mit nur gut einem Meter Durchmesser winzig, anderseits ist sie gut versteckt. Und doch kommen Leute.
Insbesondere kleine. Wir treffen Andrea Marisa Gätzi-Pellanda, die Schafferin am Ort des Geschehens. In der Oberaltstadt 28 hat die gelernte Kindergärtnerin und Musikpädagogin zwei Räume gemietet. In einem davon unterrichtet sie Kleinkindern Musik, im hinteren, einer Art Gewölbekeller, gibt’s Theater für Kinder ab zwei Jahren. Puppentheater, um genau zu sein. Von A bis Z selbst gemacht.
Kitschig, furchtbar: Das geht besser
Die Idee dazu sei ihr gekommen, als sie sich vor ein paar Jahren ein Puppentheater angeschaut habe, erklärt uns die Chamerin, nachdem wir uns auf die niedrigen Bänke gesetzt haben. «Das Stück war furchtbar. Es war kitschig, die Musik kam ab Tonband, und um das Bühnenbild zu wechseln, musste das Stück jeweils für drei Minuten unterbrochen werden. Das kann ich besser, dachte ich mir», erinnert sich Gätzi-Pellanda.
Und sie sagt: «Ich habe in Kindergärten unterrichtet, in denen keines der Kinder Deutsch als Muttersprache hatte. Darum habe ich angefangen, Kindermusicals zu organisieren.»
Damit schlug sie gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe. «Einerseits ist es für das Selbstwertgefühl der Kinder super, in einem Musical Verantwortung zu übernehmen. Ausserdem ist es in der Musik egal, welche Sprache ein Kind spricht.» Und weil sie keine passenden Musikstücke für ihre Kinderprojekte fand, schrieb sie diese kurzerhand selber.
Zwar ohne Gewinn, aber auch ohne Verlust
Die Lieder, die dadurch entstanden sind, finden nun Verwendung in den Märchen, die im Troimbar gespielt werden. Pro Monat wird ein Stück aufgeführt, und das je zweimal. Meist sind es etwa 26 Kinder und Begleitpersonen, die teilnehmen. Zwischendurch kommt es vor, dass Gätzi-Pellanda Kinder am Eingang abweisen muss, da das munzige Theater bereits voll ist. «Das ist natürlich traurig. Doch kann ich betreffend der feuerpolizeilichen Vorgaben kein Sicherheitsrisiko eingehen.»
Bald jedoch gibt’s mehr Platz. Und dafür weniger Altstadtcharme. Troimbar zieht ins Metalli, dort kann Gätzi einen grösseren Raum mieten. «Und erst noch mit Dachterrasse», freut sie sich. «Es ist mir sehr wichtig, dass das Puppentheater nicht kommerziell wird, sondern nach wie vor klein und fein bleibt. Das Metalli ist eine sehr gute Lösung und ein schöner Fortschritt.» Auch auf finanzieller Ebene, wie sie erklärt. «Bis jetzt erhalte ich keine Unterstützung von der Stadt oder vom Kanton. Das habe ich auch nie angestrebt. Und es funktioniert. Ich mache zwar keinen wirklichen Gewinn, aber auch nicht rückwärts.» Mit grösseren Räumlichkeiten und den dadurch entstehenden Mehreinnahmen würden wohl auch die finanziellen Möglichkeiten wachsen.
Auch wenn die 39-Jährige betont, dass bei Troimbar nicht das Geld im Vordergrund stehe. «Ich mache das nicht, um meinen Lebensunterhalt zu generieren. Daneben habe ich eine Anstellung als Lehrperson, bin verheiratet und Mutter.» Vielmehr sei das Troimbar eine Herzensangelegenheit. «Jede Aufführung ist so schön einzigartig. Die Kinder freuen sich über die Geschichte und die Lieder, bei denen alle mitsingen dürfen. Das gibt mir viel. Ich kann dabei auftanken und auch die Kinder», so Gätzi. Und sie sagt schmunzelnd: «Und die Grossväter, die zwischendurch schlafend in der Ecke sitzen, scheinen das auch zu geniessen.» (Valeria Wieser)