Die Suche nach dem Sound

Musik

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Die Zuger Band Humanoids geben mit ihrer EP «Could You Love to Lose» eine Platte heraus, die fast so klingt, wie sie klingen sollte. Zum Glück nur fast.

  • Humanoids bei der EP-Taufe. Bild: Rolf Fassbind
    Humanoids bei der EP-Taufe. Bild: Rolf Fassbind
Zug – Dieser Artikel ist in der März-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Humanoid, der; Substantiv, von human (Mensch) und der Endung -oid (ähnlich). Ein Wesen, das Mensch sein will, aber doch nie ganz sein wird.

Es war ein sonniger Pfingstsonntagmorgen, eigentlich wäre am Tag davor keine Party in der Galvanik in Zug geplant gewesen. Aber weil eben genau die besten Feste unplanbar bleiben, war doch eine. Die Spuren davon zu beseitigen, dauerte den ganzen Morgen. Und bis dann Guliano Sulzberger seinen Mikrofonwald zwischen Bass, Schlagzeug, Orgel und Gitarrenverstärker aufgebaut hatte, dauerte es nochmals bis fast Mittag. Die vier Mitglieder der Zuger Band Humanoids sassen draussen an der Sonne, tranken Kaffee, rauchten, redeten, mit der instinktiven Sicherheit von Künstlern, die wissen, dass heute alles gut kommt.

«Ich glaube, wir waren noch nie so nahe an dem Sound dran, wie wir klingen wollen», sagt Sänger Philipp Muchenberger. Ein Sonntag, an dem alles gelingt – ein Märchentraum für Musiker. Es wäre unfair zu behaupten, das die Humanoids einfach einen guten Tag hatten, als sie in der Galvanik, ihrem selbsterklärten Zuhause, ihre neue Platte «Could You Love to Lose» aufnahmen. Es sind genau diese Flow-Momente, denen die Band seit ihren ersten Auftritten hinterherjagt, die Momente, wenn der Strom fliesst, durch die vier Musiker, in den Sound.

Früher mit Wucht, heute mit Nuance
Es ging ihnen schon immer um die Energie, sagen sie. Man soll hören, wie der Strom die vier durchzuckt. Früher hätten sie die Energie gesucht, indem sie laut waren, indem sie schnell waren, indem sie auf der Bühne das Letzte aus sich holten, sagt Bassist Marc Schweiger. Bereits in den frühen Nullerjahren waren Humanoids weit über Zug hinaus für ihre Live-Auftritte bekannt. Aber auch sonst holte sich die Band Lorbeeren. Musikmagazine lobten die ersten Demos der Band, 2007 kam der Song «Underside» auf den dritten Platz am Wettbewerb des M4Music-Festivals. 2014 veröffentlichten Humanoids schliesslich ihr erstes volles Album.

Pure Energie ist ein flüchtiges Ding, es lässt sich nur schwer speichern. Auf ihrem ersten Album haben es Humanoids mit schierer Wucht versucht: Mehrere Spuren für jedes Instrument, Hintergrundchöre, zusätzliche Instrumente. «I Hear the Sun» war ein Monument. Und dabei ermüdend zu erbauen. «Müssten wir jedes Jahr so ein Ding wie ‹I Hear the Sun› abliefern, es würde die Band zerstören», sagt Bassist Marc Schweiger. Das liegt unter anderem daran, wie die Songs von Humanoid entstehen.

Für immer unfertig
Der Gitarrist Aldo Caviezel erklärt. «Wir improvisieren oft zusammen. Kreativität entsteht nur im Flow, wenn man frei denken kann. Und das braucht Zeit. Manchmal muss man den Song ein halbes Jahr lang halbfertig spielen, bis dieser eine Halbton kommt, den er noch gebraucht hat.» Im Bandraum der Humanoids liegen Songs herum, die seit Jahren unfertig auf den letzten Schliff warten, doch er kommt nicht, vielleicht kommt er nie.

Andere sind  innerhalb von einem halben Jahr fertig. Eine Abkürzung gibt es nicht. Aber immer wieder neue Weg zum selben Ziel. Einer dieser Wege hat nun zum Pfingstsonntag geführt. Aber angefangen hat der Weg dahin eigentlich woanders. An einem Konzert von Tobias Carshey in Zürich trifft der Humanoids-Gitarrist Aldo Caviezel einen jungen Produzenten aus Winterthur. Guliano Sulzberger produziert verschiedene Schweizer Bands, die eigentlich ganz anders klingen, als wie sich Humanoids auf ihrer letzten Platte gegeben haben.

«Wir wollten aber genau einmal anders klingen, wir wollten einen Produzenten, der das Ohr von heute kennt, der vielleicht etwas anders an un­sere Musik herangeht», sagt Aldo Caviezel. Die meisten Bandmitglieder haben Guliano Sulzberger erst einmal getroffen, bevor er an diesem Sonntag in der Galvanik seine Mikrofone installierte. Aber alles, was er tat, zeigte, dass er wusste, was er tut, erinnert sich der Schlagzeuger Erich Güntensperger.

Zu gut für ein Demotape
Erst Wochen später habe er auf den Aufnahmen gehört, wie gut sie an diesem Tag waren, sagt Philipp Muchenberger. «Während der Aufnahmen war ich sehr bei mir, ich konnte mich gar nicht auf die andern konzentrieren.» Eigentlich waren die Aufnahmen als Demos geplant. Die Aufnahmen aus der Galvanik sollten eher als Vorlagen für Aufnahmen in einem richtigen Tonstudio dienen, anstatt direkt auf einer EP zu landen. Doch im Laufe des Nachmittags wurde klar: Das ist zu gut, um nur Demotape zu bleiben.
Auf «Could You Love to Lose» klingen Humanoids selbstbewusster denn je. Statt die Energie in der Masse zu suchen, setzen sie auf die Nuancen und Zweideutigkeiten. Eine verzerrte Gitarre kann im gleichen Song direkt aus dem Bauch der Erde dröhnen und dann aber wieder seltsam einsam klingen, wenn sie kurz alleine stehen muss.

Die Freiheit, Regeln zu befolgen
Die Humanoids sind auch in ihrem Songwriting selbstbewusster geworden. Das mag eine gewagte Behauptung sein bei Musikern, die sich noch nie gefürchtet haben, Acht-Minuten-Songs zu veröffentlichen, oder gerne auch mal Songs ganz ohne Chorus schreiben oder ein Intro bis knapp über die Schmerzgrenze dehnen.
Und doch: «Wir müssen nicht mehr wie besessen jede Pop-Konvention brechen», sagt Philipp Muchenberger. Humanoids trauen sich heute, nach einer Strophe auch einfach einen Refrain zu spielen, wenn es dem Song gut tut. Es ist die paradoxe Freiheit, den Regeln zu folgen.

Schon fast da. Immer noch.
Die vier Musiker sind zufrieden mit ihrem Werk, sehr zufrieden, sagen sie. Noch nie klangen sie so sehr nach sich selber. Beinahe klingt es genau so, sagen sie, wie sie schon immer klingen wollten. Beinahe. Es ist, als ob sich die Humanoids, die Menschenähnlichen, auf jeder ihrer Platte selbst zuhören. Und am Ende feststellen müssen, dem Klang-Ziel doch nur sehr nahe zu kommen. Dann zuckt der Humanoid mit den Achseln und sucht hoffnungsvoll weiter. Vielleicht der nächste Song.

(Text: Lionel Hausheer)