Das schnelle Ende eines Märchens
Brauchtum & Geschichte
Er trug den Titel eines Habsburger Erzherzogs und war in Kanton und Stadt Zug sehr willkommen. Doch bei seiner Einbürgerung 1905 lief gar nicht alles rund, und Zug wurde hinterher zum Gespött der Schweiz.
Zug – Es klang wie in einem süsslichen Märchen: Der einstige Habsburger Erzherzog Leopold Ferdinand von Österreich-Toskana kam im Jahre 1903 mit seiner Frau nach Zug, um sich dauerhaft niederzulassen. Er kaufte die Villa Seeburg an der Artherstrasse (heute Nummer 38), schräg gegenüber der Kapelle St.Karl und des Salesianums.
Zudem wollte der adelige Neuzuzüger die Schweizer Staatsbürgerschaft annehmen. Er war seit zwei Jahren in der Schweiz, sodass ihm grundsätzlich das Schweizer Bürgerrecht zustand. Das Einbürgerungsverfahren nahm seinen gewohnten Gang, bis ihm die Bürgergemeinde Zug am 9. April 1905 das Bürgerrecht zusprach, ohne eine einzige Gegenstimme.
Mit dazu beigetragen hatte sicher auch, dass Leopold die Höchsttaxe von 1500 Franken zu zahlen bereit war. Das Kantonsbürgerrecht kostete nochmals 800 Franken. Am 20. Mai 1905 folgte auch dieses: Leopold Ferdinand, der ehemalige Erzherzog von Österreich-Habsburg, und seine Frau Wilhelmine, waren nun – amtlich beglaubigt – Bürger von Stadt und Kanton Zug!
Von der einen Prostituierten zur nächsten
Doch drei Jahre später war die märchenhafte Story zu Ende. Der eingebürgerte Ex-Erzherzog nannte sich ganz bürgerlich Leopold Wölfling, und das wilde Vorleben seiner Frau Wilhelmine als Prostituierte war öffentlich geworden.
Zudem war die Ehe der Beiden zerbrochen und geschieden, denn Leopold hatte erneut eine Ex-Prostituierte kennen gelernt, die er heiraten wollte. Zudem beabsichtigte der Ex-Erzherzog, die Zuger Villa Seeburg zu verkaufen, er wollte nach Zürich ziehen und sich in Regensdorf einbürgern lassen.
Dann platzte die Bombe: Am Rande eines Ehrverletzungsprozess kam die einstige Einbürgerung in Zug zur Sprache. Ein brisanter Brief tauchte auf, der am 26. Dezember 1904 vom Eidgenössischen Politischen Departement an den Regierungsrat des Kantons Zug gegangen war; er stammte also noch aus der Zeit vor der Einbürgerung in Zug.Darin hatten die eidgenössischen Stellen ausdrücklich vor Leopold gewarnt: «Der ehemalige Erzherzog hat keine schöne Vergangenheit hinter sich. Er galt in Österreich als sittlich verwahrloster Schuldenmacher.» Als Fazit meinte das politische Departement: «So tragen wir doch mit Rücksicht auf das Vorleben des Bewerbers Bedenken.» Unterschrieben war der Brief von Bundespräsident Robert Comtesse höchstpersönlich.
Für Amtsstellen, die sich zu der damaligen Zeit sehr gewunden ausdrückten, waren das bemerkenswert deutliche Worte. Der Zuger Regierungsrat hatte also bereits vor der Erteilung des Bürgerrechts über das zweifelhafte Vorleben des Erzherzogs Bescheid gewusst, hatte darüber aber weder den Kantonsräten, den Bürgerräten noch den Bürgern der Stadt Zug berichtet! Waren hier bewusst Informationen zurückgehalten worden?
In «nicht gerade standesgemässen» Kreisen
Im September 1908 nahmen Medien in der ganzen Schweiz die Angelegenheit auf und berichteten hämisch über die Zuger und deren partielle Blindheit gegenüber dem Ex-Erzherzog. Daraufhin sprach man auch im Kanton Zug angesichts der undurchsichtigen Umstände bald von der «Wölfling-Affäre».
Die «Zuger Nachrichten» meinte selbstkritisch: «Wir Zuger haben einen Mann ins Bürgerrecht aufgenommen, der vorher in Brünn und Iglau in Kreisen verkehrte, die nicht gerade als standesgemäss bezeichnet werden können, der seiner Ausschweifungen wegen ein Jahr in der Irrenanstalt Bendorf zugebracht […] Dass man darob in der Schweiz herum die Köpfe schüttelt, ist begreiflich.»
Stadt und Kanton Zug hätten sich peinlich benommen und gaben in der Schweizer Öffentlichkeit ein denkbar schlechtes Bild ab. «Wir müssen denn doch stark bezweifeln, dass Wölfling einstimmig ins Zuger Bürgerrecht aufgenommen worden wäre, wie es tatsächlich der Fall war, wenn das Vorleben des Mannes bekannt gewesen wäre. Und im Kantonsrat wäre Wölfling gescheitert.» Es liess sich nicht wegdiskutieren: Der Kanton Zug hatte ein selbst verursachtes Problem: «Wir haben eine Wölfling-Affäre.»
Nun vollzog der Regierungsrat des Kantons Zug einen interessanten Schlenker. Statt zu prüfen, wer damals seine schützende Hand über den Erzherzog und sein Sündenregister gehalten hatte, suchte das Gremium nach dem Whistleblower, also nach derjenigen Person, die den internen Brief öffentlich gemacht hatte.
Weil in Zug kein Schuldiger gefunden wurde, zog der Regierungsrat den Kreis weiter, hakte auch beim Politischen Departement in Bern nach. Deshalb schaltete sich sogar die Schweizerische Bundesanwaltschaft ein: Sie untersuchte den Fall in Bern und hielt nach einem Informationsleck im Politischen Departement Ausschau. Doch die Recherchen über eine Berner Indiskretion ergaben nichts. So verlief die ganze Administrativuntersuchung im Sand.
Immerhin klärte sich auf, was 1905 bei der Einbürgerungsabstimmung schiefgelaufen war: Der damalige Kantonsratspräsident Dr. Josef Leonz Schmid hatte zwar den Warnbrief seitens der Eidgenossenschaft gekannt, hatte aber nichts gesagt: Weil niemand Einblick in die Einbürgerungsakten verlangt habe, habe er die Warnung aus Bundesbern nicht von sich aus im Kantonsrat vorlesen wollen …!
Leopolds Villa Seeburg ging übrigens später an den Zuger Industriellen Karl Heinz Gyr von Elektrokonzern Landis & Gyr. Damit ging die Liegenschaft vom Geburts- zum Geldadel. (Text von Michael van Orsouw)
Hinweis Dr. Michael van Orsouw ist Historiker und Schriftsteller. Er beleuchtet Zuger Skandale des 20. Jahrhunderts. In Folge 3 geht es um einen Eklat in der Zuger Industrie.