Er träumt sich seine Stadt musikalisch

Musik

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Zum 100-Jährigen des Stadtorchesters Zug kommt zwischen Tschaikowsky und Rautavaara ein neues Stück von Tobias Rütti zur Uraufführung.

  • Tobias Rütti greift in seiner Komposition eine Legende auf. (Bild Mathias Blattmann)
    Tobias Rütti greift in seiner Komposition eine Legende auf. (Bild Mathias Blattmann)

Zug – Er schaut mit hellen blauen Augen sinnierend durchs Caféfenster und ringt um Worte. Soeben hat er beredt und begeistert von seiner neuen Schöpfung «Horbächlers Sicht» erzählt, einer Auftragskom­position des Stadtorchesters Zug zu dessen 100-jährigem Bestehen.

Aber die Frage, wie aus einer Anfangsmelodie, die ihm beim Spazieren eingefallen ist, und einer rhythmischen Grundstruktur, die mit dem Zuger Wappen zu tun hat, allmählich elf Minuten Musik werden, ist nicht leicht zu beantworten. Dennoch scheint sie Tobias Rütti zu interessieren.

Da gibt es zunächst eine Legende, die um den Zugerberg herumgeistert: Der «Horbächler» ist nicht nur ein kräftiger Föhnwind, der von den Hängen zum See herab peitscht, sondern auch eine Sagengestalt, die Menschen in Not beisteht.

Tobias Rütti leitet die Fachschaft Musik an der Kanti Zug, und einer seiner Schüler hat ihm von einer solchen Begegnung erzählt. Das Auto seines Vaters sei nachts von der Strasse abgekommen, den Hang hinabgestürzt und habe sich mehrfach überschlagen. Rütti schildert, wie es weiterging: «Als der Vater aus dem Auto stieg, sei da plötzlich ein alter Mann gestanden, der sich nach ihrem Befinden erkundigte; als sie realisierten, dass alle unverletzt waren, war der alte Mann schon wieder weg.» Waren die Verunfallten dem Horbächler begegnet?

Ein Werk aus drei Teilen

«Diese Geschichte hat mich berührt und ist bei mir geblieben wie ein Sound – dunkel, rätselhaft, Wald und Nacht, etwas Gspüriges in Blau-Grau», schildert Rütti, «der Klang des Unsagbaren war mir Inspiration für das Anfangsthema von ‹Horbächlers Sicht›.»

Im ersten Teil des dreiteiligen Werkes, «Uf Zug abä», präsentieren Oboe und Klarinette diese Melodie in geheimnisvollem d-moll. Als Komponist denkt Rütti in Klängen und Rhythmen, irgendwie abstrakt und doch sinnlich: Klänge haben Farben, Farbabfolgen, es entsteht so etwas wie ein Farbgemälde in Tönen; der Rhythmus sei die Bewegung darin.

«Und dann beginnt ein längerer Prozess, der kaum zu beschreiben ist. Es ist, als sei eigentlich alles schon da und müsse nur vernommen, genommen und geknetet werden.» Das zeitlos bereits Vorhandene muss in die Zeit geholt werden.

Der Wind des Wechsels

Am Prozess hatten auch Inputs von aussen Anteil: Stadtorchester-Dirigent Joonas Pitkänen schlug statt des ursprünglich geplanten ironischen Schlusses etwas Pathetisch-Strahlendes vor, sodass die Horbächler-­Melodie nun im letzten Satz namens «Zmittst im Umzug» in helles C-Dur umschlägt. «In etwas Optimistisches, Gesundes, Weisses», sagt Rütti. Der Mittelteil «Um Zug umä» aber ist von ruhiger Innigkeit, wie Nebel über dem See, versunken ins eigene Träumen. Bis ein Wind daherfährt und die Stimmung unversehens kippt.

Die Kindheit erlebte Rütti in einem Haushalt voller Musik, das Aufwachsen mit Vater und Komponist Carl Rütti, Tante und Harfenistin Praxedis Hug-Rütti. Mit sechs Jahren begann der Geigenunterricht, mit acht das Klavierspiel, mit zwölf die Posaune. Lustvoll das gemeinsame Improvisieren zu Hause. Diszipliniert und unvergesslich prägend der Klavierunterricht bei Cécile Hux. Dann Lehr- und Konzertdiplom und Schulmusik II in Zürich, die Mitgliedschaft in Jazz- und Klassik-Formationen.

Wie ein Zuger seine Stadt träumt, ist am Samstag ab 17 Uhr im Theater Casino zu hören. (Text von Dorotea Bitterli)

Hinweis
Vorverkauf: www.theatercasino.ch. Weitere Infos: www.stadtorchesterzug.ch