«Mich zieht es immer»

Brauchtum & Geschichte, Musik

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Er startete als Jazz-Trompeter schon in den 1960ern international durch und machte das Alphorn ausserhalb der Volksmusik bekannt. Mit 80 Jahren sucht Hans Kennel den Weg zurück.

  • Kennel in seinem Atelier. Bild: Philippe Hubler
    Kennel in seinem Atelier. Bild: Philippe Hubler
  • Inmitten von Instrumenten. Bild: Philippe Hubler
    Inmitten von Instrumenten. Bild: Philippe Hubler
  • Auf zu neuen Experimenten. Bild: Philippe Hubler
    Auf zu neuen Experimenten. Bild: Philippe Hubler

Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Artikeln.

Er durchlebe gerade sein zweites Klimakterium, sagt Hans Kennel und lacht mit den blauen Augen. In Jeans, schwarzem Pulli und neuen Turnschuhen sitzt er in seinem Atelier unter dem Dach seiner Wohn- und Atelierräume auf zwei Stöcken in der Baarer Industrie. Helles Holz, hohe Decken. Alphörner, Trompeten aus allen Zeitepochen und Horninstrumente aus aller Welt stehen an Wände gestützt, liegen in Regalen und vor ihnen. Dazwischen ein paar Hanteln und ein gerahmtes Foto von Kennels Grossvater bei der Kirschenernte. Auf dem Bürotisch vor Kennel liegen stapelweise CDs, Magazine und dazwischen verteilt ein paar Lesebrillen. Er stehe in einem musikalischen Findungsprozess, erklärt Kennel. Gerne wolle er wieder öfters als Jazztrompeter auf der Bühne stehen.

Ducati der Tochter vermacht
Hört man ihm zu, würde man nicht erwarten, dass er gerade in vier unterschiedlichen Formationen Projekte am Laufen hat, an einem Solo-projekt arbeitet und täglich auf seinem Arsenal von Trompeten und Hörnern probt – «unterschiedlich lang, aber immer gleich beharrlich». Man würde auch nicht erwarten, dass dieser Mann gerade 80 Jahre alt geworden ist. Doch das Alter scheint für Hans Kennel kein Thema zu sein. Abgesehen davon, dass er sich beim Alphornspiel am Fenster eine kurzfristige Nackenstarre zugezogen hat und er das Töfffahren vor zwei Jahren ganz an den Nagel hängte, seine Ducati der Tochter vermachte.

Im Kanton Zug bekam man wenig mit
«Ich durfte ein grosses Musikerleben führen», sagt er ganz sachlich. Im Kanton Zug, wo er zu Hause ist, bekam man davon wenig mit. Doch wirft man einen Blick auf seine Biografie, ist es keinesfalls übertrieben. Anfang der 1960er galt er als der führende Hardbop-Trompeter der Schweiz und wurde europaweit gebucht. Er trat mit Kenny Clarke, Abdullah Ibrahim, George Gruntz, Mal Waldron, Remo Rau, Irène Schweizer, Alex Bally und Pierre Favre auf. Und auch die Preise liessen schon in den 60er-Jahren nicht lange auf sich warten.

Als seine Partnerin Elke Mangelsdorff, die sich im Atelier dazusetzt, mit dem Aufzählen beginnen will, winkt er ab. Hans Kennel erwähnt sie nicht, und in den Regalen stehen einige der Urkunden noch recht verpackt herum. Das könne man alles nachlesen – er erzählt offensichtlich lieber von seinen Begegnungen mit anderen Musikern, von Festivals, Lokalen und Anekdoten. Wie aus seinen Bohème-Jahren in Paris, als er mit tollen Musikern zu miserablen Gagen gespielt habe. Wie er an so vielen Abenden in seiner üblen Absteige auf dem Bett gesessen und mit den Münzen Kassensturz gemacht hatte. Meist habe es für ein Essen gereicht, beim algerischen Restaurant gegenüber vom Jazz-Club. Einige Schwarz-Weiss-Fotografien aus der «Münz» und dem legendären «Africana» lässt Kennel nun aus einem Couvert fallen. Dort spielte er zu seinen Studienzeiten regelmässig mit Bruno Spoerri.
Schliesslich erzählt er auch davon, wie er bei den Planungstreffen für den Burgbach-Keller seine erste Frau kennenlernte. Doch nicht nur durch seine Ehe mit der Schwedin ist Kennel dem Norden verbunden, auch über die Musik und die Verwandtschaft der Büchel und der ­Neverlure – einer Schwyzer und einer schwedischen Alphorn-Art.

Bis nach Kasachstan
Sein Norwegisch und Schwedisch sei zwar nicht mehr so gut, so Kennel, der daneben auch Französisch, Italienisch und Englisch wirklich gut spricht und mit anderen europäischen Sprachen gerne etwas kokettiert. Sicher sei ein Teil Begabung, aber er habe auch viel Übung gehabt: So lebte Hans Kennel viele Jahre in Brissago am Lago Maggiore, in Stockholm, Paris, Rom oder auch in New York. Dazu kamen seine Reisen für die Musik – nach Spanien, in die USA oder auch mal nach Kasachstan. «Mich zieht es immer», sagt Kennel, und er scheint nicht nur vom geografischen Reisen zu sprechen.

Herr Kennel im Armani, Hans in Jeans
Mit 50 Jahren hatte Hans Kennel ein neues musikalisches Leben begonnen. Damals begann er mit der Volksmusik – in Gruppen wie Alpine Jazz Herd, Alpine Experience und vor allem dem Alphornquartett Mytha, welches seit 1990 sehr erfolgreiche Konzertauftritte im In- und Ausland spielt. Sie galten als Exoten und beeinflussten Musikergenerationen durch ihre Experimente mit Elementen alpiner Musik.

Dass Kennel heute wieder im Baarer Industriequartier an der Lorze wohnt und musiziert, ist kein Zufall. Rund 20 Jahre lang führte er hier ein Doppelleben: «Auf der einen Seite war ich Herr Kennel, mit Armani-Anzug, polierten Schuhen und Krawatte im Schrank, der die Kräuterproduktionsfirma seines Vaters weiterführt, auf der anderen Seite Hans, der in jeder freien Minute 
in Jeans und T-Shirt einen Stock weiter oben Trompete übt.»
Er sei ein Einzelgänger, sagt Kennel, und seine Partnerin Elke nickt bestätigend im Augenwinkel. Er ziehe sich gerne zurück, um sich auf Literatur und Musik zu konzentrieren. Auch über längere Zeiten. Doch langfristig hielt es ihn trotzdem nicht im ruhigen Brissago. «Ich bin vereinsamt. Kulturell vereinsamt», sagt Kennel.

Die Scham und die Volksmusik
Geboren ist Hans Kennel in Schwyz – sein Grossvater, sein Onkel und sein Vater waren ­leidenschaftliche Ländlermusiker, die Mutter, ledige Elvira Vincenzi, liebte die Oper, sang zu Hause Verdi und in der Kirche im Chor. Die Verwandtschaft mütterlicherseits, ursprüngliche Gastarbeiter im Schweizer Gleis- und Tunnelbau, lebte der Bahnlinie entlang. Sie gründete kleine Firmen, eröffnete Hotels von Seewen bis nach Bellinzona. Auf Umwegen landete die Familie Kennel schliesslich in Zug. Kennels Vater übersiedelte das Geschäft mit Kräutern an die Untermühle. 1962 baute er ein eigenes Gewerbegebäude in Baar an der Lorze, welches Hans Kennel später vergrösserte und heute wieder bewohnt.

Niemand, der sich traut
Dass er zu seinen musikalischen Wurzeln in der Volksmusik fand, lag an einer eher unangenehmen Begegnung im Kopenhagener Jazz-Club Vingarden, erzählt er. Der berühmte schwedische Jazzmusiker Jan Johansson, mit einem Faible für Volksmusik, habe ihn im Club gefragt, ob er ein Schweizer Volksmusikstück auf der Trompete spielen würde. «Ich stand da wie versteinert.» Es sei ihm so peinlich gewesen, kein einziges spielen zu können. «Ich war elitär geworden, sah die Volksmusik als minderwertig», sagt der heutige Pionier in den Grenzbereichen von Jazz und Volksmusik. Alphorn spielte er nach dieser Begegnung eine Weile lang nur heimlich, kamen Musikerkollegen zu Besuch, versteckte er es.

Lange habe er danach nach Kollegen gesucht, die mit ihm gemeinsam mit Alphörnern experimentieren wollten. Denn angesagt war dieses in keinster Weise. «In der Innerschweiz fand ich vor allem niemanden, der sich traute, mit den traditionellen Terz-Klängen des Alphornspiels zu brechen.» In Genf habe er sie schliesslich gefunden, und die Erfolgsgeschichte des Quartetts Mytha begann.

Das Netzwerken nie gelernt
Er sei nie ein eifriger Schüler gewesen, sagt er, und auch seine ersten musikalischen Schritte als Trompeter bei den Kadetten seien wenig vielversprechend verlaufen. Doch im Internat in Fribourg, direkt neben dem Konservatorium, fand der junge Hans Kennel zur Musik. Erst zum gregorianischen Gesang, den er liebte – bis zum frustrierenden Erlebnis des Stimmbruchs. Mit der Trompete kam er zum neuen Jazz. Er übte ständig, zu Hause und in Fribourg, und bald reiste er zu den ersten Jamsessions. Er sprang ein, ersetzte, wurde für unterschiedlichste Formationen angefragt. Er habe das Netzwerken nie gelernt – die richtigen Leute sahen ihn spielen, und die Anfragen und Aufträge kamen. «Ich war verwöhnt», sagt Kennel heute, wo er wieder stärker an seine Zeit als Jazztrompeter anknüpfen möchte. Wahrscheinlich bis zu seinem nächsten «Klimakterium», wenn es ihn weiterzieht in neue musikalische Experimente.

Autorin: Jana Avanzini

Zu hören gibt es Kennel beim Fliz-Jubiläum in Ericht Langjahrs Film «Mein erster Berg».