Dialog der Jahreszeiten

Musik

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Auf Klassik und Barock folgt ein Exkurs ins Buenos Aires des 20. Jahrhunderts: Das Zuger Kammerensemble rückt zwei Komponisten unterschiedlicher Epochen auf Augenhöhe. Eine wahre Sternstunde.

  • Franziska Kannewischer als Solistin in Mercadantes Flötenkonzert. (Bild Stefan Kaiser)
    Franziska Kannewischer als Solistin in Mercadantes Flötenkonzert. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Eigentlich waren Opern sein Steckenpferd – wie am Laufband schrieb sie Saverio Mercadante (1795-1870) für die grossen Bühnen Italiens. Dass der Italiener auch Instrumentalmusik komponierte, ging zu seinen Lebzeiten eher unter. Heute finden sich Mercadantes Orchesterwerke und insbesondere seine Flötenkonzerte wieder vermehrt auf Musikprogrammen.

Sein zweites Flötenkonzert in e-Moll, das mit Abstand populärste, war denn auch einer der Höhepunkte am Auftritt des Zuger Kammerensembles am Montagabend in der CityKirche. In voller Länge stand es am Beginn einer Zeitreise von der Romantik zurück zum Barock. Mit Franziska Kannewischer an der Flöte war die Wahl auf eine exzellente Virtuosin gefallen, welche ihren Part mit sämtlichen «fingerbrecherischen» Kadenzen souverän meisterte und die vom Operngenre hörbar beeinflusste Harmonik – im dritten Satz gar russisch inspiriert – authentisch zu transportieren wusste.

Über Wien nach Venedig

Als kleine musikhistorische Besonderheit möchte man Joseph Haydns (1732-1809) Sinfonie Nr.13 einstufen, davon zumindest den zweiten Satz, welcher vorderhand für Cello-solo angelegt ist. Dies dürfte der Tatsache geschuldet sein, dass die Gattung der Sinfonie Mitte des 18. Jahrhunderts formell noch nicht abschliessend definiert war. Solistin Natalia Chybiak setzte das Schwelgerische in Mercadantes Konzert an ihrem Cello auf zeitlicher Ebene der Wiener Klassik fort – molto cantabile und auf ganzer Linie überzeugend. Den Freiraum zur Improvisation, welcher von Haydn hier ursprünglich vorgesehen war, nutzte sie nicht in vollem Masse, sondern hielt sich bevorzugt an die Partitur.

Schliesslich fand die Exkursion durch die Jahrhunderte ihren Endpunkt im Barock mit Antonio Vivaldis (1678-1741) h-Moll-Konzert für vier Violinen und Streicher. Das Zusammenspiel der vier Solisten – Emanuel Drzyzgula, Jakub Nitsche, Therese auf der Maur und Agata Lazarczyk – verlangte jedem ein Höchstmass an Konzentration ab, zumal in dieser Konstellation und in diesem Raum allfällige Unsauberkeiten leicht auszumachen gewesen wären – wie aber nicht anders erwartet, blieben solche weitgehend aus. Bestens eingespielt und aufeinander abgestimmt lieferten Ensemble und Solisten eine fulminante Ladung italienischen Barocks mit der unverkennbaren Handschrift des Venezianers – welcher im zweiten Konzertschwerpunkt gleich nochmal im Scheinwerferlicht stand, und zwar in einem besonderen Kontext: Antonio Vivaldi wurde Astor Piazzolla (1921-1992) gegenübergestellt. Was für ein Stilbruch! Venezianische Musik des frühen 18. Jahrhunderts soll mit dem Meister des Argentinischen Tangos des 20. Jahrhunderts einhergehen? Fürs Ohr allein mag es denn ein Stilbruch sein; ein Blick auf die Hintergründe der gewählten Piazzolla-Werke aber relativiert alles: Wie der Italiener nämlich hat auch der Argentinier die vier Jahreszeiten vertont, wofür ihm Vivaldis Vertonung sowohl Quelle der Inspiration wie auch formelles Vorbild war. Dem kompositorischen Naturell des Argentiniers getreu, sind dessen Jahreszeiten auf dem Grundgerüst des Tangos aufgebaut. Piazzollas «Sommer» zitiert die dramatischen Passagen aus demjenigen Vivaldis, unerkennbar finden sich dessen wilde Kadenzen bei Piazzolla wieder, angereichert mit Jazzrhythmen und der leidenschaftlichen Melancholie, wie sie der argentinischen Musik innewohnt. Die Gegenüberstellung der beiden «Sommer» – einer der Nord- und einer der Südhalbkugel – erwies sich als sehr effektvolle Idee. Die Schlussakkorde von Piazzollas «Sommer» haben gar etwas Humoristisches. Violinsolist Emanuel Drzyzgula meisterte die hohen Anforderungen beider Sätze abermals mit Bravour.

Das angestammte Gebiet verlassen

Mit dem liebreizenden zweiten Satz von Vivaldis «Winter» als Kontrast zum «sommerlichen» Schwerpunkt nahm das Ensemble die Zugabe vornweg, ehe der Abend mit Piazzollas «Oblivion» für Bandoneon und Streicher seinen Schlussakzent fand. Hierfür hatte das Kammerensemble den Bandoneonisten Pablo Löhle zu Gast, ein Argentinier mit deutschen Wurzeln. Mit Hingabe spielten Streicher und Solist dieses aussergewöhnlich schwelgerische Stück in Form eines langsamen Tangos, welches sich als eine der populärsten Kompositionen Piazzollas häufig in Konzertprogrammen findet.

Das Zuger Berufsmusikerensemble hat an diesem Konzert sein angestammtes Gebiet der Musik von Barock bis Romantik verlassen und dabei mit der gewohnten Qualität auf höchstem Niveau reüssiert. (Andreas Faessler)

Hinweis
Das Konzert wird ein zweites Mal durchgeführt morgen Donnerstagabend, 23. Mai, um 20 Uhr in der Liebfrauenkirche, Zug.