«Expirer» – das Kunst-Tagebuch der Anna Maria Bürgi

Kunst & Baukultur, Literatur & Gesellschaft

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Die Künstlerin Anna Maria Bürgi hat lange in Zug gelebt. Ihr neues Buch führt nach Kairo, New York und Frankreich.

Zug – «Ich gehe nach Zürich ... vielleicht ziehe ich auch keine Schuhe an, wer barfuss geht, geht nicht auf Rosen», schrieb Anna Maria Bürgi (79) in einem ihrer frühen Tagebücher. Ein eigenwillig poetischer Satz. Er machte neugierig. Und gespannt auf mehr. Anna Maria Bürgi ist eben nicht einfach eine Künstlerin. Sie ist eine Künstler-Persönlichkeit von seltener Eigenständigkeit mit enormer poetischer und kreativer Kraft. Eine Pionierin der abstrakten Kunst.

Die Kraft für das vorliegende Buch

Dieser Tage erscheint nun von ihr im Verlag Johannes Petri (Basel) der Bildband «Expirer (Ausatmen)» mit Tagebuchauszügen von 1974 bis 2013. Aufgeschrieben und zu Bild gebracht hat sie diese Notizen auf Reisen nach Kairo und New York. Aber auch an ihrem heutigen Lebens- und Schaffensort Vaux La Douce in Frankreich. Projektleiter Dieter Zimmer hält fest: «Das letzte Ausatmen ihres 2011 verstorbenen Mannes Kurt Meyerhans gab ihr die Kraft für das nun vorliegende Werk.» Anna Maria Bürgi selber sagt es so: «Nahe Menschen verabschieden sich für immer. Ich bleibe zurück, noch lebe ich. Ich atme aus, ich atme ein. Und dieses EINATMEN ist so stark, dass ich das LEBENDIGE dieser Botschaft in Farbe und Sprache weitergeben möchte.»

Gelebtes Leben gemaltes Wort

Geboren wurde Anna Maria Bürgi 1936 in Kägiswil, aufgewachsen ist sie in Alpnach. In einem frühen Tagebuch gesteht sie: «Das Paradies meiner Kindheit müsste ich mir erfinden, denn ich war nicht glücklich.» Jedoch: Vielleicht gerade deshalb hat die Frau eine so starke Kunstsprache gefunden.

Weitere, wichtigere Stationen in ihrem Leben waren das zürcherische Ebertswil und vor allem die Stadt Zug, wo sie mit ihrem Ehemann, dem Musikpädagogen Kurt Meyerhans, eine Familie gründete. Heute lebt und arbeitet Anna Maria Bürgi in Vaux La Douce, Haute-Marne, Frankreich. Sie, die bei einem Atelierbrand viele Werke Teile von sich selbst – verloren hat, musste immer weitermalen: um leben und überleben zu können. Wie hart es für die temperamentvolle Frau ist, wenn Krankheit sie lähmt, hält sie in einem der neuen Tagebucheinträge von 2013 fest: «Ich höre die Tage atmen. Unbarmherzig muss ich mit mir sein. Denn ich bin wieder allein. Zuhören, wo keine Worte mehr sind.»

Ein Lesebuch zum Anschauen

Das neue Buch «Expirer» mag diese Melancholie wiedergeben. Auf seinen meisten Seiten aber ist es noch von Optimismus und Schaffenskraft beseelt. Bezeichnend sind handgeschriebene Worte, die zu Beginn und zum Schluss wie ein Leitmotiv ganze Seiten füllen: «je suis» und «j’aime». Der Leser begleitet die Künstlerin vorerst nach Kairo (2007). In klassischer Geradlinigkeit, aber unglaublich farbig ihre Tagebuchblätter vom Land der Pyramiden. Anna Maria Bürgi selber schreibt dazu: «Ich fand eine neue Bildsprache, Strenge der Komposition, verwendete sogar Scotch-Bänder, weil sonst alles so ausfliessend war. Mein Herz sprang über.» Ganz anders der Aufenthalt in New York 2010. Anna Maria Bürgi schwärmt: «Ich flog über Meer, Städte, Weiten und fand eine neue Bildsprache in New York.» Aber eben auch: «Die Weltmacht überzeugt mich in ihrem politischen Verhalten nicht.» Die Bildeinträge sind voll Leben. Explosiv, widersprüchlich auch. Im dritten Teil des Buches kehrt Beschaulichkeit ein. Die Künstlerin ist nun in Vaux la Douce und hält fest: «Die Natur ist meine RESSOURCE.» Und da findet die Obwaldnerin denn bei Bildern von einzigartiger Schönheit und Dichte Worte, die einen ebenso leicht trösten wie erschrecken mögen: «Die Zeit ist meine Uhr ohne Zeiger, sonst werde ich verrückt.» (Romano Cuonz)

Hinweis
Anna Maria Bürgi: «Expirer Kairo, New York, Vaux La Douce», 128 Seiten, 136 Abbildungen in Farbe. ISBN 978-3-03784-065-8. Verlag Johannes Petri, Basel