Venezianische Gondeln auf dem Zugersee

Theater & Tanz, Musik

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Der Sommer vor 70 Jahren steht für ältere Chamerinnen und Chamer bis heute für die legendären Festspiele auf einer Seebühne im Hirsgarten. Die Musikgesellschaft will diese fast vergessene Tradition wiederbeleben.

  • Mitglieder des Segelclubs Cham wurden für die Rollen der Gondoliere engagiert. (Bild Chamapedia.ch/Privatarchiv Charly Werder, Cham, 1951)
    Mitglieder des Segelclubs Cham wurden für die Rollen der Gondoliere engagiert. (Bild Chamapedia.ch/Privatarchiv Charly Werder, Cham, 1951)

Cham – Es muss eine Sommernacht gewesen sein, wie man sie sich nicht schöner wünschen könnte: Am 1. Juli 1951 führt ein Ensemble von international angesehenen Theaterleuten unter dem freien Himmel Chams «Eine Nacht in Venedig» des Wiener Komponisten Johann Strauss auf. Ein 3200-köpfiges Publikum besetzt alle Plätze der Tribüne im Hirsgarten und blickt auf die eigens für dieses Sommernachtspiel erbaute Seebühne hinaus. Das Wetter spielt mit: In diesem sonst verregneten Sommer findet die erste von zwanzig geplanten Aufführungen unter besten Bedingungen statt. «Feinstes Premierenwetter», wird ein Lokaljournalist schreiben.

Alle massgebenden Zeitungen des Landes sind geladen und auch die Regierung des Standes Zug ist an der Premiere zugegen. Der weitest hergereiste Gast kommt vom anderen Ende der Welt – es ist der australische Verkehrsminister. Die Schweizerischen Bundesbahnen setzen Extrazüge mit verbilligten Fahrkarten ein, Autocars bieten Sonderfahrten an und das Dampfschiff Rigi fährt während der ganzen Festspieldauer Extrafahrten. Ganze 40000 Leute werden sich die Sommernachtspiele ansehen, sieben Zusatzvorstellungen werden angehängt.

Johann Strauss wäre entzückt gewesen

Das sonst unscheinbare Dörfchen Cham erlangt in diesem Juli vor 70 Jahren mit einem Male Weltcharakter. Die Presse weiss die Aufführungen von «Eine Nacht in Venedig» in ausschweifenden Superlativen zu rühmen. So vergleicht ein Journalist der «Neuen Zürcher Nachrichten» die Chamer Aufführungen mit jenen im österreichischen Bregenz. Dort wird noch heute die grösste Seebühne der Welt bespielt. Was am Bodensee erstmals 1946 gelang, glückte nach Meinung des Autors auch am Zugersee.

Die «Zuger Nachrichten» verlauten, die Premiere habe «alle Erwartungen, auch die sehr hochgespannten, übertroffen», so sehr, dass Johann Strauss selber «entzückt» gewesen wäre, hätte er «die ‹Nacht in Venedig› vor solch grossartigem Szenario spielen können». Und auch das «Zuger Volksblatt» hält sich mit Lob nicht ­zurück: «Welch eindrucksvolle Bilder ergeben sich doch, wenn lichtgeschmückte Gondeln aus den Canalettis ins Bühnenlicht auftauchen und wieder in die weiche Dunkelheit einer Sommernacht zurückgleiten oder wenn die beleuchteten Wasserflächen auf den Gebäuden der Bühne malerische Reflexe hervorzaubern!»

Die Initiantinnen und Initianten der Theatergesellschaft Cham scheuten keinen Aufwand beim Bühnenbau, bei der Ausstattung, der künstlerischen Gestaltung und der Besetzung. Insgesamt waren Theater- und Chorleute, Ballerinas und Musiker aus vier Ländern am Stück beteiligt. «Keine Mühe wurde gescheut, nur die besten und ersten Kräfte zu gewinnen, denn wenn schon etwas unternommen werden sollte, muss es untadelig und unvergesslich sein!», schreiben die «Zuger Nachrichten».

Die Veranstalter und die Presse sind sich einig: Ohne das eifrige Zutun der Chamer Bevölkerung wäre ein Anlass von dieser Grössenordnung nicht realisierbar gewesen. «Cham, auf das wir alle stolz sein dürfen, hat es gewagt, von sich aus dieses grosse Werk, einem Spiel auf dem See, zu unternehmen. Ein ganzes Dorf hat unermüdlich gewerkt und gearbeitet», schreiben die «Zuger Nachrichten» vor Beginn der Festspiele. Und nach der Premiere heisst es im «Zuger Volksblatt»: «Gesunder Dorfgeist und Handwerkerfleiss haben ein Unternehmen geschaffen, das sicher im ganzen Lande geachtet und gewürdigt werden darf.»

Nach dem Erfolg der Sommernachtspiele von 1951, peilt die Theatergesellschaft Cham gleich die nächste Grossproduktion an. 1952 wird «Der Bettelstudent» von Carl Millöcker aufgeführt – dieses Mal sind die Musikgesellschaft Cham und der Kavallerieverein des Kantons Zug mit von der Partie.

Auf den Höhepunkt folgt bereits der Abstieg

Auch diese Ausgabe trifft auf breite Resonanz, allerdings reicht es nicht für einen neuen Rekord: Viele Regenabende und die zeitgleich stattfindende Zuger Zentenarfeier – der Kanton Zug gehört 1952 seit 600 Jahren zur Eidgenossenschaft – schmälern die Bilanz. Nach neun Jahren Pause wird 1961 «Wiener Blut» von Johann Strauss aufgeführt. Federführend ist Hermann Fey aus Zürich, Geschäftsleiter der extra für diesen Zweck gegründeten Sommernacht-Festspiele GmbH. Leider macht das Wetter nicht mit – dank einer Regenversicherung können die finanziellen Einbussen aber abgefedert werden.

Ein Jahr darauf plant die Sommernacht-Festspiele GmbH eine Neuinszenierung von «Eine Nacht in Venedig», wiederum in Zusammenarbeit mit weltberühmten Künstlerinnen und Tänzern. Die Theaterkritik in der Presse fällt erneut ausgesprochen gut aus, aber im Durchschnitt werden nur etwas mehr als die Hälfte der Tribünenplätze verkauft. Im Jahr 1963 geht die Sommernacht-Festspiele GmbH Konkurs und hinterlässt Schulden bei Druckereien, Handwerkern, Angestellten und der Gemeinde Cham. Ein zuvor aussichtsreiches künstlerisches Projekt ist verglüht. (Linda Leuenberger)

Neuauflage ist für das Jahr 2024 geplant

Anlässlich ihres 200-Jahre-Jubiläums will die Chamer Musikgesellschaft die Sommernachtspiele-Tradition wieder aufnehmen. Mit einer Eigenproduktion solle an die legendären Chamer Festspiele der 1950er-Jahre angeknüpft werden, so Michael van Orsouw, Historiker und Teil des Kreativteams, auf Anfrage. Mit «Emma@Chom» wird ein eigens für diesen Zweck geschriebenes Theaterstück aus der Feder der Zuger Schriftstellerin, Regisseurin und Schauspielerin Judith Stadlin aufgeführt. Die Theatermusik komponiert der Unterägerer Komponist Tobias Rütti, die Regie übernimmt Delia Dahinden aus Zürich. «Damit sind ausgewiesene Profis am Werk», sagt van Orsouw.

Die Aufführung findet im Sommer 2024 im Hirsgarten in Cham statt. Die Bürgergemeinde Cham unterstützt das Projekt mit 30000 Franken. (lil)