Der einst am meisten gefürchtete Ort Zugs

Dies & Das

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Ein mittelalterlicher Turm in der Zuger Altstadt ist kaum mehr erkennbar. Seine Geschichte und seine frühere Funktion sind bemerkenswert.

Zug – Heute überragt er mit seinem Krüppelwalmdach die restliche Zuger Altstadtverbauung nur noch marginal und fällt kaum mehr ins Auge beim Gesamtanblick des historischen Zugs: Dabei war der «Cheibenturm» einst eines der markantesten Gebäude der mittelalterlichen Stadt und schloss die Häuserzeile am Fischmarkt zum See hin ab. Gut erkennbar ist dies auf einem Holzschnitt von 1547 in der Stumpf-Chronik, wo der Cheibenturm eine hoch aufragende Spitzhaube trägt. Die Geschichte dieses Turmes ist genauso wechselhaft wie seine Bedeutung und Verwendung.

Errichtet wurde der Urbau vermutlich im Zuge der Anlegung der Altstadtmauer im frühen 13. Jahrhundert an deren Innenseite. Das im unteren Teil gemauerte und darüber aus Holz bestehende Gebäude diente zunächst als Wohnturm.

1371 wurde er durch ein Feuer verwüstet, wieder instand gestellt und durch den Bau eines Nachbarhauses vom Fischmarkt abgetrennt. Um 1438 erhielt der Turm schliesslich sein Aussehen, wie in der Stumpf-Chronik ersichtlich ist: mit einem komplett aus Mauerwerk bestehenden Schaft, diesem aufgesetzt eine offene Holzkonstruktion mit Spitzdach, erinnernd an die charakteristischen Dorfkirchen des Saanenlandes. Sein heutiges, wesentlich niedrigeres Walmdach erhielt das Gebäude in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.

Eine Beleidigung übelster Art

Vom «Cheibenturm» ist in einer Zuger Bauamtsrechnung von 1591 erstmals die Rede. Hier ist notiert: «... (x) lib han ich geben hans murer und sinen xellen, hand am keiben thurn gwerket; (x) lib gab ich dem nöllj umb thach schindlen, hatt man die zu dem keiben thurn bruht...» Hierbei ist eine etymologische Erörterung des Begriffs «Cheib» von Interesse. Das mittelhochdeutsche Wörterbuch übersetzt «keibe» als Aas, Kadaver, hauptsächlich tierische. Mittelalterliche Ortsbezeichnungen mit «Cheiben-» wiesen mitunter auf Stellen hin, wo verendetes Vieh verscharrt wurde. So ist auch der Zürcher Stadtteil Aussersihl zu seinem Namen «Chreis Cheib» gekommen. Hier existierten einst Gruben für die Entsorgung von Tierleichen und Schlachtabfällen – damals in sicherer Entfernung zur Innenstadt. Zuweilen beinhalteten auch Richtstätten besagtes Teilwort. Schliesslich mutierte der Begriff im Sprachgebrauch zum Synonym für einen Verbrecher sowie einen schlechten, rohen Menschen.

Die damals ausgeprägt negative Konnotation des Ausdrucks wird im Zuger Stadt- und Amtbuch von 1542 besonders deutlich – dort wird «Keyb» als übelste Beschimpfung angeführt. Wer jemandem diesen Schlötterlig an den Kopf warf, hat «den friden mit wortten brochen» und konnte verklagt werden. Heute hat das Wort «Cheib» einen wesentlich minder pejorativen Charakter.

Der Cheibenturm – gelegentlich auch Chaibenturm geschrieben – von Zug erhielt seinen Namen jedenfalls in seiner späteren Funktion als Gefängnis und Ort peinlicher Verhöre, sprich Folterungen. Hier landeten diejenigen «Cheiben» genannten Verbrecher, welchen die Todesstrafe drohte. Für diesen gefürchteten Zuger Ort ist auch die – etwas offiziellere – Bezeichnung «Malefizturm» überliefert; dem zugrunde liegt das lateinische «maleficium», was so viel bedeutet wie Frevel, Verbrechen, Untat. Ein interessanter Vergleich dazu führt nach Wien, wo an der dortigen Rauhensteingasse bis 1785 das gefürchtete «Malefizspitzbubenhaus» stand, welches dieselbe Funktion hatte wie der Cheibenturm. Ferner führen mehrere Städte im deutschsprachigen Raum noch heute einen «Malefizturm» in ihrem historischen Inventar auf, unter anderem Schwäbisch Hall, Öhringen, Creussen, Mindelheim, Niedernhall, Marbach oder Lindau.

Nach und nach in die Verbauung integriert

1861 kaufte der Zuger Ledergerber Fritz Spillmann den Cheibenturm mitsamt Anbauten, ersetzte einen von letzteren mit einem dreigeschossigen Gebäude und betrieb hier bis 1896 seine Gerberei. So ist der einst im Zuger Stadtbild auffällige Turm nach und nach in die umliegende Verbauung integriert worden und hebt sich heute optisch kaum mehr von seiner Umgebung ab. Nach einer umfassenden Restaurierung und einem gross angelegten Umbau des Cheibenturms und seiner unmittelbaren Nachbargebäude in den Jahren 1992/93 dient der Turm als zeitgemässer Wohnraum mitten im historischen Zuger Stadtgefüge. (Andreas Faessler)

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.