Auf Kosten der Kulturvielfalt?

Dies & Das

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Nirgends ist Wohnraum so teuer wie im Kanton Zug. Das belastet die Kulturszene – nicht nur finanziell. Die «Kulturhauptstadt» jedoch war kein taugliches Gegenrezept.

  • Türe auf für die Kultur? (Bild: Roman Signer, Seesicht, 2015, Kunsthaus Zug © Courtesy by the artist)
    Türe auf für die Kultur? (Bild: Roman Signer, Seesicht, 2015, Kunsthaus Zug © Courtesy by the artist)

Zug – Dieser Artikel erschien in der November-Ausgabe 2025. Hier geht es zu den weiteren Artikeln.

 

Judith Wegmann ist im Kanton Zug geboren und aufgewachsen. Schon als kleines Kind hat sie dort Klavier zu spielen begonnen und davon geträumt, die Musik zum Beruf zu machen. Dem Instrument und ihrem Traum ist Wegmann treu geblieben: Seit Jahren feiert sie als Pianistin Erfolge im In- und Ausland, bewegt sich mit Leichtigkeit zwischen klassischer und Neuer Musik genauso wie im Feld der Improvisation. Ihr Heimatkanton weiss ihr Schaffen durchaus zu schätzen: 2011 und 2015 erhielt Wegmann einen Förderpreis des Kantons Zug für ihr künstlerisches Schaffen, 2021 wurde sie gar mit dem «Zuger Werkjahr» ausgezeichnet. Der mit 50000 Franken dotiert Werkbeitrag wird jährlich vom Regierungsrat des Kantons Zug ausgeschrieben, vergeben wird er an eine*n Zuger Künstler*in, die oder der eine herausragende künstlerische Leistung erbracht und ein überzeugendes Projekt vorzuweisen hat.
Für die grosszügige Unterstützung ist Wegmann sehr dankbar, Zug ist sie nach wie vor verbunden. Dies nicht auch zuletzt, weil sie in Oberägeri jeweils zwei Tage in der Woche unterrichtet. Dennoch lebt sie nun seit bald zwanzig Jahren in Biel. «Ich habe mich gegen ein volles Pensum als Musiklehrerin entschieden, um genügend Zeit für meine Tätigkeit als freie Musikerin zu haben», sagt Judith Wegmann.
Und sie fügt an: «Eine Wohnung in Zug könnte ich mir schlicht nicht leisten.» Tatsächlich ist das Wohnen schweizweit nirgends kostspieliger als im Kanton Zug. Das Bundesamt für Statistik gibt in 2025 publizierten Zahlen an, im Schnitt koste eine Wohnung in der Schweiz 1451 Franken. Mit Abstand am teuersten ist die Durchschnittsmiete im Kanton Zug mit 1931 Franken, im zweitplatzierten Kanton Zürich gilt es 1722 Franken für Wohnkosten zu budgetieren, im Kanton Bern nur 1297 Franken. Dazu kommen die extrem tiefe Leerwohnungsziffer und das überdurchschnittlich starke Wachstum der Mieten.

Mehr Vielfalt
Die hohen Mieten in Zug sind aber nicht der einzige Grund für Judith Wegmanns Entscheidung, ihren Lebensmittelpunkt in die Westschweiz zu verlegen. «Biel hat dank der Zweisprachigkeit ein ganz anderes Flair und nicht zuletzt die tiefen Lebenshaltungskosten ziehen eine Menge interessanter Menschen an, gerade im Kulturbereich», erzählt Wegmann begeistert von ihrer Wahlheimat. Für Arienne Birchler, die 2025 mit dem «Zuger Werkjahr» ausgezeichnet wurde, war es die vielfältige Kunstszene, die sie nach dem Studium in Antwerpen und einem Aufenthalt in New York nach Zürich anstatt in die alte Heimat Zug zog. «Die Dichte an Kunstschaffenden ist in Zürich viel grösser und internationaler», sagt sie. «Eigentlich ist auch Zürich zu klein, deshalb muss ich immer wieder in grössere Metropolen. Den Zeitgeist aufnehmen – das ist mir wichtig», erklärt sie.

Tatsächlich leben alle fünf seit 2021 mit dem «Zuger Werkjahr» ausgezeichneten Kulturschaffenden nicht im Zugerland. Der bildende Künstler Markus Kummer (2024) lebt in Zürich, der 2023 mit dem «Zuger Werkjahr» bedachte Klarinettist Reto Bieri im Berner Oberland, der als Animationsfilmer tätige Adrian Flury (2022) wohnt in Bern. Bei den ebenfalls jährlich vergebenen Förderbeiträgen, die sich in der Regel im Rahmen von 10 000 bis 15 000 Franken bewegen, sind in den vergangen fünf Jahren 56 Kunst- und Kulturschaffende bedacht worden, davon lebten zum Zeitpunkt der Vergabe immerhin 42 Prozent im Kanton Zug. Die Vergabe an Kunst- und Kulturschaffende, die nicht im Kanton Zug leben, ist natürlich regelkonform: Bewerben darf sich, wer seit mindestens zwei Jahren den Wohnsitz im Kanton Zug hat oder zu einem früheren Zeitpunkt mindestens zehn Jahre ebenda gelebt hat. Ähnliche Regelungen gelten auch in anderen Kantonen und sind durchaus sinnvoll: Sie tragen dem Umstand Rechnung, dass viele Menschen heutzutage ihren Wohnort im Verlauf des Lebens auch mehrfach ändern.


Keine Handhabe
Aldo Caviezel, Leiter des Amts für Kultur, beobachtet die demografischen Veränderungen im Kanton mit Besorgnis. Bei der Förderung von ausserkantonal wohnhaften Kulturschaffenden sieht er jedoch kein Problem und verweist auf die geltenden Regeln. «Als kleinster Vollkanton der Schweiz zeigt sich bei uns das Phänomen der Auswanderung verdichtet. Dazu kommen die bekanntlich hohen Bodenpreise und die fehlenden Universitäten. Zuger*innen ziehen für das Studium aus dem Kanton und kehren selten wieder dahin zurück», erklärt er auf Anfrage. Seitens des Kantons bestehen keine Massnahmen, um Kunst- und Kulturschaffende bei der Bewältigung der hohen Mieten zu unterstützen. «Dafür fehlt eine rechtliche Grundlage», sagt Caviezel und ergänzt: «Wir setzen uns für faire Gagen und Honorare von Kulturschaffenden ein, bei den Mietkosten des Wohnungsmarktes haben wir aber keine Gestaltungsmöglichkeit.»

Mit Improvisation
Das Problem der Wohnungsnot und der hohen Mieten stellt sich für viele Kunst- und Kultur- schaffende gleich doppelt. «Die Mieten sind in Zug wie auch Zürich für Menschen mit kleinen Einkommen unglaublich schwer zu stemmen – insbesondere wenn man zusätzlich ein Studio zum Arbeiten braucht. Man muss sich gut organisieren und auch mal improvisieren», sagt Arienne Birchler. Tatsächlich gibt es im Kanton Zug auch günstige Atelierplätze, einen davon hat Sara Liz Marty ergattert. Die multidisziplinäre Designerin und bildende Künstlerin schwärmt von der seit 2023 bestehenden Ateliergemeinschaft für Kunstschaffende, die von der PROK Kulturraum Genossenschaft betrieben wird: «Die Gemeinschaft im Atelier ChaCha ist so grossartig.» Nach gut zehn Jahren in England, wo Marty studiert und gearbeitet hatte, zog sie während der Coronapandemie wieder nach Zug und lebte eine Weile bei ihren Eltern. Eine eigene Bleibe hat sie allerdings nicht in ihrer Heimatstadt, sondern in Zürich gefunden. Wie bei der Pianisten Judith Wegmann spielten dabei verschiedene Faktoren eine Rolle – auch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Zurzeit ist Marty bis Ende Jahr in New York, den viermonatigen Aufenthalt ermöglicht ihr das Zentralschweizer Atelierstipendium. Die Rückkehr ist mit grossen Sorgen verbunden, denn das Atelier ChaCha hat ein Ablaufdatum: Im kommenden Jahr muss die Ateliergemeinschaft neue Räume suchen. Ob es gelingt, in Zug zu bleiben, ist noch offen. Während Marty die bestehende Gemeinschaft sehr am Herzen liegt, löst Zug als Arbeitsort zwiespältige Gefühle aus. «Zug ist so teuer, dass kaum jemand neu zuzieht, um Kunst zu machen», sagt sie, «der Ort ist alles andere als einladend und inklusiv.» Günstigen Wohnraum gebe es zwar vereinzelt noch immer, ohne starke Beziehungen fänden Zugezogene aber kaum Zugang.

Kleiner Teich ...
Wer in der Stadt bleibt, muss es sich leisten können und gut vernetzt sein. «All das führt dazu, dass Vielfalt fehlt – und diese ist für Kreativität ein extrem wichtiger Nährboden.» Gleichzeitig sei ihr bewusst, dass die relativ kleine Szene für jene, die da sind, Chancen bietet: «Ich bin nicht sicher, ob ich in einem anderen Kanton so früh in meiner Laufbahn als Künstlerin eine Chance auf ein Atelierstipendium gehabt hätte.» Nach Wünschen an die Politik gefragt, ist für Marty klar, dass günstiger Wohn- und Schaffensraum zuoberst steht. Doch gefragt sind nun Rezepte gegen tief verwurzelte strukturelle Herausforderungen.

...Grosser Fisch?
Zug als Kulturhauptstadt zu lancieren, ist offenbar keines. Als die Stadt im Frühling 2025 eine entsprechende Bewerbung einreichte, waren die Ziele ehrgeizig: Zug sollte zu einem kulturellen Leuchtturm werden, sichtbar über die Kantonsgrenzen hinaus. Man träumte von neuen Impulsen, die Kreative anziehen, die Stadt beleben und das Selbstverständnis von Zug stärken, mehr zu sein als ein Steuerparadies. Doch im September zog der Stadtrat die Bewerbung wieder zurück. Es fehlte an politischem Rück- halt, auch die Rückmeldungen aus der Kulturszene waren gemischt. Angeprangert wurden nicht zuletzt die hohen Kosten von rund 15 Millionen Franken. Im Vergleich zu den jährlich 8 Millionen Franken, die der Kanton insgesamt für Kultur ausgibt, sorgte der Betrag für Skepsis. Den Initianten der Kulturhauptstadt ist es nicht gelungen, ihre Vision zu einem Strang zu machen, an dem alle gemeinsam zu ziehen bereit sind – doch ohne einen solchen Strang werden wohl auch künftig viele der von Zug geförderten Kunst- und Kulturschaffenden dem Kanton Zug zwar verbunden sein, dessen Kulturszene aber nicht mit ihrer alltäglichen Anwesenheit bereichern.

 

Text: Anna Chudozilov