Die grosse Wohltäterin

Dies & Das

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Die Zuger Industriellengattin Adelheid Page-Schwerzmann (1853–1925) galt und gilt als grosse Philanthropin und Kunstmäzenatin. Dass sie selbst eine respektable Künstlerin war, ist ein eher wenig bekannter Aspekt.

  • Links: Schlafender Bube in einem Lehnstuhl, Paris um 1895. Rechts: Interieur mit Ehemann George Ham Page (beides von Adelheid Page gemalt). (Bild PD)
    Links: Schlafender Bube in einem Lehnstuhl, Paris um 1895. Rechts: Interieur mit Ehemann George Ham Page (beides von Adelheid Page gemalt). (Bild PD)

Cham – Der Familienname Page ist eng mit der Industrie- und Wirtschaftsgeschichte des Kantons Zug verbunden. 1866 gründete das amerikanische Brüderpaar Charles und George Ham Page in Cham die Anglo-Swiss Condensed Milk Company. Die Entwicklung dieser ersten Fabrik im Kanton Zug zum weltumspannenden Grosskonzern Nestlé ist hinlänglich bekannt. Wohlbekannt ist auch, dass George Ham in Zug eine junge Frau aus gutbürgerlichem Hause kennen und lieben lernte: Die Stadtzugerin Adelheid Schwerzmann (1853–1923) vermählte sich im Alter von 23 Jahren mit dem 17 Jahre älteren Unternehmer. Von der Bürgerstocher zur gemachten Grossindustriellengattin geworden, nutzte Adelheid Page-Schwerzmann ihre gute finanzielle Lage wie auch ihren gesellschaftlichen Status, um karitativ und mäzenatisch tätig zu sein. Sie setzte alles daran, Not zu lindern, wo Not herrschte, unterstützte wohltätige wie soziale Einrichtungen und analysierte die möglichen Ursachen der Armut – das waren Überlegungen und Gedanken, welche zu jener Zeit alles andere als gang und gäbe waren.

Adelheid Pages soziales Engagement schwächte sich auch dann nicht ab, als ihr Ehemann 1899 gestorben war und sie die Leitung des Unternehmens übernommen hatte. Ihr bekanntestes und wohl grösstes Verdienst aus heutiger Sicht ist ihr unermüdlicher Einsatz gegen die Tuberkulose, welche damals für eine hohe Todesrate sorgte und deren Ursprung häufig bei der Armut lag. 1912 gründete sie in Unterägeri die Tuberkulose-Heilstätte Adelheid und sechs Jahre später die Kinderheilstätte Heimeli. Die heutige Reha-Klink Adelheid ist daraus hervorgegangen. Der Klinik-Name sowie ein von Andreas Kögler (1878–1956) gefertigtes Denkmal ebendort sind so gut wie die einzigen noch präsenten Relikte, welche an die grosse Zuger Philanthropin erinnern.

Ein ausgeprägter Sinn für Ästhetik

Dass Adelheid Page-Schwerzmann auch eine respektable Künstlerin war, entzieht sich heute weitgehend dem allgemeinen Bewusstsein, denn nur die wenigsten biografischen Abrisse gehen näher auf diese Tatsache ein. Es wird maximal angemerkt, dass sie ausgesprochen kunstsinnig war und eine Vorliebe für das Ästhetische hegte. Diese Veranlagungen hatte die Zugerin bereits im Kindesalter durchscheinen lassen. Darauf geht Josef Brunner (1909–2000), von 1970 bis 1974 kantonaler Denkmalpfleger, in einem Essay über Adelheid Page näher ein. Demnach hat Adelheid bereits an der Zuger Privatschule von Frau Sophie Stadlin im Rahmen der «ästhetischen Bildung» ihren Kunstsinn angeregt erhalten. Ihr weiteres schulisches Rüstzeug auf diesem Gebiet war für Adelheid als junge Erwachsene Basis für die persönliche Weiterentwicklung auf dem Gebiet der bildenden Kunst. Ihr Interesse an Fremdsprachen und an fremden Kulturen befeuerten ihren Eifer.

Die Heirat mit George Ham Page öffnete ihr Tür und Tor, sich intensiv und aktiv ihrer Liebe zur Kunst hinzugeben. Dabei diente ihr auch der glückliche, damals nicht selbstverständliche Umstand, dass sowohl ihre fürsorgliche, seit 1857 verwitwete Mutter wie auch ihr Ehemann Adelheids Leidenschaft auf ganzer Linie unterstützten. Mit Bildungs- und Inspirationsreisen nach Italien und Frankreich vertiefte die Zugerin die Materie, feilte an ihrem Kunstverständnis und studierte die Alten Meister wie auch die bekannten Künstler ihrer Zeit. Oft hatte sie auf ihren Reisen den einzigen Sohn Fred mit dabei, damit auch er sich mit den schönen Künsten anfreunden und auseinandersetzen kann.

Ab 1889 lebte die Familie Page eine Dekade lang in New York. Sohn Fred besucht das College, und Adelheid entdeckte die dortige Kunstszene. Sie liess sich in New York zur Malerin ausbilden, dies bei keinem Geringeren als William Merritt Chase (1849–1916), seinerzeit einer der angesehensten Künstler der Neuen Welt und Wegbereiter des amerikanischen Impressionismus. Mitte der 1890er-Jahre reiste Sohn Fred nach Paris, um dort Kunst zu studieren. Seine Mutter begleitete ihn, richtete sich in der Stadt an der Seine eine grosszügige Wohnung mit Atelier ein und liess sich bei Edgar Degas (1834–1917) weiterbilden – dies gemäss Angaben von Adelheid Pages Nichte Frida Haab.

Betrachtung von zwei Gemälden

Diese beiden illustren Lehrer in New York und Paris haben den Malstil Adelheid Pages massgeblich geprägt, was an der Abbildung zweier Ölgemälde im «Zuger Neujahrsblatt» von 1976 deutlich ablesbar wird. Das eine zeigt einen schlafenden Buben in einem Lehnstuhl. Das 1895 in Paris entstandene Gemälde zitiert deutlich den Malstil William Merritt Chases. Erdige Töne, breiter Pinselstrich, eher dunkel in den Nuancen ... Auch findet sich das Motiv einer dösenden Person auf einem Stuhl im Werk Chases, der hauptsächlich Porträts, Interieurs und weniger häufig Stillleben und Landschaftsveduten gemalt hat.

Das zweite vorgestellte Gemälde ist 1897 entstanden und zeigt Adelheids Ehemann George in einem Stuhl sitzend und Zeitung lesend im Pariser Appartement. Vom üppigen Interieur ist einiges zu erkennen – an der Wand hängen zwei französische Stillleben und ein niederländisches Bildnis zweier Herren. Der Raum ist mit Teppichen und elegantem Mobiliar der Zeit ausgestattet. Auch hier erkennt man noch gewisse Einflüsse von Chase, wie Josef Brunner richtig feststellt. Dennoch ist das Gemälde in Farbgebung und Komposition bereits eher der französischen Malerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts verpflichtet, welche sich die Künstlerin zu dem Zeitpunkt – auch gespeist von ihren früheren Paris-Aufenthalten – einverleibt haben dürfte.

Die beiden Ölgemälde – sie befinden sich wohl in Privatbesitz – zeugen von einem ordentlichen Können. Der Pinselstrich scheint sicher und souverän, Anordnung und Differenziertheit der Farbtöne lassen auf Adelheid Pages ausgeprägten Sinn für das Stimmige, Ausgewogene und Ästhetische schliessen.

Engagement für den Nachwuchs

Nach dem Tod ihres Mannes kehrte Adelheid Page zurück nach Zug und gestaltete 1907 den Sitz am Maienrain neben Schloss St.Andreas in ein Atelier- und Wohnhaus um – 1903 hatten sie und ihr Sohn Fred das Schloss mitsamt Gelände erworben und umgebaut. Dort betätigte sie sich noch ein paar Jahre aktiv als Malerin. Nachdem sie den Pinsel für immer niedergelegt hatte, frönte sie ihrer Liebe zur bildenden Kunst, indem sie als Mäzenatin auftrat. Sie förderte Schweizer Talente, unterstützte junge Künstlerinnen und Künstler, galt als heimliche Expertin mit einem geschulten Verständnis für das Schaffen noch kaum bekannter Nachwuchstalente. Zu Adelheid Pages Schützlingen gehörten auch Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Eine besondere Bindung pflegte die Witwe zur Zuger Dichterin Isabelle Kaiser (1866–1925), zu der sie auch eine enge Freundschaft pflegte.

Die grosse Zuger Wohltäterin, Mäzenatin, Philanthropin und Künstlerin starb am 15. September 1925 nach einer Operation in ihrem Sitz am Maienrain. Ihre sterblichen Überreste sind in der Familiengruft in der St.-Andreas-Kapelle beigesetzt.

Hinweis
In der Serie «Hingeschaut» gehen wir wöchentlich Fundstücken mit kulturellem Hintergrund und Zuger Bezug nach.