Zuger an den Kriegsfronten der Nazis
Brauchtum & Geschichte
Serie «Zug 1933–1945»: Junge Deutsche, die in Zug aufgewachsen waren und nie in Deutschland gelebt hatten, mussten während des Zweiten Weltkriegs an die Front. Einzelne kehrten zurück, viele von ihnen starben im Krieg.
Zug – Nehmen wir den jungen Ägerer Nikolaus Müller-Sigrist. Er wurde am 14. November 1911 in Altstätten geboren. Er lernte den Beruf eines Schreiners und kam der Arbeit wegen nach Unterägeri, wo er mit Johanna eine Familie gründete. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, bekam er wie alle anderen Exil-Deutschen das Aufgebot für die Deutsche Wehrmacht. Nicht alle hielten sich daran, Nikolaus Müller schon.
Der junge Mann, der sein ganzes Leben in der Schweiz verbracht hatte, packte seine Ausrüstung und rückte ordnungsgemäss in Deutschland ein. Wie Tausende anderer unbedarfter junger Leute schickte ihn die Deutsche Wehrmacht an die besonders mörderische Ostfront, also nach Russland. Als vorbildlicher, nicht mehr ganz junger und verheirateter Soldat bekam er als Zückerchen die Beförderung zum Gefreiten.
Nichts bereut und trotzdem gefallen
Im Brief vom 22. Juli 1943 schrieb er von der Front nach Zug: «Wir hatten die letzten 14 Tage Grosskampf und ich habe schwere Tage hinter mir ... Ich kam heil davon und bin immer gesund, wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet, bin stolz darauf, denn ich hab es auch ehrlich verdient.»
Zwei Monate später machte sich der Frontkämpfer selber Mut: «... und ich bin trotz vielem Schweren, das wir mitmachen, froh und stolz darauf, dass ich als Frontsoldat an diesem Freiheitskampf ganz Europas teilnehme und es hat mich noch nie bereut ...» Und er ergänzte: «Wir haben manchmal furchtbare Tage mitgemacht, das können Sie sich gar nicht vorstellen in der Heimat, aber Sie können mir glauben, der deutsche Soldat steht immer noch fest und ist dem Bolschewisten 10-fach überlegen ...» Auch wenn er sich überlegen fühlte und es nicht bereute: Am 9. Dezember 1943 fiel er im Krieg in Russland. Er wurde nur gerade 32 Jahre alt.
In Zug machte daraufhin die kleine Leidkarte mit seinem Porträtbild die Runde: Sie zeigt ihn in Uniform, mit hochgeschlossenem Kragen und mit Militärmütze. Die Deutsche Kolonie Zug schaltete eine Gefallenenanzeige für Müller in der «Deutschen Zeitung in der Schweiz», sie kostete 24 Franken und 95 Rappen, wie der Buchhaltung der Kolonie zu entnehmen ist. Damit endete die traurige Geschichte von Nikolaus Müller-Sigrist.
Briefe an das «Soldatenmütterchen»
Doch leider war das abrupte Ende des jungen Mannes keine Ausnahme. Ein halbes Dutzend Zuger teilten sein Schicksal. Doch es ist als Glücksfall zu bewerten, dass verschiedene Briefe der Frontsoldaten erhalten geblieben sind. Tilla D. aus Zug hatte während des Kriegs von der Deutschen Kolonie Zug den Auftrag, mit den Wehrmachtsangehörigen den Kontakt zu pflegen.
Tilla D., 1945 23 Jahre jung, war «Soldatenbetreuerin» und wurde deshalb in den Briefen von den Soldaten als «Verehrtes Fräulein Tilla!» oder «Soldatenmütterchen» angesprochen. Sie führte eine Liste aller Zuger und Schwyzer Wehrmachtsangehörigen, geordnet nach Geburtstagen, zu welchen sie stets gratulierte. Die Briefe berichteten Alltägliches aus dem Krieg, zeigten Hoffnung, Sehnsüchte und Ängste und verdeutlichten die Einsamkeit und Ausnahmesituation für die zumeist sehr jungen Frontkämpfer, die häufig in der Schweiz aufgewachsen waren und nun irgendwo an der Ost- oder Westfront für ein Land kämpften, in dem sie nie gewohnt hatten.
Einer berichtete positiv: «Täglich 5 Stunden Belehrung über Anatomie, Bakteriologie und Erste Hilfe bei Verwundungen und Knochenbrüchen! Sehr interessant und lehrreich!» (Josef G.) Ein anderer notierte im Bunker, ein Kamerad könne jodeln, es gehe «ganz lüpfig» zu und her. (Anton H.) Trotzig meinte ein anderer, «ich sehne mich nicht im Geringsten nach Zug zurück. (...) Besonders die Kameradschaft ist ganz ausgezeichnet. Und das ist auch ein anderer Schwung und Schmiss dahinter, wie man sich das in der Schweiz vorstellen kann». (Ruedi L.) Häufiger waren aber kritische Kommentare: Er leiste «Dienst bis zur Vergasung (sic!), aber das kann mich nicht erschüttern». (Julius A.) Ein Kollege meinte: «Manchmal könnte man verrückt werden ...» (Anton H.) Ein anderer schrieb: «Da kriechen wir bei Übungen derart im Dreck herum, dass wir manchmal aussehen wie Wildschweine.» (Johann S.)
Grosse Opfer gebracht
Öfters waren auch Durchhalteparolen zu lesen: «Denn hier geht es immer mit Volldampf zu ... man muss durchhalten, mag kommen was will.» (Peter G.) Oder: «... der Daumendruck von Euch Frauen in der Schweiz hat doch geholfen, also ich kann Ihnen nur schreiben, dass diese 2 Monate die grösste Sch... war ... meine alten Kameraden habe ich alle verloren ...» (Julius A.)
Auch ein anderer Soldat machte Andeutungen: «Was aber das deutsche Volk ertragen muss, ist ein ganz grosses Opfer.» Dennoch hoffte er auf die Entscheidung und den «Endsieg». (Karl K.) Zuweilen nahmen die Wehrmachtssoldaten Bezug auf die Schweiz: «Zug wird wohl immer noch das Gleiche sein und ich habe es nun auch liebgewonnen ...» (Peter G.) Wiederum ein anderer erkundigte sich nach der Deutschfeindlichkeit in Zug: «Sind die Zuger immer noch so komisch eingestellt?... Ich weiss zwar, dass ich laut Zugerklatsch schon längst gefallen, erschossen oder abgestürzt bin, also auf jeden Fall hätte ich schon wieder ein paar Mal geboren sein müssen, um alle diese schönen Wünsche ordnungsgemäss einzuhalten ...» (Ruedi L.)
Ein Ehemann und Vater machte sich Sorgen um seine Frau: «Es freut mich, dass meine Frau ein wenig Eifer zeigt an der Frauenschaft, dass sie ein bissel Ablenkung hat ...» (Julius A.) In einem weiteren Brief erkundigte er sich nach der Meinung von «Fräulein Tilla»: «Hoffe, meine Frau ist mir nicht ganz untreu geworden ...»
Nochmals zurück zum eingangs erwähnten Nikolaus Müller-Sigrist. Seine Frau Johanna wurde nach dem Tod ihres Mannes innerhalb der Deutschen Kolonie betreut. Sie konnte auf Kosten der Kolonie nach Locarno in die Kur. Aus der Pension Ingeborg in Locarno schrieb sie auf schwarzumrandetem Papier: Es gefalle ihr gut, der Arzt dort habe ihr «Medizin für die Nerven, Blut + Bronchitis + Öl zum Einreiben am Abend» gegeben. Sie habe immer noch Schwindel, aber schwärmte von der Heldengedenkfeier, es habe drei Frauen dort, welche Männer an der Front hätten: «Es ist einfach etwas ganz anderes, mit gleichdenkenden Leuten beisammen zu sein.» (Text von Michael van Orsouw)
HinweisDr. Michael van Orsouw, Historiker und Schriftsteller, beleuchtet die bewegte Zeit von 1933 bis 1945. In Folge 7 berichtet er über einen Chamer, der den Übernamen «helvetischer Goebbels» bekam. www.geschichte-texte.ch.