«Ich bin gar nicht so ein Stadtkind»
Musik
Der Zuger Florin Simmen alias OG Florin geht seinen Weg weiter und erzählt Geschichten, wie nur er es kann.
Zug – «Sie dürfen mit einer Antwort innert 8 bis 35 Business Days rechnen», heisst es im Stück «OG hotline 001» ironisch. Der Musiker Florin Simmen alias OG Florin ist mit seinen 27 Jahren zwar ein Social-Media-Kind, entzieht sich aber ständiger Erreichbarkeit. Übel nimmt ihm das niemand. Früher oder später klappt es mit dem Gesprächstermin, und er ist mit ganzem Herzen dabei. Vor einem Jahr hatten wir ihn in Zürich besucht, wo er hingezogen war, um näher an der Musik zu sein und bei Menschen, die ihm dabei helfen. Es geht ihm gut. Das Glas ist immer noch halb voll. Dass er es so sehen will, ist zu einer Art Lebensmaxime geworden.
Damals hatte er sich eher als Einzelgänger beschrieben, der alles selber ausprobieren will. Für das Projekt mit dem Zürcher Schlagzeuger Kevin Wettstein alias Melodiesinfonie hat sich Simmen nicht nur zum Ziel gesetzt, es als Teamplayer zu versuchen. Er wollte auch, dass es funktioniert.
Keine typische Schweizer Zusammenarbeit
Die beiden kennen sich schon länger und sind auch schon zusammen aufgetreten. Wettstein spielt Schlagzeug bei OG Florins Soloprojekt, dieser Gitarre bei Melodiesinfonie. Das gemeinsame Album «meh als null und eis» klingt nach einer vollends harmonischen Zusammenarbeit. Der 31-jährige Wettstein kommt ursprünglich auch vom Hip-Hop her. Seine warmen, fliessenden bis sphärischen Klanglandschaften mit langen Improvisationen und verspielten Instrumentalpassagen orientieren sich an Jazz und Soul und greifen aus bis hin zu Bossa Nova und Pop. Mit seiner Musik, etwa durch Kollaborationen im Bereich House, erreicht er viele Leute, auch über die Landesgrenzen hinweg.
Es war eine Kollaboration ohne Kompromisse, zumindest in musikalischer Hinsicht. Das hört man. Da musste sich niemand verbiegen. Die offene und verspielte Herangehensweise entspricht beiden. Alles ist so wunderbar unaufgeregt, bewegt sich frei zwischen den Stilen und unterläuft klassische Songstrukturen. Die Welt ist eben «meh als null und eis», Schwarz und Weiss, Gut und Böse. Musikalisch wie textlich ist «meh als null und eis» weniger «moody» – so nennt es Simmen – als noch «ILY<3», auf dem OG Florin über ADS und depressive Verstimmungen rappte und sang, über den Klimawandel und die Liebe. Die Liebe bleibt natürlich.
Happy und groovy, mit einem Touch Melancholie
Die Frauenstimme auf «alli mini blueme» gehört Jasmin Lötscher von der Band Klepka. Auf «triibelah» spielt sie Posaune. Als Teenager hätten sie im Sommer zusammen die Musikschule geputzt. Florin Simmen erzählt immer auch Dinge, die über die Fragen hinausgehen, ist ein zugewandter Gesprächspartner.
Auch wenn er meint, er könne nicht so gut «reden», er kann es mit Worten, spielt gern damit, fragt sich, was genau sie denn bedeuten. Schreibt wieder so schöne Zeilen wie «spel nöd met mim Härz, my Love / wel ich han norno zwei / s’dritte han ich scho lang verschänkt». «So denke ich, so rede ich», sagt Florin Simmen. Da gehören die Anglizismen dazu. Dass Kevin Wettstein gerade durch OG Florin die Mundartmusik für sich entdeckt hat, kann man nachvollziehen. Vorher konnte er nicht viel damit anfangen.
Die Platte tut gut. Da eine Kuhglocke, dort eine Kolbenflöte. Kevin Wettstein spielt Schlagzeug, Florin Simmen Gitarre. Bei den anderen Instrumenten – Klavier/Keyboard, Bass – hätten sie sich abgewechselt. Auch die verspielt-leichten Synthesizer-Akzente und kleinen Soundeffekte stammen von beiden. Man sieht sie vor sich, wie sie im Studio herumlaufen, mal dieses, mal jenes Instrument in die Hand nehmen.
«Happy, uplifting, groovy» sollte es werden, wie die Musik von Melodiesinfonie, mit einem Touch Melancholie. Die gehört einfach zu OG Florin. Aber es war ihm wichtig, den positiven Effekt, den der «Neuanfang» in Zürich auf ihn hatte, irgendwie in Musik umzuwandeln. «Ech lauf vor nüt meh devo / es lit ellei i mini Händ», singt er auf «sunshine in a bag». Den Sonnenschein in der Tasche, liegt die Freude am Musikmachen auch in der gewollten Imperfektion. «Manchmal nehmen sich Musikschaffende ein bisschen zu ernst», sagt er und vermisst die Selbstironie.
«Hey, es ist okay, morgen ist auch wieder ein Tag. Strengt euch an, aber seid nicht so streng mit euch» ist der Rat von einem, der auch nicht wirklich einen hat. Das ist doch schon viel.
Er hat Freude an seinen Tomaten und Zucchini
Er sei erwachsener geworden, sagt er, und hat eine kindliche Freude an den Tomaten und Zucchini, die er im kleinen Garten seiner Stadtwohnung gesetzt hat. Zürich sei laut. Er vermisse die Natur und die Ruhe und das, wovon er eigentlich wegwollte: «Wenn du in Steinhausen am Abend zu Hause bist, bleibst du zu Hause.»
Mittlerweile betrachtet Florin Simmen seine Zeit in Zürich als «sehr verlängerten Arbeitsaufenthalt» und liebäugelt damit, in die Peripherie zu ziehen, wo es eben ruhiger und grüner ist. «Ich bin gar nicht so ein Stadtkind», habe er gemerkt.
Zürich sei eine Stadt wie jede andere, spricht OG Florin im «Kizz Kuzz Outro». «1000 Geschichten, die schon tausendmal erzählt worden sind. Und ich bin nur einer von tausend, der sie zum tausendsten Mal wieder erzählt.» Florin Simmen erzählt sie aber so, wie nur er es kann. Für uns eine wichtige Stimme seiner Generation.
Hinweis
OG Florin & Melodiesinfonie: «meh als null und eis» erscheint am 23. Mai, bevorstehende Auftritte mit Band: 31. Mai, «Zentralwäscherei», Zürich; 28. Juni, Open Air St. Gallen; 18. Juli, Luzern Live.
(Text: Regina Grüter)