Abican sucht nach Sounds

Musik

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Wie ein Zuger Musiker sich von seiner Intuition in Richtungen tragen liess, von denen er nichts geahnt hatte. Und was Kanada-Can damit zu tun hat.

  • Can Etterlin bei einer Performance im Kieswerk. (Bild: Natalie Melina)
    Can Etterlin bei einer Performance im Kieswerk. (Bild: Natalie Melina)
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Dezember-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Früher, richtig viel früher, als der Zuger Musiker Can Etterlin noch bei seinen Eltern gewohnt hatte, da hat sein Vater, selber Pianist, sonntags gerne klassische Musik gehört. Can Etterlin gefiel das überhaupt nicht, ohne konkreten Grund. Eher so aus Intuition. Wenn er heute versucht, einen Grund zu finden, dann sagt er: «Wohl zu steif.» Umso spannender, dass sein neustes Projekt, eine EP von fünf Songs, die im Februar ­erscheint, in eine abstraktere Richtung geht.

Die Finger im Spiel
Wenn man in den letzten vier Jahren eine Zuger Band gesehen hatte, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Can Etterlin seine Finger dabei im Spiel hatte. Ganz wörtlich gemeint: Der Pianist, Jahrgang 1996, war zeitweise in zwölf verschiedenen musikalischen Projekten involviert. Heute beschränkt sich Etterlin zwar in der Anzahl, aber nicht im Anspruch. «Irgendjemand hat mal gesagt: Wenn du was findest, was gut funktioniert», sagt Can Etterlin und macht eine kleine Pause, dann lächelt er, «... as für dich gut funktioniert – dann lass es los.»
Eigentlich wollte Can Etterlin lieber Schlagzeuger werden. Leider wuchs er in einem Mehrfamilienhaus auf. Aber weil Etterlins Vater Pianist war, stand ein Flügel in der Wohnung.
«Vielleicht spiele ich heute tatsächlich lieber Klavier», sagt Can Etterlin. «Aber wenn ich Schlagzeug spiele, dann komm ich manchmal in beinahe ekstatische Zustände.»
Das Schlagzeug, das habe diese archaische ­Direktheit. Ein ganz anderer Zugang, als das fein sortierte Piano.

So viel Musik
Später nahm Can Etterlin Piano-Lektionen in Zug, er lernte Jazz-Improvisationen im Musikschulzimmer, eine irgendwie gekünstelte ­Situation, erinnert er sich. Klar, es gab das ­Orchester der Schule, aber als Pianist hätte er den musikalischen Leiter an seinem Instrument austauschen müssen. Was gab es da schon zu gewinnen? Nach der Schule hörte er viel Hip-Hop, Jazz-Samples gemixt mit wummernden Bässen, Hauptsache Groove. Nie wieder habe er so viel Musik gehört wie in den ­ersten Jahren des Gymnasiums.
Ein paar Jahre später fuhr er für ein Semester nach Kanada. «Alle sind andere Menschen, wenn sie im Auslandsemester sind», sagt Etterlin heute und grinst. Für ihn hiess das konkret: Er meldete sich im Orchester der Schule und spielte dort Vibraphon. Als er zurückkam, nahm er ein bisschen von Kanada-Can mit nach Zug zurück. Er trat dem Orchester bei als Pianist. Der Leiter freute sich. Und über das Orchester stiess er zur Funkband Mothership Caldonia.

Explodierendes Portfolio
«Ich habe unglaublich viel gelernt in dieser Band», erzählt Etterlin. Das Handwerk, wie man mit neun verschiedenen Menschen produktiv zusammenspielt, Stärken ausspielt, Rücksicht nimmt. Sie feierten Konzerte, Erfolge und Etterlin übernahm nach einiger Zeit die musikalische Leitung. Der Sound ist funky, aber wenn man will, dann hört man hier den warmen Groove raus, der bei Etterlins Musik wie eine Grundierung unter allem zu liegen scheint.
Kurz danach explodierte Etterlins Projektportfolio. Inzwischen studierte er im zweiten Jahr Jazz-Piano in Luzern, er spielte in zwölf verschiedenen Bands und Formationen, meist in einer leitenden Rolle. Funk, Reggae mit Mata Maka, die experimentelle Big Band Welträumer, ein Rap-Projekt: Weibello and the Gang, Jun’ai, Kwadrat mit ihren experimentellen Electronica-Tracks. Alles tanzbare Musik, künstlerisch neugierig, aber immer zugänglich und mit viel Liebe für den satten, direkten Beat.

Bis zur Implosion
Und dann fielen die Projekte auseinander. Bis auf Kwadrat lösten sich in den nächsten Jahren alle genannten Bands auf, oder Etterlin trat selbst aus. «Es ist unglaublich unwahrscheinlich, dass neun Menschen über eine längere Zeit sich so stark einem einzelnen Projekt verschreiben», sagt er. Sobald jemand zurücklehne, setze häufig eine seltsame Dynamik ein. «Wenn ich bei einem Liveauftritt merke, das ist schon o. ., aber wir könnten so viel besser sein, dann habe ich zu wenig Spass daran.» Can Etterlin verordnet sich ein Zwischenjahr. Er gründet sein Soloprojekt Abican. Sechs Monate bevor Corona die Musikwelt auf Pause stellen wird. Etterlin ging in die Berge. «Ich habe in der Zeit gemerkt, dass alles was ich gemacht habe, in einer gewissen Tradition steht.»
Can Etterlin hatte eine Handschrift, das bestimmt, aber er wolle «ein eigenes Ding.» Er verliess gewohnte Orte: spielte an Bergseen oder in Treppenhäusern. Er verliess gewohnte Formen: Immer mehr experimentierte er auch mit Videos. Er löste sich von gewohnten Instrumenten: Er fing an mit Synthesizern herumzuexperimentieren, fand passende Sounds, ohne zu wissen, wonach er gesucht hatte. Er stocherte sich vorwärts bis er da ankam, wo es sich richtig anfühlte – und klang dabei immer abstrakter.

Eigentlich zu spät
Einige Songs der neuen EP schweben und schwelgen, fein sortiert, in meditativen Dämpfen um die Ohren, beim Song «Piz Lad» kann man Felsen unter der Last der Jahrhunderte knacken hören, man spürt den Nebel um die Bergspitze wehen. Andere, wie «Gwundernase» haben eine hoffnungsvolle, melancholische Tanzbarkeit, die dann plötzlich in düstere Täler abstürzen können.
Als die Songs fertig waren, zögerte Etterlin. Eigentlich kommen die Songs zu spät, dachte er sich, eigentlich, zeigen die gar nicht mehr, was für Musik ich jetzt mache. Auf seinem Computer verstauben Hunderte solcher unveröffentlichter Songs. Die EP von Abican kommt am 4. Februar. Und die nächste EP wird ganz anders sein.

(Text: Lionel Hausheer)