Zu viel Zeigefinger

Theater & Tanz

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Michael Elsener geht mit seinem neuen Programm «Alles wird gut» auf Tour. Seinem Publikum verordnet er Politiknachhilfe.

  • Wenn die Welt brennt, schafft Comedy wenigstens etwas Abkühlung – zum Beispiel mit Michael Elsener. (Bild Philippe Hubler)
    Wenn die Welt brennt, schafft Comedy wenigstens etwas Abkühlung – zum Beispiel mit Michael Elsener. (Bild Philippe Hubler)

Zug – Sprechen wir über Probleme. Das ist, zugegeben, ein überraschender Ansatz für ein Comedy-Programm. Michael Elsener ist in seinem neuen Solo-Stück «Alles wird gut» aber nicht als Psychologe unterwegs, sondern als Vertreter der Demokratie, als Stimme des Volkes, als Sprachrohr der «Mehrheit». Und als solches will er nun von seinem Publikum wissen: «Was sind hier die grössten Probleme?»

Da er eine «interaktive Polit-Comedy-Show zur Lage der Nation» versprochen hat, ist Mitarbeit verlangt. Das Premierenpublikum im Zürcher Theater am Hechtplatz überlegt – und kommt auf die Baustellen, den Verkehr, den Lärm … Im Kern wollen eben alle einfach ihre Ruhe haben. Von Elsener erhalten sie diese nicht. Er hat ein anderes Problem ausgemacht: die tiefe Stimmbeteiligung.

Von aller Welt um ihre direkte Demokratie beneidet, könnten Herr und Frau Schweizer vermutlich sogar über den Weltuntergang abstimmen. Nur tun sie es nicht. In der Schweiz leben knapp neun Millionen Menschen, fünfeinhalb Millionen davon sind tatsächlich stimmberechtigt. Bei einer Stimmbeteiligung von 46 Prozent, rechnet Politiklehrer Elsener vor, blieben noch gerade zweieinhalb Millionen Stimmen übrig. Um eine Mehrheit zu erlangen, braucht es, dem Dreisatz zufolge, also nur das Kreuzchen von 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Erklärtes Ziel des Abends: Die Wahlbeteiligung soll in diesem Wahljahr auf über 50 Prozent steigen. Nach der trockenen Lektion ist nun dringend Zeit für Comedy.

Zum Glück hat das Schweizer Parlament dafür gutes Personal (und dieses mit Elsener einen ihrer besten Imitatoren). Gut ausgebildet, mit überproportional vielen Doktortiteln ausgestattet, gibt Bundesbern alles für Wählerstimmen, allem voran den guten Geschmack. Michael Elsener führt als bissiger Moderator durch den erhellenden Fundus an Wahlvideos. Da schneidet Jacqueline «Jacky» Badran (SP) eine ominöse Salami und Ruedi Noser (FDP) klaut Informatikauszubildenden die Computermaus.

Systemwechsel: Heute regiert die Diktatorin

Wo «die da oben» so wenig taugen, sollte man vielleicht am System arbeiten. Wenn wir die Demokratie brauchen und die Demokratie uns nicht braucht, könnte man es doch einmal mit der Diktatur versuchen. Nicht die Mehrheit, sondern der Zufall entscheidet: Esther aus Uster sitzt in der ersten Reihe und ist jetzt Diktatorin des Abends. Sie ist Yoga-Lehrerin, zu Fuss angereist, und zwar in den Turnschuhen von Markenbotschafter Roger Feder – dem wohl einzigen anderen validen Kandidaten für den Posten.

Elseners Stärke ist die Spontaneität. Solche Szenen mit überraschenden Pointen ohne Zeigestock liefern die lockersten Momente des Abends. Sie stärken die These des studierten Politologen und Comedians: Politik ist Unterhaltung.

Die Diktatur, sogar unter der achtsamen Hand von Yoga-Lehrerin Esther, ist zum Scheitern verurteilt. Auch wenn Demokratie anstrengend ist, hilft alles nichts – da müssen wir, da muss das Publikum durch. Es gibt Nachhilfe, geübt wird live vor Ort. Das Publikum wird instruiert, wer dafür ist, summt. Bedingungsloses Grundeinkommen? – Volles Stadtzürcher Summen. Zürich autofrei? – Das Summen wird leiser. Dem zufällig im Theater sitzenden, ehemals für Tiefbau verantwortlichen Stadtrat Leutenegger, entlockt Elsener die Lösung: Ein autofreies Zürich wäre kein Problem, wenn der Verkehr eben nach Uster umgeleitet würde. Ein guter Lehrer zieht den Klassenclown auf seine Seite.

Auf dem Pensum steht ausserdem noch etwas Aufklärungsunterricht (Tabuthema Heterosexualität) und das Klima (die Erfindung des ökologischen Fussabdrucks). Der Comedian sagte kürzlich im Interview mit dieser Zeitung: «Das klassische Politkabarett mit dem Zeigefinger mag ich nicht.» An diesem Abend ist besagter Zeigefinger aber leider etwas gar oft gehoben. Das Publikum zeigt sich brav. Die Schlussumfrage, wer im Herbst wählen ginge, beantwortet es mit einstimmigem Summen, das in überzeugten Applaus übergeht. (Text von Anna Raymann)

Alles wird gut bis 12. März, Theater am Hechtplatz, Zürich. 16. bis 18. März, Kellerbühne St. Gallen. Weitere Termine folgen.