Als Zug eine Kirche für die Arbeiter erhielt

Literatur & Gesellschaft, Brauchtum & Geschichte

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So unspektakulär sich die Gut-Hirt-Kirche auch gibt – ein neuer Kunstführer stellt das Gotteshaus in ein ganz neues Licht.

  • Kunsthistorikerin Brigitte Moser und Kirchenrat Thomas Schmid. (Bild Roger Zbinden)
    Kunsthistorikerin Brigitte Moser und Kirchenrat Thomas Schmid. (Bild Roger Zbinden)

Zug – Es ist nicht so, dass die Pfarrkirche Gut Hirt in Zug unmittelbar alle Blicke auf sich ziehen würde – eigentlich gibt sie sich ziemlich unauffällig. Mit ihren klaren, strengen Formen fügt sie sich in die sie umgebende Bebauung ein und rückt mit der leicht von der Strasse zurückversetzten Lage fast schon aus dem Sichtfeld. Das scheinbar Unscheinbare an der Gut-Hirt-Kirche täuscht: Kaum ein anderes Bauwerk im Gebiet der Neustadt reflektiert so exemplarisch die Zuger Industrie-, Sozial- und Kulturgeschichte.

Auf Initiative der Zuger Kunsthistorikerin Brigitte Moser liegt jetzt ein offizieller Kunstführer zur Kirche vor, welcher in der traditionellen und renommierten Publikationsreihe der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK) erschienen ist. Seit 1880 dokumentiert die GSK das baugeschichtliche Kulturerbe der Schweiz und will damit zu dessen langfristiger Erhaltung beitragen. In diesem 36-seitigen Büchlein wird das Zuger Gotteshaus gewürdigt, indem es ausführlich und anschaulich in jene Zusammenhänge gestellt wird, welche es so einzigartig machen. Die Autorenschaft bestand neben Brigitte Moser aus dem Zuger Historiker Thomas Zaugg und Elisabeth Feiler-Sturm, ebenfalls Kunsthistorikerin und zudem Kuratorin für mobiles Kunst- und Kulturgut der Katholischen Kirche Stadt Zug.

Dem Stil des Neuen Bauens verpflichtet

Was genau also macht die Gut-Hirt-Kirche so besonders? «Man muss da genauer hinschauen und etwas tiefer gehen», beginnt Brigitte Moser ihre Ausführungen und blickt zurück ins ausgehende 19. Jahrhundert. Die Neustadt war rapide gewachsen, in den Gebieten links und rechts der Baarerstrasse hatten sich Industrie und Gewerbe etabliert, im Zuge dessen entstanden neue Quartiere – insbesondere für die Arbeiter. «Der Wunsch nach einem eigenen Gotteshaus wurde lauter», so die Kunsthistorikerin. 1907 beschloss die Stadtgemeinde, in der Neustadt eine katholische Kirche zu errichten. Der Kirchenbauverein Zug nahm sich dieser Aufgabe an. Bald wurden Spenden gesammelt für den Bau der Kirche, welche zum Kern der 1944 neu errichteten Pfarrei Gut Hirt und zum identitätsstiftenden Herz des Industriequartiers werden sollte.

Obschon der Entschluss zum Kirchenbau in der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts gefasst worden war, verzögerte sich die Ausführung des Projektes wegen diverser Umstände um fast dreissig Jahre: In den Jahren 1936/37 schliesslich entstand nach Plänen der Zuger Architekten Alois Stadler und Walter F. Wilhelm ein formklares, gradliniges Kirchengebäude mit Langhaus, Chor und schlankem Turm. «Mit ihrem schlichten, schnörkellosen Erscheinungsbild und in der seinerzeit neuartigen Bauweise in Eisenbeton ist die Arbeiterkirche ganz dem Stil des Neuen Bauens verpflichtet», weiss Brigitte Moser. «Sie war sichtbares Monument eines radikalen Bruchs mit der bisherigen Bautradition, sie stand – und steht heute noch – für eine grundlegende, richtungsweisende Neuorientierung in der Architektur», führt sie aus.

Die Reduktion aufs Wesentliche und ihre leicht nachvollziehbare Struktur reflektierten den Aufbruch in die Moderne. «Und deshalb ist die Gut-Hirt-Kirche ein so wichtiger Bauzeuge der Zuger Industriegeschichte.» Auch sozialhistorisch spielt das Gotteshaus bis heute eine besondere Rolle: Es war stets das geistige Zentrum einer mehrsprachigen Bevölkerung. Arbeitskräfte aus dem fremdsprachigen Ausland besuchten hier ihre Messen. Noch heute dient die «Good Shepherd’s Church» der englischsprachigen Gemeinde als Ort der Gemeinschaft und Eucharistie. Zudem sind die Kroaten- und die Philippinenseelsorge in der Gut-Hirt-Kirche beheimatet.

Ein Beitrag zur Kulturvermittlung

Begeisterung über den kunsthistorischen Architekturführer ist auch seitens der Katholischen Kirche Stadt Zug, der Mitherausgeberin und Trägerin der Publikation, zu vernehmen. «Sie ist sehr gelungen, wir haben grosse Freude daran», lobt Kirchenrat Thomas Schmid – er ist verantwortlich für die Pfarrei Gut Hirt – die Arbeit der Autorenschaft. Der Führer sei ein wertvoller Beitrag zur Kulturvermittlung, die Kirche werde anschaulich und gut verständlich in den Kontext mit der Stadtentwicklung gestellt. «Es war uns ein Anliegen, dass der Kunstführer im Rahmen einer renommierten und für Qualität stehenden Publikationsreihe wie derjenigen der GSK erscheint», so Thomas Schmid.

Das Büchlein stellt also die äusserlich eher unauffällige Gut-Hirt-Kirche in ein völlig unerwartetes neues Licht und erzählt auch von der einen oder anderen delikaten Begebenheit wie beispielsweise davon, dass ein nicht umgesetzter Wettbewerbsentwurf von Alois Stadler eindeutig woanders «abgeguckt» worden war. Nämlich bei der wenige Jahre zuvor entstandenen Luzerner Kirche St.Karl des renommierten Architekten Fritz Metzger, der sich im Wettbewerb ebenfalls empfahl. Nicht zuletzt birgt die Kirche auch erwähnenswerte Ausstattungsgegenstände namhafter Künstler, etwa den Tabernakel von Meinrad Burch oder einen Osterleuchter von Paul Stillhardt. Und das monumentale Kruzifix im Chor von Albert Schilling sorgte nach seiner Errichtung für Irritation und Unmut – wegen seines Erscheinungsbildes. Die genauen Gründe dafür sind zum einen im Kunstführer nachzulesen oder zum anderen an der Vernissage wie auch den angedachten Kirchenführungen zu vernehmen.

Der GSK-Kunstführer zur Pfarrkirche Gut Hirt wird am Samstag, 18. Dezember, ab 14 Uhr der Öffentlichkeit vor Ort in einem besonderen Rahmen – und unter den geltenden Covid-Regeln – präsentiert. Nähere Details zum Anlass sind der Website zu entnehmen: www.kath-zug.ch. Ab Anfang Jahr sollen geführte Rundgänge durch das Gotteshaus stattfinden. Der GSK-Kunstführer ist im Buchhandel erhältlich oder kann bei der Pfarrei selbst wie auch am Schriftenstand in der Kirche käuflich bezogen werden. (Andreas Fässler)