Die Schmerzgrenze läge bei 30 Personen

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Unabhängig vom Grad der Subventionen spielen Theater in der Zentralschweiz weiter. Und sagen, wieso ein Stopp keine Probleme löst.

  • Musiktheater wie fast nirgends mehr:Rossinis «Barbier» läuft weiterhin im Luzerner Theater. (Bild Ingo Höhn)
    Musiktheater wie fast nirgends mehr:Rossinis «Barbier» läuft weiterhin im Luzerner Theater. (Bild Ingo Höhn)

Zug – Der Schweizer Corona-Sonderweg zeigt sich auch daran, dass hier die Theater noch immer spielen. Sie setzen damit ein Zeichen und halten die Kulturfahne hoch. Das gilt in besonderem Mass für die Zentralschweiz. Musiktheater, wusste das St.Galler Tagblatt, wird weltweit nur noch in Madrid, Malmö, St.Gallen und eben am Luzerner Theater gespielt. Aber nicht nur hoch subventionierte Häuser spielen weiter, sondern auch das Kleintheater Luzern oder der Burgbachkeller Zug, die in geringerem Umfang von der öffentlichen Hand unterstützt werden.

Das ist erstaunlich, weil es sich nur Bühnen mit hohen Subventionen leisten können, vor bloss 50 Besuchern zu spielen. Das hatte Co-Intendant Benjamin von Blomberg in Bezug auf das Schauspielhaus Zürich gesagt. Trotzdem trifft auch diese Häuser der Rückgang der Ticketeinnahmen. Katrin Kolo, die Intendantin des Theaters Casino Zug, kündigte eine Schliessung an, falls die Besucherzahl noch weiter auf 30 gesenkt würde.

Auch subventionierte Häuser sind im Clinch

Auch subventionierte Theater sind also im Clinch. Indem sie weiterspielen, nehmen sie die kulturpolitische Verantwortung wahr, die mit den Beiträgen der öffentlichen Hand verbunden ist. Aber weil die Ticketeinnahmen einbrechen, können sie die verlangte Eigenwirtschaftlichkeit nicht erbringen. Hiesse haushälterischer Umgang mit Subventionen nicht, den Spielbetrieb einzustellen und die Belegschaft in Kurzarbeit zu schicken? Und könnten dadurch gar Mittel frei werden zu Gunsten nicht-subventionierter Häuser, wie es Victor Giacobbo mit Blick auf das Opernhaus Zürich angeregt hatte?

Wir fragten Adrian Balmer, den Verwaltungsdirektor des mit 19,8 Millionen am höchsten subventionierten Theaters in der Zentralschweiz. Bei einem Budget von 24 Millionen Franken hat das Luzerner Theater einen Eigenwirtschaftlichkeitsgrad von 20 Prozent anzustreben. Balmer hatte angekündigt, das Theater werde überprüfen, ob das «Verhältnis von Aufwand und Ertrag» den Spielbetrieb weiter rechtfertige. Was ist sein Fazit nach den Wochen seit dem 29.Oktober? «Gemessen an den Publikumsreaktionen ist der Entscheid sicher richtig. Wir bekommen zahlreiche Reaktionen von Leuten, die uns ihre Dankbarkeit ausdrücken», sagt er und findet es ebenfalls wichtig, dass die Grenze nicht auf 30 gesenkt wurde: «Mit 30 Personen würden die Einnahmen auf tiefem Niveau nochmals um fast 50 Prozent sinken und es wären je nach Produktion mehr Personen auf und hinter der Bühne beschäftigt.»

Der Stiftungsrat beschliesst: Das Luzerner Theater spielt weiter

Trotz wirtschaftlicher Einschränkungen zu spielen, hat für Balmer nicht nur mit kulturpolitischer Verantwortung zu tun: «Damit erfüllen wir schlicht unseren Leistungsauftrag, wie jedes Unternehmen, dem die Coronaregeln erlauben, den Betrieb wieder aufzunehmen.» Aber wie rechtfertigt sich der Aufwand unter dem finanziellen Aspekt – könnten mit einem Spielstopp nicht Ressourcen eingespart werden? «Der entscheidende Punkt ist, dass die Personalkosten 85 Prozent unserer Ausgaben ausmachen», erklärt Balmer: «Diese sind an Verträge gebunden und fallen ohnehin an, ob wir spielen oder nicht. Das Sparpotenzial beschränkt sich deshalb auf höchstens zehn Prozent, etwa im Bereich von Ausstattungen, die nicht fertiggestellt werden müssten.»

So oder so könnten die fehlenden Einnahmen sogar Coronahilfen nötig machen: «Wenn wir nicht spielen und die Künstler und die Belegschaft nach Hause schicken, kommt die Kurzarbeitsregelung zum Zug. Wenn wir spielen, müssen wir Ausfallentschädigungen beantragen, um die Differenz zwischen budgetiertem und realem Ertrag zu decken. In beiden Fällen wären das öffentliche Gelder, einfach aus verschiedenen Töpfen.» Dass dem mittelgrossen Luzerner Theater bei nur 50Besuchern pro Vorstellung Erträge in Millionenhöhe verloren gehen, zeigt der Vergleich mit Normalbedingungen, wo es mit durchschnittlich gut 300 Besuchern einen Ticketertrag von rund drei Millionen Franken erwirtschaftet.

Angesichts dieser Alternativen, so Balmer, sei der Fall für den Stiftungsrat des Theaters klar: «In seiner Sitzung am Dienstag hat er beschlossen, den Spielbetrieb weiterzuführen, um für seine Besucher ein Kulturangebot aufrechtzuerhalten und wenigstens einen Teil der Einnahmen zu einzuspielen.» Eine Streichung ganzer Produktionen ist für ein Haus wie das Luzerner Theater ohnehin keine Option – anders als bei Gastspielbetrieben oder bei Repertoirebetrieben wie dem Opernhaus Zürich, das seine Produktionen über Jahre hinweg als Wiederaufnahmen zeigt: «Repertoire-Betriebe können auf solche Produktionen zurückgreifen. Wir müssen die Arbeit an unseren aktuellen Produktionen weiterführen, damit wir spielbereit sind, wenn die Bedingungen es zulassen.» So hat am 13.Dezember sogar Leos Janaceks «Das schlaue Füchslein» Premiere.

Mit alledem gibt es auch keinen Spielraum, um Subventionsgelder an andere Häuser zu transferieren. «Der Gedanke klingt natürlich sympathisch», räumt Balmer ein: «Aber erstens sind unsere Subventionen zweckgebunden, wir haben weder den Auftrag noch die Befugnis, andere Häuser in Notlage zu unterstützen. Zum andern stellen Bund und die Kantone für solche Notlagen erneut Coronagelder zur Verfügung.»

Wirtschaftliche und soziale Verantwortung

Auch Judith Rohrbach vom Kleintheater Luzern kann sich «nicht vorstellen», wie ein solcher Subventionstransfer gehen sollte (vgl. Interview unten). Emil Ulrich, Präsident der Stiftung Kellertheater am Burgbach in Zug, kann sich sogar vorstellen, dass das Kleinkunsttheater «durch die Saison kommt, ohne Kurzarbeit und Ausfallentschädigung zu beantragen». Auch er geht davon aus, dass die laufende Saison mit einem Verlust abschliessen wird – wegen der Beschränkung der Einnahmen und höherer Ausgaben wegen des Corona-Schutzkonzepts. Möglich machten das Weitermachen Reserven sowie Mittel von Privaten und öffentlicher Hand – unter anderem gehört die Liegenschaft der Stadt Zug. «Denn ein Theater mit 100 Plätzen ist nur aus Zuschauereinnahmen gar nicht kostendeckend zu führen», so Ulrich.

Dass eine kulturpolitische Verantwortung mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Aspekten bei allen Häusern eine Rolle spielt, bestätigt auch Ulrich: «Wir wollen unseren Mitarbeitern und den Künstlern ein Einkommen sichern. Wenn es bei der Besuchergrenze von 50Personen bleibt, machen wir weiter. Würde sie auf 30 Personen fallen, wäre die Schmerzgrenze aber wohl erreicht.» (Urs Mattenberger)