Sieben Stufen erinnern an Schul-Pionierin

Brauchtum & Geschichte

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Die in Zug geborene Josephine Zehnder-Stadlin (1806–1875) erhielt in ihrer Heimat leider nie die ihr zustehende Beachtung. Sie hat als erste Zugerin überhaupt eine Vorlesung an einer Universität besucht.

  • Das Dinghaus im Daheimpark oberhalb des Huwilerturms. An das Mäusihaus erinnert bloss noch eine alte Steintreppe. (Bild Maria Schmid)
    Das Dinghaus im Daheimpark oberhalb des Huwilerturms. An das Mäusihaus erinnert bloss noch eine alte Steintreppe. (Bild Maria Schmid)

Zug – Die Sieben ist eine magische Zahl. Es gibt sieben Todsünden. Es ist auch von den sieben Weltwundern die Rede. 1979 landete die DDR-Band «Karat» mit «Über sieben Brücken musst du gehen» einen Hit, welcher der deutsche Sänger Peter Maffay noch einmal toppte. Nicht zu vergessen ist «Das Fähnlein der sieben Aufrechten» von Gottfried Keller. Die Novelle erschien im Jahre 1861. Den Namen Keller musste Josephine Zehnder-Stadlin (1806–1875) kennen. In einem unveröffentlichten Brief schreibt der Literaturwissenschaftler Jakob Baechtold (1848–1897) an seinen Freund Gottfried Keller (1819–1890): «Das Buch der Frau Josephine Zehnder habe ich bereits durchgangen und bin erstaunt über die erdrückende Fülle des wertvollen Materials; dass so etwas einem Weibsbild in die Hände fallen musste.»

Welches Werk Baechtold gelesen hatte, ist unklar. Fakt ist hingegen, dass die von Zehnder-Stadlin produzierten Bücher und Schriften bekannt waren. In Zug, wo die Schulpionierin am 19. März 1806 im Mäusihaus auf die Welt kam, erinnert allerdings nur eine Treppe mit sieben Stufen an die verkannte Zugerin.

Nicht alle Kinder erreichen das Erwachsenenalter

Die steinernen Zeugen im heutigen Daheimpark oberhalb des Huwilerturms sind die Überreste des 1937 niedergerissenen Mäusihauses. In diesem verbrachte Josephine Zehnder-Stadlin ihre Kindheit. Wie Beat Dittli im Nachschlagewerk «Zuger Ortsnamen» aus dem Jahre 2007 schreibt, sei das Haus 1770/1771 erbaut worden. Der Name gehe wohl auf einen Beinamen zurück. Dittli nennt den Namen Maurus. Der zweite Besitzer war der Arzt und Historiker Franz Karl Stadlin (1777–1829). Dieser war der Vater von Josephine Zehnder-Stadlin. Ihre Mutter (1782–1855) gebar zwölf Kinder, von denen einige schon im Kindesalter starben. Josephine Zehnder-Stadlins Vater starb im Jahre 1829. Er schuf ein vierbändiges Werk über die Topografie des Kantons Zug. Dadurch verschlechterte sich das Dasein der Stadlins noch einmal. Schon vorher musste die Grossfamilie Stadlin darben.

So gut es ging, versuchte sie als Älteste der Stadlins seit 1824 mit ihrer Arbeit als Näherin Geld zu beschaffen. Sie nähte aber nicht nur für Kunden, sondern betrieb gleichzeitig eine Nähschule. Dort lernten die Mädchen mit Nähzeug und Faden umzugehen. Sie erhielten gleichzeitig Unterricht in Schreiben und Lesen.

Gerne hätte die begeisterungsfähige junge Frau in der Stadt Zug, ihrer Heimat, unterrichtet. Doch um an der Mädchenschule des Klosters Maria Opferung unterrichten zu können, hätte Zehnder-Stadlin eine Nonnenkutte anziehen müssen.

In dieser Zeit galt im Kanton Zug das eiserne Gesetz, dass nur Klosterfrauen Mädchen unterrichten konnten. Sybille Omlin schreibt im Buch «Rechtschaffen – Beiträge zur Frauengeschichte 1800-1930»: «Ebenso unvorstellbar war es, eine weltliche Lehrerin an einer öffentlichen Knabenschule in der Stadt Zug zu beschäftigen, weil Knaben nur von Lehrern unterrichtet werden sollten.»

Als die Kämpferin für die Anliegen der Frauen hörte, dass eine Gesangsklasse für Knaben geplant sei, fragte sie die Zuger Behörden an, ob es möglich wäre, eine Mädchensingklasse zu bilden. Die Reaktionen waren grundsätzlich positiv, aber es kam zur Irrungen und Wirrungen, an welchen Zeitungen auf dem Platz Zug einen nicht zu unterschätzenden Beitrag leisteten.

Josephine Zehnder-Stadler verhalf der Hickhack um das Mädchensingen in der Stadt Zug zu zwei Stellenangeboten. Die ihrer Zeit bereits entwachsene visionäre Frau nutzte die Einladung zum Wegzug und verliess im Jahre 1831 die Stadt Zug. Sie landete in einem Töchterinstitut in Yverdon. Dort kam sie in Berührung mit den Methoden des bekannten Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827). Dessen Ideengut fand bei der Zugerin eine gute Aufnahme.

Später erfüllte sich die Frau, die einst als erste Zugerin eine Universitätsvorlesung besuchen durfte, einen lang gehegten Wunsch: Sie eröffnete ihr eigenes Institut, in diesem sie danach trachtete, ihre Ideen umzusetzen.

Sie gründete auch eine Zeitschrift mit dem Titel «Die Erzieherin – eine Zeitschrift für weibliche Erziehung» (www.e-periodica.ch). Nachdem die Zugerin in Zürich den Politiker und Arzt Ulrich Zehnder (1798–1877) geheiratet hatte, war sie in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent.

Ein Werk über Pestalozzi

Doch die Schaffenskraft von Josephine Zehnder-Stadlin erlahmte nicht. Sie arbeitete bis zu ihrem Tod am 26. Juni 1875 an einem umfassenden Werk über Pestalozzi. Es ist auch ihrem Einsatz zu verdanken, so die Lehrerinnenzeitung (erschienen von 1896 bis 1982), dass manches wertvolles Manuskript von Pestalozzi der Nachwelt erhalten blieb.

Es jedoch nur ein Band von Josephine Zehnder-Stadlins Arbeit über Pestalozzi im Druck erschienen. Es waren sieben Bände vorgesehen. Der Nachlass der Zugerin befindet sich in der Zentralbibliothek in Zürich.

In der «Neuen Zürcher Zeitung» erschien ein in drei Teile aufgesplitteter Nekrolog, wie Max Huwyler in «Jakobs Auswanderung» schreibt. Das freisinnige «Zuger Volksblatt» brachte eine kurze Notiz über den Tod Zehnder-Stadlins. Die konservative «Neue Zuger Zeitung» schwieg. Sieben Stufen ins Nichts oder ins Grün müssen reichen. (Text von Marco Morosoli)