Wer darf überleben?
Theater & Tanz
Dreizehn Jugendliche müssen nach einer Katastrophe auf hoher See in einem Rettungsboot um ihr Leben kämpfen: Das Kinder- und Jugendtheater Zug spielt und tanzt ein hochaktuelles Thema.
Zug – Die Bühne im Untergeschoss der Metalli – seit Jahren das «Theaterzuhause» vieler theaterbegeisterter Kinder und Jugendlicher – ist ausgefüllt mit einem riesigen weissen Podest. Einem Boot. Darauf entwickelt sich während 100 Minuten ein Stück, das man zunächst wörtlich als Überlebenskampf nach einem Schiffsunglück verstehen kann.
«13 Leben» heisst es, und die 9- bis 16-Jährigen spielen und tanzen es hinter einem weissen Gazevorhang. Bereits 2002 brachte das Kinder- und Jugendtheater Zug es auf die Bühne – in der Originalfassung von Georg Kaiser mit dem Titel «Das Floss der Medusa». 2023 schuf Theaterleiter Stefan Koch-Spinnler eine Mundartfassung davon. Die Grundlage ist eine wahre Begebenheit aus dem 2. Weltkrieg: Ein Dampfer, der 1940 Kinder aus bombardierten Städten von England nach Kanada bringen sollte, wurde auf hoher See torpediert.
Wer darf in einer Extremsituation überleben – wenn Wasser, Vorräte und medizinische Hilfe knapp werden? Wer führt an, und wer läuft mit? Wer begehrt auf, meutert gar? Wie kann das soziale Gleichgewicht aufrechterhalten werden? Welche Rolle spielen dabei menschliche Ressourcen wie Autorität, Mitgefühl oder Zuversicht einerseits, destruktives Verhalten wie Egoismus, Schuldzuweisungen und Gewalt andererseits?
Je zwei in den Hauptrollen
«13 Leben» ist ein «kraftvolles Gleichnis vom Überleben und von der menschlichen Natur», fasst es das Programmblatt zusammen. Die jungen Schauspielenden verkörpern unterschiedliche Reaktionen auf das Unglück; die grossen Rollen wurden dabei jeweils auf zwei aufgeteilt.
Da gibt es die beiden Anführer Anna (Yepa Trinkler und Sarah Nörenberg) und Alex (Juri Fürrer und Miron Slodowicz). Sie erkennen sich als ebenbürtig und unterstützen sich in der Verantwortung für die Gruppe, müssen aber auch schwere Entscheide fällen: Wer bekommt wie viel warme Milch, Wasser, Büchsenfleisch, Militärguetsli?
Anthea (Carlina Bussmann) ist die mitfühlende Krankenpflegerin, betreut die schwer verletzte Amy (Sarina Scherrer). Auch Roger (Simeo Betschart) setzt sich für die Schwachen und für Gerechtigkeit ein – dafür wird er angegriffen, vor allem von Andi (Adrian Hay und Novak Mengis), der mit Steinschleuder unterwegs ist und auch den stotternden Aaron (André Hunziker) drangsaliert, oder vom aggressiven Sam (Jonathan Eichenberger).
Georg (Etienne Meier) ist der Buchhalter der Gruppe, rechnet und notiert die Vorräte in sein schwarzes Notizbuch hinein. Die kleine Melissa (Lennja Aline Weber und Mirte de Gruijter) kümmert sich um ihr Baby, Enid (Eva Machka und Nadia Somea Risi) ist eine gute Ruderin, und Mira (Rebekah Utiger und Delia Waldispühl) muss sich um ihre Schwester kümmern. Und dann taucht – versteckt im Vorratskasten des Bootes – ein kleines stummes Kind mit rotem Haar auf. Die anderen taufen den blinden Passagier «Füchslein» (Mila Slodowicz).
Metapher für die Menschheit
In der zweiten Hälfte nimmt die kollektive Verzweiflung zu, die Situation eskaliert. Eine unerbittliche Natur, Wellen und Wetter umgeben das Boot. In der Inszenierung von Theaterlehrer Stefan Koch-Spinnler und Choreograf Karwan Omar werden sie durch Tanz dargestellt – mit explodierender Körperenergie.
Das Problem in Extremsituationen ist der Mensch selbst, muss man denken. Und empfindet das eindrückliche, stürmisch applaudierte Spiel als Metapher für den heutigen Zustand der Menschheit: Das Schiff ist der Planet, und der Verteilkampf ist bereits im Gang. Die Choreografie weist indes auf ein neues Denken hin: Mit der Natur könnte man sich identifizieren und verbünden. (Text von Dorotea Bitterli)
Weitere Aufführungen
23./24. Mai, jeweils 19.30 Uhr, sowie 25. Mai, 17 Uhr. Infos und Tickets: www.kindertheaterzug.ch.