Langsamkeit ist gesünder

Kunst & Baukultur

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Staub und Schutt statt Bürostuhl und dicke Lohntüte. Junge, vielversprechende Zuger Bildhauer sind gerade dabei, die alte Garde abzulösen.

  • Vielschichtige Persönlichkeit: Ein Werk von Daniel Züsli. (Bild: Philippe Hubler)
    Vielschichtige Persönlichkeit: Ein Werk von Daniel Züsli. (Bild: Philippe Hubler)
  • Das richtige Werkzeug. (Bild: Philippe Hubler)
    Das richtige Werkzeug. (Bild: Philippe Hubler)

Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der März-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Bildhauerei denken? Michelangelos David vielleicht? Oder wandern Sie über göttliche Äcker und bestaunen dabei kunstvoll gestaltete Grabmale? Drängen sich Namen wie Rodin, Lehmbruck und Giacometti in Ihr Bewusstsein? Oder aber blickt Ihr inneres Auge auf ein Paar staubbedeckte Hände, die mit Hammer und Meissel bewaffnet sich an einem Stück Hartgestein abmühen?
Alles legitim. Was aber, wenn wir unsere Frage etwas spezifizieren, sprich: lokalisieren? Der Kanton Zug und die Bildhauerei – streng genommen müsste der vorliegende Artikel genau so betitelt sein. Nur: Sexy klingt das nicht. Und der Sache gerecht würde eine derart trockene Überschrift auch nicht. Die Zuger Bildhauerszene kommt nämlich quicklebendig daher.

Was heisst das, Leben?
Unser erster Atelierbesuch führt uns nach Cham. Es ist kalt. Winzige Eispartikel tanzen angepeitscht von einer fiesen Brise durch die Luft, während der vorhergesagte Schneefall trotzig auf sich warten lässt. Unbeeindruckt von solch meteorologischen Allüren sitzt Holzbildhauer Daniel Züsli in seinem Atelier und macht sich letzte Notizen für die nächste Auftragsarbeit.

Wie lebt es sich als freischaffender Holzbildhauer, Daniel Züsli?
Züsli: «Was heisst denn ‹leben›? Ich kann eher davon leben, als ich von einem Routinejob leben kann, auch wenn Letzteres sich finanziell mehr auszahlt. Meine Selbstständigkeit ist ein Abenteuer, das viele Unklarheiten in sich birgt. So stelle ich mir das Leben vor. In diesem Sinne lässt es sich ausgezeichnet so leben.»

Back to the woods
Daniel Züsli, 32, schloss vor rund sieben Jahren seine Ausbildung an der Holzbildhauerschule ab. Die daran angehängten Wanderjahre trieben ihn durch halb Europa: Italien, Deutschland, nach Schottland, bis hinauf nach Island. 2013 gewann er den ersten Preis beim 18. Internationalen Holzbildhauersymposium im deutschen Eubabrunn. Seit 2015 führt Züsli sein eigenes Atelier in Cham. Er wechselt ab zwischen Auftragsarbeiten, Schnitzworkshops und freien Arbeiten.

Wo liegt die Faszination am Beruf?
Züsli: «In der Einfachheit. Es ist eine ursprüng­liche, meinetwegen bodenständige Arbeit. Du nimmst ein Stück Material und machst etwas daraus, manchmal arbeitest du mehrere Wochen oder gar Monate am selben Holzklotz. Ich glaube, diese Langsamkeit ist gesünder für mich.»

Wieso Holz?
Züsli: «Ich kann ganz gut mit Holz. Holz ist das Medium, das ich beherrsche. Das Spannende am Holz ist, dass es wächst und vergänglich ist. Diese Lebendigkeit verleiht dem Material einen besonderen Charakter.»

Die Gefühlswelt zerdrückter Leute
Inspiration holt sich Züsli im wilden Machen. «Manchmal muss einfach etwas raus», sagt der Chamer lächelnd, während rundherum unzäh­lige Skulpturen stoisch von der sprudelnden Kreativität ihres Erschaffers zeugen. «Jede begonnene Arbeit endet mit 100 neuen Ideen», verrät er.
In seinen freien Arbeiten beschäftigt sich Züsli oft mit der Bedeutung von Druck. Er interessiert sich für die Gefühlswelt zerdrückter, bedrückter und entrückter Leute und setzt diese Emotionen mit seinen Skulpturen auf künstlerische Weise um. Dennoch sieht sich Züsli eher als Handwerker denn als Künstler, obwohl er sich gerade für einen Platz an der Kunsthochschule bewirbt.

Vom Holz- zum Steinklotz
Damit ist er nicht alleine. Dieses zwischen Handwerker und Künstler schwankende Selbstverständnis zieht sich durch die gesamte Zuger Bildhauerszene. Exemplarisch zeigt sich dies bei den Geschwistern Huber. Wir sind immer noch in Cham, wechseln allerdings das Material: Aus dem Holzblock wird ein Steinklotz. Doris (33) und Thomas Huber (35), hier geboren und aufgewachsen, haben vor sieben Jahren das Steinbildhaueratelier ihres Vaters übernommen.

Sind die Hubers Künstler oder Handwerker?
Doris Huber: «Ich sehe mich mehr als Handwerkerin. Das liegt sicher auch daran, dass für mich der Begriff Künstlerin mit zu vielen Klischees behaftet ist.»
Thomas Huber: «Ich sehe mich eher als Künstler. Wobei, es gibt Arbeiten, bei denen das Handwerkliche im Vordergrund steht. Wahrscheinlich stehe ich dazwischen, ein Kunsthandwerker, mal mehr Künstler, mal mehr Handwerker.»

Die Geschwister fertigen mehrheitlich Skulpturen aus Stein und bieten daneben Bildhauer­kurse und Firmenevents an. Hauptsächlich ­allerdings machen sie Grabmalkunst. «Unsere Auftragsbücher sind gut gefüllt», versichert Thomas Huber, während von draussen einige dick eingemummte Passanten interessiert auf die vielen Grabsteine, Urnenplatten und Kreuze in verschiedenen Stadien blicken.

Wie geht man damit um, im Arbeitsalltag stets mit dem Tod konfrontiert zu sein?
Thomas Huber: «Da wir von Kindesbeinen an damit konfrontiert wurden, kann ich meistens gut mit dem Thema umgehen. Im Kundenkontakt herrscht stets eine Diskrepanz zwischen der Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen und der Freude über ein gelungenes ­Grabmal. Da braucht’s Fingerspitzengefühl.»

Doris Huber: «Die Vergänglichkeit ist für mich ein normaler Bestandteil des Lebens und nichts Erschreckendes. Zudem empfinde ich es als sinngebend, wenn ich jemandem im Trauer­prozess helfen kann.»

Während für Thomas Huber früh klar war, dass er in die Fussstapfen seines Vaters treten würde, hat seine Schwester Doris zunächst im kaufmännischen Bereich gearbeitet. Wirklich erfüllt hat sie das jedoch nie. Sie vermisste den Ausgleich zwischen Kopf- und körperlicher Arbeit, konstatiert sie. Heute verdiene sie zwar weniger, dafür habe sie mehr Lebensqualität. «Das war für mich einer der Hauptantriebe, das Berufsfeld zu wechseln», sagt die 33-Jährige.

Wo liegt der Reiz am Stein?
Thomas Huber: «Dem Stein musst du es manchmal abringen, er macht es dir nicht einfach. Das gefällt mir daran. Der Stein lehrt dich Geduld und Demut.»
Doris Huber: «Stein gilt als tote Materie. Wenn du aber daran arbeitest, merkst du schnell, dass dem nicht so ist. Ich bearbeite nicht den Stein, sondern der Stein erlaubt mir, an ihm zu arbeiten. Du darfst nicht gegen das Material kämpfen. Oftmals weiss der Stein es ohnehin besser als ich.»

Jungbrunnen im staubigen Atelier
In ihrer Einstellung sind die Hubers stark von Steinbildhauer Albert Steiger geprägt, in dessen Atelier in Zug die beiden einen Teil ihrer vierjährigen Ausbildung absolvierten. Steiger mag vor allem den Widerstand und die Beständigkeit des Materials. «Mit meinen Steinarbeiten kann ich etwas Archaisches ausdrücken», erzählt der 70-Jährige, der sein fast schon jugendliches Aussehen direkt an seine Berufstätigkeit koppelt: «Steinstaub hält jung», verrät er und lacht.

Wieso sind Sie Steinbildhauer geworden?
Steiger: «Neben dem Handwerk an sich schätze ich die zwischenmenschliche Komponente, die dieser Beruf mit sich bringt. Zudem gefallen mir die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Materialien und die Freiheit, meine Ideen umsetzen zu können.»

1974 übernahm Steiger das Geschäft seines Vaters. Auch heute noch nimmt er Auftragsarbeiten entgegen, wenn auch nicht mehr so viele wie früher. Steiger hat sich nie als Künstler gesehen, sondern bezeichnet sich immer schon als Handwerker, schliesslich sei es das Handwerk, was er beherrsche. Freie Arbeiten nehmen in seinem Œuvre einen marginalen Platz ein. Steigers Arbeiten sind hauptsächlich Grabzeichen. Hunderte Gipsmodelle davon zieren sein Atelier, mindestens so viele wurden aus Platzgründen bereits entsorgt. Der Zuger nimmt ein Fotoalbum zur Hand und zeigt seine früheren Werke, aus längst vergangenen Tagen. Der Fundus ist beeindruckend.

Woher kommt diese Kreativität?
Steiger: «Aus der Natur und vom Zufall. Ich laufe beispielsweise am Fluss entlang, sehe einen Stein und erkenne, dass sich in dessen Gestalt ein Frosch versteckt. Die Spontaneität macht für mich die Bildhauerei aus, sie ist die Quelle meiner Kreativität. Die Kopfarbeit bezieht sich hingegen vielmehr auf das handwerkliche Wissen.» Dieses Wissen indes sieht Steiger in Gefahr, weil die Nachfrage nach Grabzeichen insgesamt rückläufig sei und es im Vergleich zu früher fast keine Lehrlinge mehr gebe. «Ich fürchte, dass dadurch viel Fachwissen verloren gehen wird», zeigt sich der Zuger besorgt, dem die Nachwuchsförderung immer schon am Herzen gelegen hat.

Standortvorteil Zug
Gar keine Sorgen um den Berufsstand macht sich hingegen Steinbildhauer Rolf Grönquist. Er ist ebenfalls ein alter Hase im Geschäft, der selber seit Jahren Lehrlinge in seinem Atelier in Baar ausbildet.
Zwar sieht auch er eine veränderte Nachfrage nach Grabzeichen, jedoch insofern, als alles schneller gehen müsse. «Manchmal hätte ich gerne mehr Zeit für meine Arbeiten. Denn Qualität braucht Zeit», betont Grönquist. Dass der 59-jährige Zuger gelassen in die Zukunft blickt, liegt in erster Linie am Standort: «Zug hat schon immer eine ausgeprägte Grabmalkultur von ausgezeichneter Qualität gehabt», sagt Grönquist und beruft sich dabei auf Namen wie Kögler, Bossard und Wotruba, von deren Erbe die hiesigen Bildhauer auch heute noch profitierten.
Die Bildhauerei, fügt Grönquist an, sei eine Verzahnung von künstlerischem Gestalten und handwerklichem Können. Das eine ohne das andere funktioniert für ihn nicht. Deshalb sehe er sich klar als Kunsthandwerker, der hauptsächlich Grabmale herstellt, daneben aber auch seinen künstlerischen Geltungsdrang mit Skulpturen, Plastiken und Installationen nicht zu kurz kommen lässt.

Wie viel Platz bleibt Ihnen fürs freie künstlerische ­Arbeiten?
Grönquist: «In der Regel reserviere ich mir sicher einen Tag pro Woche für freie Arbeiten. Das ist mir wichtig, um meiner Experimentier­freudigkeit gebührend Raum zu bieten.»

Seit 1988 führt Grönquist sein eigenes Atelier. Schon als kleiner Junge war er fasziniert von Kristallen und Mineralien. Später suchte er einen handwerklichen Beruf, in dem auch die Kunst eine Rolle spielt, und wurde in der Steinbildhauerei fündig. Bereut habe er diesen Weg nie, betont Grönquist, der sich nach über 40-jähriger Tätigkeit auch heute noch jedes Mal erst an einen neuen Stein gewöhnen müsse, während er damit zu arbeiten beginnt. «Jeder Stein», sagt er, «hat seinen eigenen Charakter.»

Wann wissen Sie, dass eines Ihrer Werke fertig ist?
Grönquist: «Das ist eine wichtige Frage, die sich allerdings nicht so leicht beantworten lässt, zumal der Stein selbst immer auch ein Wörtchen mitzureden hat. Jede Arbeit gibt sein eigenes Fertig vor, auf das es sich einzustellen gilt. Darum erachte ich ein lebenslanges Lernen in der Bildhauerei als sehr wichtig. Was aber meine ­Arbeit auch so spannend macht.»

(Autor: Philipp Bucher)