Musik «im Schatten» der Umstände

Musik

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Das Trio-Konzert des Ensembles Chamäleon nahm in seiner Zusammenstellung auch Bezug zu widersprüchlichen Gefühlen in schwierigen Übergangszeiten – in Coronazeiten.

  • Wiener Klassik und Romantik – auch in schwierigen Zeiten bleibt Raum für Musik: Das Ensemble Chamäleon konzertierte in der Gewürzmühle. (Bild Stefan Kaiser)
    Wiener Klassik und Romantik – auch in schwierigen Zeiten bleibt Raum für Musik: Das Ensemble Chamäleon konzertierte in der Gewürzmühle. (Bild Stefan Kaiser)

Zug – Es ist jetzt alles geprägt davon: von der Angst und der Vorsicht einerseits, vom schärfer denn je empfundenen Wunsch nach ­Lebendigkeit, Intensität und ­Gemeinschaft andrerseits. Beides prägte das herbstliche Konzert des Ensembles Chamäleon, welches am Sonntag in der Gewürzmühle Zug zu dritt aufspielte. Gleich doppelt, als Matinée und als Vorabendveranstaltung, ­damit die obligate Distanz gewährleistet war. Und selbstverständlich trugen alle, die sich einfanden, Masken; die drei Musizierenden legten sie ab, sobald sie in die Tasten und Saiten griffen. Auf dem Konzertplakat aber überlagerten sich drei helle Scheiben, eine hellrote, eine goldene und eine orange: Wie hört man Haydn, Beethoven und Schumann, diese drei grossen «Sonnen» oder «Monde» der Musik – in pandemischen Zeiten?

Eine sorgfältige Programmgestaltung ist Markenzeichen des Ensembles. Ausgewählt wurden dieses Mal selten gespielte Kompositionen der drei Klassiker, und in allen dreien fand etwas «im Schatten von…» statt – wie Peter Hoppe dem jeweils fünfzigköpfigen Publikum in seiner Einführung erklärte.

Des Komponisten schalkhafte Intention

In Joseph Haydns 1794/95 entstandenen Klaviertrio «Jakobs Traum» in es-Moll (Hob. XV.31) war dies humoristisch gemeint: Der Komponist widmete das Stück der jungen Pianistin Theresa Jansen, die mit einem dilettierenden Violinisten zusammenspielte, der die hohen Töne zu nahe am Steg zu spielen pflegte. Die Musik kam zunächst einfach daher, aber gegen Schluss verbargen sich ein paar halsbrecherische Passagen, die bis zum dreigestrichenen Gis reichten, woran der Dilettanten-Eifer natürlich regelmässig scheiterte. Die junge Frau ahnte Haydns Scherz, er brachte sie zum Lachen, während der frustrierte Geiger über den zunächst im Schatten der Anonymität gebliebenen Komponisten schimpfte, der nicht für Violine zu schreiben wüsste, und erst später erfuhr, dass es sich dabei um Haydn höchstpersönlich handelte. Dem heiteren, überbordend variationslustigen Stück, das Jakobs Himmelsleiter mit den darauf fröhlich auf- und absteigenden Engeln brillant visualisiert, setzte Haydn ein paar Jahre später einen Kopfsatz voran, der zu seinen tiefsinnigsten und ernsthaftesten Schöpfungen gehört.

Mit diesem innig-samtigen «Andante cantabile» begann das Konzert, und es war, als ob die Musik das Tor zu einem inneren Raum aufstiesse, in welchem jenseits von aktuellen Sorgen und Zweifeln das Wesentliche bleiben und erlebt werden konnte: Gefühle, ihre nonverbale Mitteilung und die daraus entstehende Verbundenheit.

Ludwig van Beethovens 1808 erschienenes Trio Es-Dur (op. 70,2) stand über Jahrhunderte im Schatten des bekannteren Geistertrios op. 70,1, obwohl der Komponist selbst es diesem offenbar immer vorzog. Luzius Gartmanns Cello beginnt mit langgezogenen, gemüthaften Strichen, die bald mit ein paar Trillern gewürzt werden und mit Tobias Steymans’ Violine in einen Dialog treten, der fast «brüderlich» wirkt: Sie ziehen sich gegenseitig in die Höhe, während dahinter Madeleine Nussbaumers Klavierspiel perlt.

Immer wieder im Stück wird das Bass-Instrument so etwas wie ein «Brückenbauer», wenn die Phrasen sich zu Ende neigen und man zuhörend einen Schluss vorauszuahnen meint; das Cello hält den Melodiefaden fest, die anderen setzen wieder ein – offensichtlich war es ein Pseudoschluss –, und die Musik bringt frische Wendungen und neue Überraschungen hervor, gegen Ende auch beeindruckend fulminant. Das Reizvolle ist das Unerwartete.

Der Raum der Musik bleibt

Nach der Pause wird es strahlend romantisch. Robert Schumanns Düsseldorfer Zeit – die fruchtbarste seines Lebens, bevor er in den Schatten der geistigen Umnachtung fiel – spiegelt sich in seinem Trio g-Moll (op. 110). Alles ist da, das murmelnd-gurgelnde Strömen des Rheins, vielleicht die verführerische Loreley, der Gefühlsüberschwang, himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt, die Sehnsucht und das Koboldhafte, sprunghaft, übermütig, spielerisch. In allen vier Sätzen ein ungeheurer Einfallsreichtum. Wie theaterspielende Kinder. So viel Glück und so viel Dunkelheit. Und wieder setzt sich im Publikum ein Gedanke fest: Selbst wenn es noch schlimmer würde – «im Schatten der Katastrophe» bleibt immer der Raum der Musik, eine Oase der emotionalen Expression, die nicht Flucht, nicht Eskapismus ist, sondern Fähigkeit zur Hingabe, Selbstvergessenheit und Kommunikation des nicht Aussprechbaren.

Die vom Publikum erklatschte Zugabe, ein seelenvolles Stück aus Niels W. Gades «Novelletten», verstärkte diesen Eindruck noch.

Nein, wir können nicht Mensch sein ohne Kunst und Kultur. (Dorotea Bitterli)