Das Tabuthema Suizid im Mittelpunkt

Dies & Das, Literatur & Gesellschaft

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Martin Steiner hat die Wanderausstellung «Leben, was geht! Suizid im Gespräch mit Hinterbliebenen» konzipiert. Sie ist noch bis am 11. November in der Shedhalle zu sehen.

  • Projektleiter Martin Steiner in der Ausstellung. (Bild Matthias Jurt)
    Projektleiter Martin Steiner in der Ausstellung. (Bild Matthias Jurt)

Zug – Direkt beim Eingang empfängt einen die schwarze Silhouette eines Mannes: «Ich berichte vom Tod meines Bruders», ist zu lesen – schon ist man mittendrin im Thema und in der Ausstellung «Leben, was geht! Suizid im Gespräch mit Hinterbliebenen», konzipiert von Martin Steiner (45). Zwei bis drei Personen scheiden in der Schweiz täglich aus dem Leben, bis zu dreissig Personen werden jeden Tag nach einem missglückten Versuch medizinisch betreut – trotzdem ist Suizid ein Tabuthema. «Aus diesem Grund scheint es notwendig, darüber offen und konstruktiv zu sprechen und wertfrei informieren zu können», sagt Projektleiter Steiner. Die Wanderausstellung, die bereits in Wohlen, Bremgarten und Aarau zu sehen war, wird am Samstag, 23. Oktober, in der Shedhalle in Zug eröffnet und kann bis am 11. November besucht werden. Der interaktiv gestaltete Parcours biete den Besuchern einen Einstieg ins Thema. Steiner sagt dazu: «Primär sind Erfahrungen aus erster Hand zu hören.»

24 Betroffene erzählen von ihren Erfahrungen in sogenannten «Living Books». Die «Living Books» können teilweise an Hörstationen angehört oder via QR-Code auf dem eigenen Handy mit den eigenen Kopfhörern abgespielt werden. Familiär oder von Berufes wegen Direktbetroffene eines Suizids berichten emotional, wie sie mit dem Erlebten umgegangen sind. Zu Wort kommen beispielsweise ein Vater, eine Freundin, eine Tochter, ein Ehemann und Bestatterinnen. Aber auch ein Seelsorger, eine Mutter oder ein Überlebender.

Zeit nehmen und sich auf die Thematik einlassen

«Ich habe die Betroffenen einfach ihre Geschichte erzählen lassen. Für die Erfahrungsberichte muss man sich als Besucher etwas Zeit nehmen, man muss sich darauf einlassen», sagt Steiner. Die Ausstellung ist entsprechend eingerichtet. Gemütliche kleine Wohnzimmer mit vielen Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen und Nachdenken ein. Das Zuhören kann aber auch in einem grösseren Kontext verstanden werden: Die Besucherinnen und Besucher sollen sich bewusst werden, dass man sich auf sein Gegenüber einlassen muss. «Wird Suizid nicht thematisiert, lässt man ihn quasi verschwinden – und damit auch einen Teil eines Betroffenen. Ein Suizid bedeutet für das Leben der Hinterbliebenen und auch der Überlebenden immer auch eine Zäsur, die nicht einfach übergangen werden kann», führt Steiner aus.

So spielen beobachtende und reflektierende Elemente eine zentrale Rolle in der Ausstellung: Wie reagiere ich, wenn ich merke, dass es jemandem nicht gut geht? Es geht um Sensibilisierung, das Passierte anzusprechen, und Ressourcenstärkung als präventiven Ansatz. «Den Besuchern werden Instrumente im Umgang mit betroffenen Personen gegeben. Sie müssen sich aber auch auf den Prozess einlassen wollen», führt Steiner aus. Er habe die Erfahrung gemacht, dass das Nachfragen durchaus erwünscht sei, «aber halt mit der notwendigen Sensibilität und Ernsthaftigkeit».

Der 45-jährige Kantilehrer, der an der Kantonsschule Wohlen Englisch und Geschichte unterrichtet, ist seit rund zwölf Jahren kulturell tätig – und er gehört selber zu den Betroffenen. «Ich habe Suizid im privaten Umfeld erlebt und in der Schule. Man ist betroffen, aber es geht nicht über das hinaus», erklärt er. Das Thema hat im Alltag kaum Platz. Die Ausstellung soll einen offenen Raum dafür bieten. Dazu dienen auch die interaktiven Elemente: Mit einer Onlineumfrage wird die Frage gestellt, was das Wort Suizid bei einem selber auslöst. «Die Besuchenden können so Inhalt generieren, der von anderen gelesen wird.» Mit Hilfe eines UV-Markers kann man zudem auf einer grossen Tafel die eigenen Gründe für den Ausstellungsbesuch festhalten.

Spezialanlässe zur Ausstellung

Im Zusammenhang mit der Ausstellung sind zudem Spezialanlässe geplant: Am Sonntag, 31. Oktober, sowie am Sonntag, 7. November, werden Mitwirkende der «Living Library» anwesend sein. Den Besuchern bietet sich dann die Möglichkeit für direkte Gespräche. Dafür kann man sich in etwas abgeschirmte Kojen im Eingangsbereich der Ausstellung zurückziehen. Zudem findet am Freitag, 29. Oktober, um 14 Uhr eine Lesung mit einer Überlebenden statt und am Freitag, 5. November, wird um 14 Uhr der Film «Dem Himmel zu nah» gezeigt. Anwesend wird auch die Regisseurin Annina Furrer sein. Die Teilnehmerzahl ist für diese beiden Events auf 30 Personen beschränkt, daher ist eine Anmeldung notwendig. Für die gesamte Ausstellung gilt zudem die Zertifikatspflicht. (Carmen Rogenmoser)

Hinweis
Weitere Informationen zur Ausstellung und den Öffnungszeiten: www.leben-was-geht-ch. Hier erhalten Sie bei Suizidgedanken Hilfe, rund um die Uhr, vertraulich und gratis: Die Dargebotene Hand (www.143.ch, Kurzwahlnummer 143); Beratung für Kinder und Jugendliche von Pro Juventute (www.147.ch, Kurzwahlnummer 147); www.reden-kann-retten.chwww.trauernetz.ch