MaxMantis und die Mottenjäger

Musik

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Das Zuger Jazztrio hat alle Larvenstadien überlebt, um zur maximalen Gottesanbeterin zu werden. Jetzt ist MaxMantis reif fürs erste Album.

  • MaxMantis ist auch beim Feiern immer auf der Hut vor ihren natürlichen Feinden. (Bild: PD)
    MaxMantis ist auch beim Feiern immer auf der Hut vor ihren natürlichen Feinden. (Bild: PD)

Zug (Kanton) – Dieser Text ist in der November-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier gehts zu den anderen Artikeln, und hier gibts das Magazin als Pdf.

Die europäische Gottesanbeterin hat einen dreieckigen Kopf, gerade Flügel und zwei Fangarme. Dazu Reflexe, überraschend und präzise wie ein vergessener Zahnarzttermin. Ein Insekt wie eine eigenwillige Improvisation der Schöpfung. MaxMantis, das Jazztrio aus Zug, schöpft genauso eigenwillig auf seiner neuen Platte «Green». Vielleicht deshalb haben sich der Bassist, der Schlagzeuger und der Pianist nach dem Insekt benannt.
Im Café sitzen die drei um einen Tisch, es reden immer zwei gleichzeitig, und einer lehnt sich zu­rück. Gerade ein bisschen so, wie auch ihre Musik funktioniert, doch irgendwie versteht man trotzdem alles ganz genau.

Auf der Website der Band findet man Zeichnungen von Gottesanbeterinnen. Mit mutigen schwarzen Strichen und zähem Blick erzählen die comicartigen Zeichnungen Wildwestgeschichten aus der Insektenwelt. Es gibt die düsteren Moth Hunters und 
die windigen Redback-Bandits, einer Spinnenart mit Cowboyhut, der man besser nicht über den Weg traut. Aber wie kommen nun diese ­Insekten-Wild-West-Geschichten auf eine Jazzplatte? Lukas Gernet, Pianist der Band, lehnt sich leicht über den Tisch. «Na ja, die Mantis hat ja schon von sich aus gute Fähigkeiten. Fliegen, an der Wand herumgehen ...». Rafael Jerjen, der Bassist, hakt ein: «Und schnelle Reflexe!»
Und Samuel Büttiker, der Drummer: «Ja, und Insekten sind einfach spannend. Die sind wie Aliens. Ein Löwe, der ist einfach ein grosses Büsi. Ein Redback, der ist eine ziemlich seltsame Spinne und macht sehr spezielle Netze, gibt da viel mehr her. Es ist eine ganz andere Welt.» Und die Comic-Anwandlungen? «Wir haben als Band einfach eine überaktive Fantasie. Auch ausserhalb vom Spielen», sagt Rafael Jerjen und zuckt mit den Schultern. Doch, wieso ausgerechnet die Gottesanbeterin zur Schutzpatronin des Trios geworden ist, hat noch einen anderen Grund. Einen eher geografischen.

2015 war das Trio in Australien. Wegen einer Hochzeit und einigen Gigs. Da aber das kein lückenloses Programm hergibt, fanden sich die drei irgendwann im Souvenirshop eines Nationalparks wieder. Neben einem Buch über die Moth Hunters: Eingeborene, die Motten ausräuchern und essen. Samuel Büttiker: «Wir fanden das irgendwie extrem lustig.» Und daraus, mit ein wenig überaktiver Fantasie und einer quicklebendigen Banddynamik entstand das, was heute MaxMantis ist. Dazwischen waren aber noch einige Schritte zu tun. Gottesanbeterinnen durchleben zirka sechs bis sieben Larvenstadien. Da ist auch MaxMantis keine Ausnahme.

Kannibalische Züge
Gottesanbeterinnen fressen gelegentlich ihre Partner. Aber kannibalische Züge dem Trio zuzuschreiben, wäre gemein, würden sie sich nicht selber teilweise darin erkennen. Es sei schon anstrengend, zu dritt auf so kleinem Raum unterwegs zu sein, meint Samuel Büttiker. «Wir haben uns manchmal zu dritt ein Hotelzimmer geteilt. Und einer ist eigentlich immer müde und ein bisschen grummelig.» Rafael Jerjen nickt scheinbar verständnisvoll: «Oft brauchen die Leute ja auch ein bisschen ihren Freiraum. Das ist bei uns natürlich auch so, aber wir geben ihn uns einfach nicht.» Wer müde ist, wird getriezt, bis Müdesein keinen Spass mehr macht. Beim Spielen sei das ja auch so, lacht Lukas Gernet. Und falls dann doch mal Aggressionen aufkommen, sei das gar nicht schlecht. Rafael Jerjen: «Meistens spielen wir besser, wenn wir ein bisschen aggressiv aufeinander sind.»
Dann kam das Jahr 2017, das Jahr in dem die Gottesanbeterin zum Insekt des Jahres gewählt wurde und MaxMantis an beiden wichtigsten Jazzfestivals in Australien spielen konnte. Das letzte Larvenstadium. Nochmals ein Jahr später ist das erste richtige Album draussen.

Standars, aber nicht wie üblich
Die MaxMantis-Platte «Green» präsentiert sowohl Eigenkompositionen der Band wie auch «Standards». Die Eigenkompositionen drehen sich um die Mantis-Geschichten. Es geht um die Moth Hunters und die westernmässigen Welten der Insekten und Spinnen und Krabbeltieren. Die Standards der Platte sind aber nicht im Real Book, der Bibel aller Jazzstudenten, zu finden. Wenn MaxMantis von Standards sprechen, dann meinen sie ganz selbstverständlich Songs wie «Vo Lozärn gäge Wäggis zue», «Entre le Bœuf» oder «z Basel a mym Rhy».
Das sollen Jazzstandards sein? Darf man das? Natürlich, meinen die drei: «Wären wir eine amerikanische Band, und wir hätten neben Eigenkompositionen auch noch ein oder zwei Jazzstandards auf der Platte, dann würde uns das niemand fragen», sagt Rafael Jerjen. Man könne das so sehen. «Diese Songs sind unsere Tradition. Wir sind Schweizer, das ist unsere Musik. Und wir nehmen diese Musik und spielen sie mit dieser klanglichen Ästhetik, aus dem Jazz, die wir mögen.» Und Lukas Gernet ergänzt: «In der Jazzwelt können Eigenkompositionen und Standards ganz gut koexistieren. Wären wir eine amerikanische Band, dann wären da halt noch ‹Fly Me To The Moon› und ‹All The Things You Are› drauf.» Damit führt MaxMantis in bester Jazzmanier eine alte Tradition fort. Die gleichzeitig völlig neu klingt.
«Green» ist eine sehr kontrastreiche, energiegeladene Platte. Manchmal gespannt und wie in lauernder Erwartung, dann wieder explosiv. Und einige Male findet man diese leichten Momente in zerbrechlicher Schwerelosigkeit. Die Standards und die Eigenkompositionen werden durch Ausschnitte einer längeren Improvisation aufgelockert. Aber wer diese Stücke als Lückenfüller abtun will, ignoriert das wichtigste Charaktermerkmal von «Green». Mit präzisen Postproduktionstricks gewinnen diese Auschnitte etwas beinahe Surreales. Die Insektenwelten werden hier so offen, wie das sonst fast nur auf der Bühne möglich ist.

(Autor: Lionel Hausheer)