Hundemalefiz das Zugerdütsch!

Literatur & Gesellschaft

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Quarantänezeit ist Zeit zum Lesen! Lokal produzierte Literatur zum Beispiel. Und dann noch solche, bei der es um etwas Urzugerisches geht.

  • Judith Stadlins Buch ist geschrieben, gedruckt und eingepackt - jetzt kann es gelesen werden! Bild. Nora Nussbaumer.
    Judith Stadlins Buch ist geschrieben, gedruckt und eingepackt - jetzt kann es gelesen werden! Bild. Nora Nussbaumer.
Zug (Kanton) – Dieser Artikel ist in der Mai-Ausgabe des Zug Kultur Magazins erschienen. Hier geht es zu den anderen Artikeln.

Kennen Sie den Zugerdialekt? Nein, nicht Englisch ist gemeint. Sondern dieser irgendwie nüüd­schynige Dialekt aus Zug, der auf den zweiten Blick zundereinisch grandig erscheint und gwunderfitzig macht auf mehr.  
Das beweist die Zuger Autorin und Theater­macherin Judith Stadlin in ihrem neuen Buch «Häschtääg Zunderobsi». Es wäre am 19. März im Burgbachkeller getauft worden. Nun muss die Taufe bis am 23. September warten.
Stadlin, die den meisten Zugerinnen und Zugern durch die Satz&Pfeffer-Lesebühne im Oswalds Eleven oder durch ihre Geschichte vom Wädelmond (Zugerdeutsch: Vollmond) bekannt sein wird, hat ihr neustes Werk komplett im Zugerdialekt verfasst. Auf den 176 Seiten thematisiert sie zuallererst die Frage, ob es denn das Zugerdütsch überhaupt gebe.

Ein Stück Dialekt-Rebellion
Die Idee für das Buch sei durch den grossen Erfolg des «Wädelmond»-Textes entstanden. Und dieser Text durch den überpräsenten Dialekt des Berndeutschen. «Aui finges eso gemüetlech, so wäuts sympathisch», schreibt Judith Stadlin und zitiert mit Mani Matter, Büne Hueber, Kuno Lauener, Polo Hofer und Lo und Leduc die grössten Klassiker des Schweizer Liedgutes. Sie alle sind in Berndeutsch. Andere Dialekte scheinen in der Schweizer Kultur kaum zu existieren. Das Zugerdeutsch hingegen, das sei in der allgemeinen Wahrnehmung doch sowieso bloss ein Mischmasch aus Züri, Lozärn und Aargau. «Das ist mir schon oft negativ aufgefallen», so Stadlin.

Auf der Suche nach dem alten Zugerdeutsch
Und so entstand der Text «Bi Wädelmond». «Ich wollte zeigen, dass ein Zugerdeutsch sehr wohl existiert und ebenfalls Eigenheiten enthält», so Stadlin. Sie machte sich auf die Suche nach dem alten Zugerdeutsch, bei den alten Zugern und in Hans Bossards «Zuger Mundartbuch» von 1962. Doch auch in ihrem passiven Wortschatz, in der Sprache ihrer Grosseltern und Eltern, fand Stadlin so einiges. Es entstand der «Wädelmond», oft und zu Recht mit Franz Hohlers legendärem «Totemügerli» verglichen und 2017, am 50-Jahr-Totemügerli-Jubiläum, im Kleintheater Luzern präsentiert.
Der Erfolg des zugerdeutschen Textes vor Publikum gibt Stadlin recht: «Zugerdütsch cha genauso fäge!» Es sei gar «cheibe guet» angekommen und weckte in der Sprachkünstlerin Stadlin die Idee, ein ganzes Buch rund um den Dialekt herauszugeben. Allerdings in einem heutigen, lebendigen Zugerdeutsch. Beim Zytglogge-Verlag rannte sie damit offene Türen ein.
Die meisten Texte seien schon vor einer Weile entstanden, in ihrer Arbeit auf diversen Lesebühnen über die vergangenen zwei Jahre hinweg. Doch die Arbeit am Buch machte dann trotzdem ein ganzes Jahr aus. Den Aufwand beim Dialektschreiben habe sie unterschätzt, so Stadlin: «Denn die grösste Herausforderung war die Orthografie.» Angeregte Diskussionen habe sie mit ihrer Lektorin über kleine Dinge, wie ein langes i, geführt. Oder um Doppelvokale versus Vokal plus h.

Der Spändifaüz und die Obenusis
Eine eigene, und gleichzeitig konsequente Schreibweise zu entwickeln, war also der grösste Aufwand – den jedoch beim Lesen niemand bemerken sollte. Sie habe öfters daran ge­zweifelt, dass das Buch schlussendlich flüssig zu lesen sein würde. «Der Zugerdialekt wirkt aufgrund seiner Neutralität recht konturlos und langweilig. Und genau das ist sein Vorteil: Er ist dafür einfach und gut lesbar», sagt Stadlin und lacht.
Die Arbeit habe Worte aus ihrem passiven Wortschatz wieder reaktiviert. Wörter wie «Chumihütnidchumimorn», «Chrydesager», «Budelhünd» seien doch zum Verlieben farbig. Ebenso die Obenusis und der Spändifaüz – «herrlich sprechende Ausdrücke».  

Ohren offenhalten
Im alten Zuger Dialekt und dessen besonderen Wörtern werde die typische damalige Kleinstadt mit Fischereigewerbe, mit Handwerk und einem engen Sozialgefüge spürbar. Der heutige internationale Wirtschaftsort habe den Zugerdialekt eher mit englischen Ausdrücken ergänzt als mit neuen Dialektbegriffen.  «Ich mag zwar das Internationale an Zug, es öffnet unseren Horizont, doch die Sprachverwässerung finde ich etwas schade. Hält man aber die Ohren offen, vernimmt man nebst dem Englisch und dem Russischen auch ab und zu mal Zugerdütsch», so Stadlin.
In «Häschtääg Zunderobsi» mischen sich alte Zuger Ausdrücke mit dem aktuellen Neudeutsch. Dies, da sie schreibe, wie sie rede. «Ich wollte kein Museum des Zugerdütsch schaffen», so Stadlin, sondern ein Abbild des heutigen, tatsächlich gebräuchlichen Zugerdütsch. Sprache sei eben ständig in Bewegung und verändere sich durch die Einflüsse anderer Sprachen, Dialekte, durch gesellschaftlichen Wandel oder auch durch Missverständnisse. Sie hoffe, die Menschen durch ihr Buch mit ihrer Faszination für Sprache anzustecken.
Und schon ist Stadlin dabei, Anekdoten aus ihrem Buch zum Besten zu geben. Etwa vom falsch ausgesprochenen Wort Stilettos, welches als «Stylettos» ausgesprochen bei ihr die augenzwinkernde Frage aufwirft, ob man sie nun so bezeichnet, weil sie steil oder weil sie stylisch sind. SRF-Moderator Nik Hartmann jedenfalls ist von Stadlins Zunderobsi-Denken angesteckt und lobt: «Judith ist eine Sprachkünstlerin mit einem feinen Gehör und Gspüri für die bunte Welt der Dialekte. Bei jedem Wort, das ich von ihr lese, höre ich, wie sie spricht. Judith schnuret nämli wie das Buech.»

Text: Jana Avanzini


Weiter geht es multimedial!

«Häschtääg Zunderobsi» ist übrigens mehr als bloss ein Buch. Über die QR-Codes darin sind 29 Filme und Filmchen auf Youtube abrufbar, die unter anderem das Zugerdütsch kurz und originell in den Alltag übersetzen. Diese hat Judith Stadlin für die Publikation an den verschiedensten Orten aufgenommen, und damit aufgehört hat sie bis heute nicht. Seit dem Druck sind nun schon fast
20 weitere Filme entstanden, und ein Ende ist nicht in Sicht.
www.judithstadlin.ch